Strukturfinanzvertriebe: Wenn Politik und Finanzbranche eine allzu engmaschige Symbiose eingehen

Rechtsstreit zwischen AWD-Gründer Carsten Maschmeyer und der ARD

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Die Reportage der ARD lief fast zur besten Sendezeit. Provokanter Titel: Der Drückerkönig und die Politik. Die schillernde Karriere des Carsten Maschmeyer. Dass sie überhaupt stattfand, nachdem der Gründer des Finanzdienstleisters AWD in Hannover über seine Rechtsanwälte massiv Druck ausübte, war keineswegs selbstverständlich.

Denn die Finanzbranche und die große Politik, sie bilden auch in diesem Fall ein ausgesprochen enges Interessengeflecht, das für Außenstehende freilich nicht leicht durchschaubar ist. Über die Vorgeschichte zur Fernsehreportage lässt sich die diffuse politische Gemengelage etwa via Spiegel online, Handelsblatt und Süddeutsche Zeitung nachvollziehen. Wer einige grundsätzliche – manche würden jetzt sagen einseitige - Einblicke in den AWD gewinnen möchte, wie der persönliche Finanzoptimierer so arbeitet, wird in einer Zeit-Reportage vom vergangenen Jahr fündig. Die 30-minütige Reportage kann man sich hier mit ein paar entfernten Makeln nochmals anschauen. Mehr Infos dazu gibt es auch auf den Seiten von daserste.de.

Der AWD hatte vielen Kleinanlegern, die ihren Lebensabend finanziell absichern wollten, so genannte Schrottimmobilien und Geschlossene Fonds verkauft, die längst nicht das brachten, was versprochen worden war. So klagen ungezählte Anleger über den Verlust ihrer gesamten Ersparnisse.

ARD

Im Fokus steht dabei oberflächlich betrachtet die rechtliche Auseinandersetzung, spannend ist jedoch vor allem das strukturelle Beziehungsgeflecht zwischen Finanzbranche und Politik, das den Bürger längst in die Arme von aufnahmewilligen Produktanbietern getrieben hat, die in der Tat vor allem eines im Sinn haben: Ihren eigenen Geldsäckel möglichst rasch zu vermehren. Das Gemeinwohl kann dabei schon mal auf der Strecke bleiben.

So bleiben viele Fragen offen, nicht nur, warum die Berater ausgerechnet ihren engsten Freundeskreis auf die AWD-Produkte lotsen sollen. Als nachhaltig zu bezeichnen ist dieses Geschäftsprinzip wohl kaum. Oder: Warum soll und muss der Bürger "Vorsorgeprodukte" etwa von Versicherungen kaufen, die nach Abzug aller Kosten oftmals weniger Rendite abwerfen als das Tagesgeldkonto?

Und warum soll man Jemandem glauben, dessen Ziel gerade darin besteht, am Wohnzimmertisch von der Informationsasymmetrie zwischen Anbieter und Kunde zu profitieren? All diesen Fragen versuchte die ARD-Fernsehreportage bei der ARD nachzugehen. Wer indes sensationelle Enthüllungen erwartet hatte, der wurde enttäuscht.

Spannend waren trotzdem die vielen ineinander verwinkelten politischen Puzzleteile, die Reporter Christoph Lütgert anschaulich herausarbeitete. Schließlich basieren die großen politischen Entwürfe zur privaten Alterssicherung auf einem engen, gleichwohl indirekten Beziehungsgeflecht, unter anderem eben zwischen Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem AWD-Gründer. Carsten Maschmeyer hatte schließlich unter anderem den Wahlkampf Schröders in Niedersachsen mitfinanziert.

Der Beitrag passt auch in das aktuelle Stimmungsklima seit der Finanzkrise, in dem es Tendenzen gibt, einzelne Bank- und Finanzmanager für ihr möglicherweise etwas waghalsiges Tun in die persönliche Haftungsübernahme zu ziehen. Das dürfte im Falle von Maschmeyer nicht ganz einfach sein, und es ist zu vermuten, dass die rechtliche Drohkulisse, die der AWD-Gründer mit Hilfe einer bekannten Anwaltskanzlei aufgebaut hatte, genau darauf abzielte, den Kritikern und Erfolgsnörglern den Zahn von vorne herein zu ziehen.

