Verharmlosung und Panikbegriff zugleich

In der Debatte um "Kinderpornographie" wird es immer schwieriger, zutreffende Definitionen zu finden. Politik, Strafverfolgung und Gesetzgeber tragen aktiv dazu bei, diesen Begriffswirrwar nicht zu entwirren, sondern noch stärker anwachsen zu lassen. Teil 1: Verharmlosung

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Pornographie, Dirnen und Moral

Der Begriff Pornographie setzt sich aus den einzelnen Worten "porne" und "graphein", wodurch bereits von Anfang an der Begriff auch moralisch aufgeladen war, da "porne" für Dirne/Hure steht. Noch 1905 wurde Pornographie deshalb auch als "eine Beschreibung von Prostituierten oder der Prostitution als Angelegenheit der öffentlichen Hygiene" beschrieben. Mittlerweile hat sich trotz der ursprünglichen Herkunft des Wortes jedoch die Definition verändert, heutzutage wird unter Pornographie die "direkte Darstellung der menschlichen Sexualität oder des Sexualakts mit dem Ziel, den Betrachter sexuell zu erregen, wobei die Geschlechtsorgane in ihrer sexuellen Aktivität bewusst betont werden" verstanden, der moralisch verbrämte Begriff der Dirne/Hure/Prostituierten ist herausgefallen da der Beruf der Pornodarsteller nicht mehr automatisch mit Prostitution in Verbindung gebracht wird. Auch hat das Wort "Porno" in der Jugendsprache Einzug gehalten und wird, genau wie auch das ursprünglich für sexuell stimulierend genutzt Wort "geil" als Synonym für "großartig, klasse, toll" genutzt.

"Pornographisch" wird vielfach auch für Bilder, Texte oder Videos genutzt, welche zwar nicht immer den Tatbestand der Pornographie erfüllen, jedoch von manchen Menschen so wahrgenommen werden. Es wird hier bereits deutlich, dass die Wahrnehmung des Einzelnen bei der Frage, was pornographisch ist, stets eine Rolle gespielt hat und spielen wird. Ein Beispiel hierfür sind Musikvideos, in denen (spärlich) angezogene Frauen ihre Hüften an den Hüften der Männer reiben oder im Liegen entsprechende Hüftbewegungen machen. Hier wird auch klar, dass Pornographie nichts zwangsläufig mit Nacktheit zu tun haben muss, wobei auch die umgekehrte Logik zutrifft: Nacktheit bedeutet nicht zwangsläufig Pornographie.

In Bezug auf das Wort "Kinderpornographie" moniert beispielsweise der Verein "Missbrauchsopfer gegen Internetsperren" (Mogis e.V.), dass dieser Begriff die Opfer in unzulässiger Weise herabwürdigt:

Die Dokumentation eines sexuellen Kindesmissbrauchs mit einer Kamera ist keine Pornographie. Denn weder ist das Kind eine Hure (porneia) noch handelt es sich nur um eine Illustration (grapho).

Hierbei bezieht sich Mogis explizit auf den ursprünglichen Begriff der Pornographie und lässt die sich gewandelte Definition außer Acht. Mogis schreibt weiter: "... muss man auch den Tätern (Konsumenten) klar machen, dass es keine Pornographie ist, die sie da betrachten, sondern die Darstellung eines sexuellen Kindesmissbrauchs." und kritisiert die Schwammigkeit des Begriffes an sich. Hier weist Mogis auf ein prinzipielles Problem hin, das in Bezug auf "Kinderpornographie" umso wichtiger ist: Den Begriffswirrwar, der es fast unmöglich macht, über das Thema zu berichten, ohne entweder der Verharmlosung oder der Panikmache bezichtigt zu werden. Wieso sich dies ergibt, zeigt sich am deutlichsten, wenn einmal die verschiedenen Teilbereiche dessen, was "Kinderpornographie" laut EU-Definition bedeutet, beleuchtet werden.

Zerfetzte Seelen und Körper

"Da werden durch brutale Vergewaltigungen Kinderseelen und Kinderkörper zerfetzt" - mit diesen Worten hat die frühere Familienministerin Ursula von der Leyen dargestellt, wie wichtig ihr Kampf gegen Kinderpornographie sei. Sie nimmt hier somit explizit Bezug auf das, was Mogis als "Dokumentation sexuellen Missbrauchs" bezeichnet. Ein nicht unumstrittener Begriff, da er impliziert, dass es auch einen ordnungsgemäßen "Gebrauch" gibt, weshalb von anderen eher der Begriff der "sexuellen Gewalt" genutzt wird. Auch das Wort "Dokumentation" erscheint einigen zu neutral. Doch zurück zu den "zerfetzten Kinderseelen und -körper. In Bezug auf vergewaltigte (Klein)kinder, die neben der sexuellen auch der körperlichen Gewalt ausgesetzt sind, ist der Begriff "Kinderpornographie" verharmlosend da er zum einen die zugefügte Gewalt nicht thematisiert und zum anderen, auch durch die wachsende Akzeptanz der Pornographie, sogar als positiv angesehen werden könnte.

