"Amiga, nicht Amigo!"

Die CSU lässt ihren Netzdialog anlaufen

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Im letzten Jahr kündigte die CSU an, einen "Netzrat" gründen zu wollen, um externes Know-How in ihre Entscheidungsfindung einzubringen. In diesem Netzrat fanden sich dann allerdings doch keine Vertreter des Chaos Computer Clubs oder ähnlicher Organisationen, sondern eher Personen, die man sich auch in anderen CSU-Beiräten vorstellen könnte. Umso mehr überraschte, dass das in der letzten Woche bekannt gewordene Positionspapier Freiheit und Fairness sich nicht nur gegen Internetsperren, sondern auch für Abmahnmissbrauchsbeschränkungen und Netzneutralität ausspricht.

Das Echo auf das Positionspapier war ganz überwiegend positiv: Der FDP-Bundestagsabgeordnete Jimmy Schulz bezeichnete es als "gute Grundlage für gemeinsame Diskussion", Markus Beckedahl von netzpolitik.org meinte, wenn "nicht überall ganz groß CSU draufstehen [würde], käme niemand auf den Gedanken, dass es von der CSU kommt" und Julia Seeliger von den Grünen, konnte so wenig direkt Kritisierbares darin finden, dass sie es bei Fragen belassen musste, worauf sich Wörter wie "Zurückhaltung" und "Vorsorge" beziehen.

Reinhard Brandl, CSU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Netzrates. Alle Fotos: Telepolis

Gestern wurde "Freiheit und Fairness" dem Parteivorsitzenden Horst Seehofer" auf einem "Netzkongress" in München formell überreicht. Der Name "Kongress" war für eine etwa dreistündige Veranstaltung aus zwei Reden und einer daran anschließenden Diskussion zwar ein wenig extravangant gewählt, durch die anwesenden Mitglieder der Piratenpartei und des Chaos Computer Club hatte man aber teilweise durchaus den Eindruck, dass so etwas wie ein Dialog zustande kam. Sie machten unter anderem auf die technische Absurdität des Prinzips eines "digitalen Radiergummis" aufmerksam, über den auf der Veranstaltung interessanterweise weniger Einigkeit herrschte als über die Ablehnung von Netzsperren.

Dirk Heckmann

Einen der beiden Vorträge auf dem Kongress hielt der Passauer Juraprofessor Dirk Heckmann, der das Papier maßgeblich prägte. Heckmann schien zwar, was die Wirkung von Immaterialgüterrechten angeht, nicht auf dem neusten Stand, hat sich aber offenbar so weit technisch eingearbeitet, dass er erkannte, dass Netzsperren "wirkungslos und kontraproduktiv" sind.

Für seine Ausführungen zur Möglichkeit der Eindämmung von Missbrauch mittels einer Pflicht zur kostenlosen ersten Abmahnung bei Bagatell-Rechtsverletzungen enthielt er spontanen Zwischenapplaus, der den Verdacht nahe legt, dass dieser Missbrauch mittlerweile bis in die Mitte der CSU hinein als großes Ärgernis empfunden wird. Aus dem Publikum heraus wurde angeregt, diese Pflicht weit zu fassen, damit auch die von der Störerhaftungs-Rechtsprechung des BGH geschaffenen Probleme abgemildert werden. Kritisiert wurde Heckmann lediglich von einer Fernsehproduzenten-Lobbyistin, die ganz offen zugab, dass sie den offiziell nur mit dem Argument der Kinderpornografiebekämpfung gerechtfertigten Aufbau einer Zensurinfrastruktur für die Durchsetzung eigener Monopolansprüche haben möchte.

Horst Seehofer

Horst Seehofer, der zweite Redner, überraschte mit Erzählungen aus seinen Computeranfängen ("Amiga, nicht Amigo!") und später im Gespräch mit Telepolis mit der Information, dass er mit dem DosBox-Emulator alte PC-Games spielt. Der bayerische Ministerpräsident, der gerade aus Davos kam, meinte unter anderem, dort habe sich sein russischer Amtskollege Medwedew mit der Begründung gegen Netzsperren ausgesprochen, das Internet habe den politischen Wandel in Tunesien erst möglich gemacht. Und hinter Russland, so Seehofer, wolle er in Freiheitsfragen ungern zurückstehen.

Auch durch mehrere Zwischenrufe während der Diskussion und die Bemerkung, es würde nichts bringen, wenn man dem Wähler erzählt, man hätte das Problem Kinderpornografie mit Netzsperren im Griff, wenn man in Wirklichkeit genau wüsste, dass es nicht so ist, erweckte Seehofer den Eindruck, dass er eher nicht den Sperrbefürworten zuzurechnen ist. Und eine Frage aus dem Publikum, was man denn gegen Inhalte machen könne, die im Ausland legal aber in Deutschland verboten sind, beantwortete er ohne Mikrofon und wie aus der Pistole geschossen mit einem schlichten "Gar nichts".

Auch Wikileaks sieht Seehofer deutlich positiver als die Kassandrarufer in den deutschen Feuilletons. Mit offensichtlichem Spaß an der Sache erzählte er, wie aus einem vom amerikanischen Vizepräsidenten Joseph Biden nicht verstandenen Scherz zur Bündnispolitik Bayerns in der Geschichte eine diplomatische Depesche über angebliche außenpolitische Defizite wurde. Und die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär fügte später an, dass sich in der Wikileaks-Affäre nicht diejenigen Politiker am meisten gekränkt fühlten, die in den Cablegate-Dokumenten vorkamen, sondern diejenigen, bei denen das nicht der Fall war.

Dorothee Bär

Das Papier und der Kongress bestätigten, dass die Positionen innerhalb der Parteien heute viel weiter auseinander liegen als die der Parteien. Und während die neue SPD-Vorzeigefrau Manuela Schwesig sich öffentlich für Netzsperren ausspricht, positionierte sich ihr CSU-Äquivalent Dorothee Bär mittlerweile bemerkenswert deutlich dagegen.

Dass die Position eines Sachverständigengremiums keineswegs die offizielle Parteilinie werden muss, zeigte 2009 die SPD, die ihre Politik so diametral entgegengesetzt dazu ausrichtete, dass sich ihr Online-Beirat schließlich auflöste. Allerdings besteht zumindest die Möglichkeit, dass das Positionspapier in der CSU nicht nur einer Debatte "Schwung gibt", sondern mehr bewegt - schon alleine deshalb, weil der (gestern auffällig abwesende) bayerische Innenminister Joachim Herrmann, neben Norbert Geis einer der Vorbeter der Mubarak-Fraktion, etwas kleinlauter auftreten muss, seit herauskam, welche Texte sein Sohn rappt.

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