Ziemlich kurz, aber umso aufschlussreicher waren die beiden Interviews mit Ex-Arbeitsminister Walter Riester sowie Familienministerin Christina Schröder, die aufzeigten, welche "Reichweite" die Finanzbranche in der Politik mittlerweile einnimmt. Daneben wird das handwerkliche Vorgehen der Finanzstrukturvertriebe immer wieder sichtbar.

Denn es wird zwar auch die einen oder anderen Anleger geben, die von der AWD-Beratung profitiert haben, jedoch ist das strukturelle Ausmaß der raffinierten Methodik, wie den Kunden gleichzeitig immer wieder Rendite plus Sicherheit in einem Produkt in Aussicht gestellt worden war, insbesondere in der Phase der Privatisierung der staatlichen Altersvorsorge längst nicht aufgearbeitet.

Aber, so würde AWD dies jetzt sicherlich behaupten, die Kunden seien vorher aufgeklärt worden über etwaige Risiken, zum Beispiel von geschlossenen Immobilienfonds. Wer die Reportage mit der "bombensicheren" Geldanlage gesehen hat, kommt allerdings zu anderen Ergebnissen. Denn im Netz gibt es andere Quellen, die den vermeintlich neutralen Beratungsansatz der "Strukkis" in ein kritisches Licht rücken, wie Unternehmen á la Deutsche Vermögensberatung (DVAG) und AWD im umgangssprachlichen Tonfall gelegentlich bezeichnet werden.

Viele bekannte Namen aus der Finanz- und Bankenbranche arbeiten mit den Strukturvertrieben zusammen. Ein Expertenbeitrag beleuchtet das Thema der zahlreichen, dem System quasi innewohnenden konstruktiven Interessenkonflikte wie folgt:

Beim Bankberater ist die Sache meist relativ klar erkennbar, doch Finanzstruktur-Vertriebe setzen hier oftmals stark auf legales Blendungspotential und Nebelkerzen, was manch einen unbedarften Laien, der vorher noch keinen Kontakt mit Angehörigen solcher Vertriebsstrukturen hatte, tatsächlich dazu führen kann zu glauben, es handele sich hier um einen unabhängigen Berater, den er vor sich hat - obwohl dies sicher nicht der Fall ist (alleine schon die Abhängigkeit von der Provision reicht hier als Beleg).

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Rechtliche Auseinandersetzung hält an

Zurück nun zu dem oben skizzierten Fernsehbeitrag: Kaum war die Reportage ausgestrahlt, da setzte sich das rechtliche Tauziehen fort. Eine Szene der ARD-Reportage musste flugs auf Geheiß der Rechtsanwälte Maschmeyers wieder entfernt werden, wie Spiegel online berichtete. Siehe dazu auch die allerdings nicht ganz vollständige Chronologie der Ereignisse auf der Informationsseite der ARD daserste.de .

So titelte das Handelsblatt: Maschmeyer gewinnt erste Schlacht gegen NDR. Es entwickelten sich zudem von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkte Nebenschauplätze. So stellte die Presseabteilung von AWD via Email auf dem Finanzblog Social Banking 2.0 den Umstand richtig, dass mit Blick auf den Fernsehbericht keinesfalls eine identische Interessenlage zwischen Unternehmen und AWD-Gründer vorherrsche.

Sprich, der bereits seit 2009 aus dem Vorstand von AWD ausgeschiedene Gründer habe allein mit Hilfe seines Anwalts einen Schriftsatz an den NDR und weitere ARD-Anstalten geschickt. Die Bemühungen im Vorfeld der Ausstrahlung seien somit nicht von AWD ausgegangen. Das darf getrost auch als ein medienpolitischer Hinweis bezeichnet werden, eine klare Abgrenzung zum Gründer - und damit zu den früheren jetzt erneut in der Kritik stehenden Vorgängen herzustellen.

Jenseits von rechtlichen Scharmützeln droht jedoch schon neues Ungemach, sofern es der geschäftstüchtigen Finanzwirtschaft über die "Politikbande" erfolgreich gelingen sollte, eine zusätzliche private Pflegeversicherung auf verbindlicher Basis einzuführen. Das wäre wie weiland vor einem Jahrzehnt die Riesterrente ein weiteres milliardenschweres Produkt, von dem vor allem die Anbieter profitieren würden.

