Experten der Bundesregierung stellen Energiekonzept in Frage

Der Umweltrat spricht sich gegen Kohle und Atom als Brückentechnologie aus

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Die Energiepolitik der Bundesregierung ist nicht nur scharfer Kritik aus der Opposition und dem Druck protestierender „Wutbürger“ ausgesetzt. Auch die regierungseigenen Expertengremien stehen nicht hinter den Plänen von Union und FDP. Nachdem das Umweltbundesamt (UBA), das zum Bundesumweltministerium gehört und dieses auch wissenschaftlich berät, bereits im Juli 2010 eine Studie vorlegte, die den vollständigen Umstieg auf Erneuerbare Energien bis zum Jahr 2050 als möglich und sinnvoll beschreibt, legt nun der Sachverständigenrat für Umweltfragen, kurz Umweltrat, nach.

Anders als das Umweltbundesamt hält der Umweltrat in seiner 680 Seiten starken Studie lediglich eine Versorgung der Bundesrepublik mit 100 Prozent Strom aus Erneuerbaren Energien für möglich. Das UBA geht in seiner Studie von einer Vollversorgung mittels regenerativer Energie aus, schließt damit also beispielsweise auch die Elektrifizierung der Mobilität mit ein. Die Beschränkung auf die Stromversorgung erklärt der Sachverständigenrat damit, dass eine Umstellung der Stromversorgung mit geringeren finanziellen Anstrengungen verbunden ist als der energetische Wandel in anderen Sektoren wie der Mobilität, Wärmeversorgung, Landwirtschaft und Industrie.

Gemein ist beiden Studien jedoch die Ablehnung von Kohle- und Atomverstromung als Brückentechnologie. Der Bestand an herkömmlichen Kraftwerken ist für die Autoren der Studie ausreichend. Lediglich einige wenige Gaskraftwerke müssten neu errichtet werden, bis die Umstellung endgültig geschafft ist. Kraftwerke für die Grundlast, wie sie Vattenfall noch jüngst auf einer Konferenz in Berlin propagierte (Atomkraft soll bewahrt werden), braucht es laut dem Umweltrat nicht. Laufzeitverlängerungen für die Atommeiler und der Neubau von Kohlekraftwerken, wie im Energiekonzept der Bundesregierung vorgesehen, würden das Risiko erhöhen, dass im System eine Überkapazität besteht. Die eigentliche Brückentechnologie sei Energieeffizienz, die laut der Studie gefördert werden soll.

Trotzdem rechnet der Umweltrat konservativer als die Bundesregierung. Während diese in ihrem Energiekonzept von einem Stromverbrauch von zwischen 410 bis 430 Terawattstunden pro Jahr ausgeht, arbeitet die Studie mit Werten zwischen 500 und 700 Terawattstunden. Auch der maximal zulässige Stromimport ist mit maximal 15 Prozent beim Umweltrat streng ausgelegt: die Regierung rechnet mit einem Anteil des Importstroms von mindestens 22 Prozent. Der Umbau der Energieversorgung muss dabei nicht zu höheren Preisen für die Verbraucher führen. Bei einer Vollversorgung aus Erneuerbaren Energien könnten die Kosten 2050 sogar niedriger liegen als bei einem konventionellen Strommix. Grund dafür sind steigende Kosten für Rohstoffe und CO2-Emissionszertifikate.

Ausbau der Netze, Stopp der Laufzeitverlängerung für AKWs

Der Umweltrat, der einst von der Bundesregierung selbst eingerichtet wurde, hat auch konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik parat. So schlagen die Experten eine verbindliches Klimaschutz- und Dekarbonisierungsziel für Europa bis 2050 vor, das sich auch im Emissionshandel niederschlagen soll. Die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke und der Neubau von nicht flexibel regelbaren Kraftwerken soll gestoppt werden. Weiterhin müsse der Netzausbau beschleunigt werden, wobei Deutschland vor allem eine Zusammenarbeit mit den Nordseeanrainern suchen solle. Dort, so die Idee des Umweltrates, könnten günstige Pumpspeicherpotentiale genutzt werden.

Erneuerbare Energien sollen auch weiterhin gefördert werden, jedoch empfiehlt die Studie deutliche Änderungen bei den Förderschwerpunkten. Während am Vorrang der Erneuerbaren bei der Einspeisung im Netz und der garantierten Vergütung nicht gerüttelt werden soll, denken die Experten über weitere Kürzungen bei der Photovoltaik nach. Die Vergütung solle den sinkenden Erzeugungskosten angepasst werden, auch eine absolute Begrenzung der geförderten Kapazitäten bringt der Umweltrat ins Gespräch.

Die Zukunft gehört dagegen Offshore-Windparks. Unternehmen könnten den Bau und Betrieb der Parks übernehmen und dafür eine geringe, aber garantierte Einspeisevergütung erhalten. So könne der Aufbau der Offshore-Windparks mit dem Netzausbau besser koordiniert werden. Gleichzeitig solle die Förderung der Biomasse stärker auf die Nutzung von Reststoffen ausgenutzt werden. Den Bonus für die Verbrennung von nachwachsenden Rohstoffen möchten die Experten wegen der negativen Begleiterscheinungen am liebsten ganz abschaffen.

Insgesamt ist die Studie ein Frontalangriff auf die Energiepolitik der Regierung. Umweltminister Röttgen versuchte jedoch bei der Übergabe der Untersuchung, diese zu einer Bestätigung für den eigenen Kurs umzudeuten. Die Studie belege, dass ein Anteil von 80 Prozent an Erneuerbaren Energien in der Stromversorgung bis 2050 machbar sei, erklärte.