Ägypten steht auf der Kippe

Noch ist unklar, wie sich die Armee verhalten wird, Mubaraks Familie und reiche Ägypter suchen bereits ihr Heil in der Flucht

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Der schnelle Austausch der Regierung und vor allem die Ernennung des Geheimdienstchefs Omar Suleiman weist deutlich darauf hin, dass der 82-jährige Mubarak hoch verunsichert ist. Nach 30 Jahren an der Herrschaft hat er nun erstmals einen Vizepräsidenten ernannt. Auch der neue Regierungschef Ahmed Shafiq und der neue Verteidigungsminister kommen aus dem Militär. Das scheint für Mubarak, der auch Luftwaffenkommandant war, der Versuch zu sein, das Militär auf seine Seite zu ziehen, nachdem die Soldaten in den Straßen sich bislang zurückgehalten und sich eher mit den Demonstrierenden verbrüdert haben. Die Menschen scheinen sich aber nur mit einem Austausch der Personen nicht zufrieden zu geben, sie wollen, dass Mubarak geht.

Nach Gerüchten soll sich Mubarak in Sharm-el-Sheick aufhalten, das von Polizisten gut abgeschirmt ist, um auch die Touristen zu schützen, während in Kairo, Alexandria oder Suez und in anderen Städten Chaos herrscht. Neben den politischen Protesten scheinen nun auch mehr Randalierer und Plünderer die Gelegenheit zu nutzen. Das Militär soll die reicheren Viertel von Kairo mittlerweile sichern und versuchen, die Ausgangssperre durchzusetzen, in manchen Viertel haben sich auch Nachbarschaftsmilizen gebildet, um sich zu schützen. Die Armee soll die Menschen aufgerufen haben, ihr Eigentum selbst zu schützen, was dafür spricht, dass sie (noch) nicht gegen die Leute vorgehen will.

Allerdings ist unklar, ob die plündernden und bewaffneten Banden, die derzeit herumziehen, nicht auch aus Sicherheitskräften bestehen, die Angst und Unsicherheit verbreiten und so Stimmung für die Regierung, also für Law and Order, machen. Das könnte auch der Grund für das Eindringen in das Ägyptische Museum und die dort angerichtete Zerstörung sein. Die Zahl der Toten steigt, aus einem Gefängnis in Kairo sollen an die 5.000, vorwiegend politische Häftlinge ausgebrochen sein. In Alexandria soll, wie Peter Bouckaert von Human Rights Watch berichtet, eine große Zahl von Häftlingen aus dem Gefängnis ausgebrochen sein – oder möglicherweise wurden sie freigelassen. Plünderungen und Gewalt könnten die Stimmung gegen die politischen Proteste drehen.

Die Protestbewegung ist selbst völlig chaotisch. Gerne wird gesagt, dass sie sich über Facebook organisiert hat, aber es fehlt noch ein gemeinsamer Führer, der als Kitt und Orientierung dient und für Langfristigkeit sorgt. Dezentrale Netzwerke könnten vielleicht doch zu schwach sein, aber genau dies ist auch spannend zu beobachten. ElBaradei hat sich zwar für eine Übergangsregierung angeboten, aber ob er sich in der Oppositionsbewegung durchsetzen kann, ist keineswegs gesagt. Wenn diese sich nicht koordiniert und geeint handelt, kann sie sich ebenso schnell wieder auflösen wie sie entstanden ist.

Dass die Elite sich nicht sicher ist, ob sie die Proteste überstehen wird, lässt deren beginnende Flucht aus Ägypten deutlich werden. Am Samstag haben sich bereits die beiden Söhne von Mubarak in London in Sicherheit gebracht, die Frau des Präsidenten ist unterwegs zu ihnen. Wie al-Dschasira berichtet, sollen 19 Privatflugzeuge mit reichen Geschäftsleuten und ihren Familien Kairo in Richtung Dubai verlassen haben.

Die iranische Führung sieht in den Protesten den Beginn einer "islamischen Erweckung", die iranische Opposition hingegen sieht die Aufstände in Ägypten, Tunesien, Jordanien und anderen arabischen Ländern als einen Aufbruch in ihrem Sinn gegen die repressiven und autoritären Regime, die durch Korruption und Repression herrschen. Bei denen geht die Angst um, vornehmlich in Saudi-Arabien.

Der saudische König Abdullah hat Mubarak nach saudischen Medienberichten angerufen, um ihn zu unterstützen. Für ihn handelt es sich natürlich nicht um eine Revolte für mehr Demokratie, sondern um Aufstände, die vom Ausland gesteuert werden, um "im Namen der Meinungsfreiheit die Sicherheit und Stabilität des Landes zu unterminieren". Die Infiltratoren hätten Wut geschürt und die Menschen zur Zerstörung, Brandstiftung und Plünderung aufgestachelt. Einen Grund gibt es für den saudischen König, dessen Monarchie dank der Rüstungslieferungen aus den westlichen Staaten hoch gerüstet ist, nicht. Er betet für die Stabilität und Einheit Ägyptens, natürlich unter Mubarak. Die Demonstranten würden hingegen nur "seltsame und zweifelhafte Ziele" verfolgen – so seltsam soll es sein, Diktatoren und Monarchen zu stürzen.

Scheinbar treten die westlichen Regierungen zwar für Demokratie, Meinungsfreiheit und andere hehre Werte ein, aber sie haben bislang die arabischen Regime unterstützt, weil sie die Region "stabil" halten wollten. Dass Islamisten an die Macht kommen, scheint zumindest bislang nicht der Fall zu sein.

Wenn sich aber die westlichen Staaten, die USA und jetzt in einer Erklärung auch Sarkozy, Merkel und Cameron, weiterhin an Mubarak wenden und ihn bitten, gnädigerweise doch ein paar Reformen einzuleiten, dann spricht dies nicht nur für die Doppelzüngigkeit, sondern zeigt auch die Angst davor, dass im Nahen Osten Demokratie einziehen könnte, weil man doch mit den repressiven Regimen viel besser zurechtgekommen ist. Dahinter wird auch deutlich, dass die Ideologen, die hierzulande die Islamophobie pflegen, weil der Islam angeblich nicht demokratietauglich ist, einer bequemen politischen Strategie gehorchen.