Ob der Kunde als Einzahler für seine Beiträge irgendwann eine ausreichende Leistung erhalten wird, das steht freilich wie so oft in den Sternen. Die FAZdenfalls fasst ihren Kommentar wie folgt zusammen: "Wer den Film gesehen hat, weiß, dass Carsten Maschmeyer nicht der Einzige ist, der Fragen beantworten sollte."

Um das Ausmaß der politischen Einflussmöglichkeiten zu unterstreichen, lohnt sich - neben dem derzeit im öffentlichen Brennpunkt stehenden AWD - ein weiterer Querverweis, und zwar auf die Deutsche Vermögensberatung (DVAG). Sie ist laut eigenen Angaben mit 5,4 Millionen Kunden der "größte und bedeutendste eigenständige Finanzvertrieb". Umsatz in 2009: Rund 1,1 Milliarden Euro.

Es sollen bei der DVAG immerhin rund 37.000 haupt- und nebenberufliche Finanzaußendienstmitarbeiter im Einsatz sein. Das Unternehmen spendet übrigens eifrig an so gut wie alle Parteien, nachzulesen etwa auf compliance-magazin.de. Das Blog Abgeordnetenwatch listet immerhin eine Summe von rund 600.000 Euro unter den größten Parteispendern im vergangenen Jahr.

Eine weitere pikante Note besteht darin, dass vor einiger Zeit auch der derzeitige Außenminister Guido Westerwelle (FDP) auf der Gehaltsliste der DVAG stand. Offenbar hat er auch später die Nähe zur Szene immer wieder gesucht. In einem weiteren Eintrag auf abgeordnetenwatch.de lässt sich diese Allianz und weitere Arenen einer fragwürdigen Symbiose zum vermeintlichen Wohle des Bürgers erahnen.

Die zur Schau gestellte Losung lautet: Mit oder ohne Fußball, wiedervereintes Deutschland, seid glücklich mit uns Herrschenden in Politik und Finanzwelt, so suggerieren es derartige eingängige Werbebotschaften und Sympathieauftritte. Künftig setzt man aber auch bei den Finanzstrukturvertrieben ganz auf die "Generation Y", die man mit der richtigen Zielgruppenansprache erreichen möchte, wie sich auf dem Weblog der DVAG erkennen lässt.

Zugegeben, die DVAG manövriert sich hier in einen gewagten intellektuellen Spagat hinein, denn was die junge "Generation Y", mit bis dato unbekanntem genetischen Code, von der verschuldeten Welt der Erwachsenen noch hält, das scheint derzeit für versierte "Versicherungsmathematiker" anhand von nackten Zahlen nicht mehr voraus zu berechnen.

Über ein Video gewinnt der Beobachter weitere Inneneinsichten, wie sich das Unternehmen DVAG beim Vermögensberater-Tag 2010 anhand einer beeindruckenden Größenordnung selbst inszeniert hat. Geworben wird nach dem alt bekannten Strickmuster nicht nur damit, dass es dem Unternehmen gelinge, ganze Fußballstadien mit "Fans" zu füllen.

Aufgrund der schon sattsam bekannten Analogie zu sportlichen Höchstleistungen in der Werbung für Finanzprodukte wird bei der DVAG nicht gekleckert, sondern richtig geklotzt. Wirklich smart und bodenständig ist diese Marketingvariante freilich kaum: Denn es stellt sich schon die Frage, ob es vom Zeitgeist her noch opportun erscheint, ausgerechnet anhand des "Vermögensberater-Tags 2010" mit einem Energieverbrauch von 4,5 Millionen Watt an Strom zu werben, die bei dieser Veranstaltung nach Angaben des Unternehmens immerhin verbraucht worden sind.

Lothar Lochmaier arbeitet als Freier Fach- und Wirtschaftsjournalist in Berlin. Zu seinen Schwerpunkten gehören Umwelttechnik, Informationstechnologie und Managementthemen. Mit Kommunikationsabläufen und neuen Organisationsformen in der Bankenszene hat sich der Autor in zahlreichen Aufsätzen beschäftigt. Im Mai 2010 erschien von Lothar Lochmaier das Telepolis-Buch: Die Bank sind wir - Chancen und Zukunftsperspektiven von Social Banking. Er betreibt außerdem das Weblog Social Banking 2.0.