Die Seele

Frau von der Leyens Worte, die auch von Staatsanwälten in dieser Form wiederholt werden, stellen jedoch auch eine Wertung der Opfer dar, indem sie durch den moralisch-religiös behafteten Begriff der "Seele", welche durch die zugefügte Gewalt "zerfetzt wird", die Opfer als seelenlose Personen bezeichnen. Eine Argumentation, die auch oft durch das Wort "Seelenmord" nachvollzogen wird. Da hier von religiöser Warte aus argumentiert wird, ist dies letztendlich eine Beleidigung, da somit suggeriert wird, dass die Opfer einen entscheidenen Teil ihres "Ichs" verlieren. Die Evangelische Landeskirche, deren Mitglied Frau von der Leyen ist, sagt zum Thema Seele in ihrem "Glaubens-ABC":

Jeder Mensch hat eine Seele (griech.: psyche) und ist darin unverwechselbar. Er besteht aus mehr als der Summe seiner wissenschaftlich beschreibbaren Körperteile und -funktionen. Psychologie wird die moderne Wissenschaft von der Erforschung der Psyche genannt.

Für diejenigen, die der Religion anhänge, wäre dies eine Beleidigung, für jene, die dies nicht tun, ist die "zerfetzte Seele" schlichtweg irrelevant. In einer sachlichen Diskussion um eine Thematik wäre es daher sinnvoll, auf religiös verbrämte Begriffe zu verzichten, auch um nicht (un)absichtlich den Opfern zusätzlich wehzutun.

Bei den Bildern von körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzten (Klein)kindern wäre insofern der Begriff "Dokumentation sexuellen Missbrauchs/Gewalt" zutreffend. Dieser Meinung hat sich mittlerweile auch das auch von den Apologeten der Netzsperren stets in die Diskussion eingebrachte internationale Netzwerk "Circamp" angeschlossen:

CIRCAMP and other Law enforcement agencies believe it is time to stop the use of the misleading term "Child Pornography" when describing images of the sexual abuse of children, and use a term or title that gives a better understanding of the crime and more respect to the child victims.

Circamp bezieht sich hier auf tatsächliche sexuelle Gewalt gegenüber Kindern, was jedoch nur einen Teilbereich dessen ausmacht, was laut EU-Definition "Kinderpornographie" bedeutet.

Zigtausend kinderpornographische Bilder gefunden

In den Meldungen, die sich auf das Ausheben von "Kinderpornographieringen" beziehen, wird oft verlautbart, dass x-tausend kinderpornographische Bilder gefunden worden seien, genauso oft wird dies suggeriert, indem die Anzahl aller gefundenen Bilder durch den Zusatz "darunter auch..." quasi als Reizwort dient. Da erst nach einer Auswertung aller gefundenen Bilder sowie einer Wertung durch Sachverständige und Gerichte überhaupt gesagt werden kann, welche Bilder den Tatbestand der "Kinderpornographie" erfüllen, sind diese Angaben verwirrend.

Die Berichterstattung, die insofern von "kinderpornographischen Bildern" spricht, kann in diesem Fall die Begrifflichkeit "Dokumentation sexueller Gewalt gegenüber Kindern" nicht anwenden da ihr nicht bekannt ist, inwiefern die Bilder dieser Definition entsprechen, sie kann somit lediglich das wiedergeben, was ihr seitens der Strafverfolgung zum Thema vorgegeben wird, nicht zuletzt da sie ja selbst keinen Einblick in die Akten/Bilder erhält. Wer sich wenig mit der Thematik befasst, der wird annehmen, dass hier die "Dokumentation sexueller Gewalt gegenüber Kindern" sowie der Begriff "Kinderpornographie" deckungsgleich sind - eine Annahme, die seitens der Politik und der Strafverfolgung auch dadurch unterstützt wird, dass zwar die Gesetze eine weitgehende Definition von "Kinderpornographie" zementieren, in der (öffentlichen) Diskussion aber stets die Dokumentation sexueller Gewalt eingebracht wird.

Für die Berichterstattung, die sich nicht nur in einem Wiederkäuen der Pressemeldung üben will, ist somit jeder Artikel auch eine Gratwanderung, da ihr einerseits Verharmlosung, andererseits eben auch Panikmache vorgeworfen werden kann. Hier kann sie letztendlich, auch wegen der fehlenden begrifflichen Abgrenzungen, nur die Fehler wiederholen, die auch Politik und Strafverfolgung vorgeben.

Law Enforcement should always try to describe the crime accurately and enforce this message to others working in this area as well as Media.:(Circamp)