Über das Luftschloss Kernfusion

"Teures Spielzeug für einen elitären Kreis". Interview mit Heinz Smital von Greenpeace

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Die Kernfusion ist seit Jahrzehnten ein Hoffnungsträger der alternativen Energieversorgung. Bis 2018 soll nun mit ITER im französischen Cadarache ein Tokamak-Reaktor der neuesten Generation gebaut werden. 15 Mrd. Euro soll er kosten. Laut EU-Kommission bietet die neue ITER-Technik "Aussicht auf eine schier unerschöpfliche Quelle für sichere und saubere Energie".

Mit 45 Prozent ist die EU der größte Projektpartner neben den USA, Russland, Japan und China. Der EU-Anteil des Projekts beläuft sich derzeit auf 6,6 Mrd. Euro. Deutschland stemmt 20 Prozent des EU-Anteils. 260 Mio. Euro investierte die Bundesregierung seit 2008 in die europäische Fusionsforschung. Dafür erwartete sie Aufträge in ähnlicher Größenordnung an deutsche Unternehmen und Forschungsinstitute. Doch die blieben bislang aus.

Die Kernfusionsforschung verschlingt aber nicht nur auf europäischer, sondern auch auf nationaler Ebene Milliardenbeträge. Nach Auskunft des BMBF wurden von 2001 bis 2008 rund 900 Mio. Euro, bis Ende 2010 sollten weitere 250 Mio. für die institutionelle Förderung ausgegeben werden. Hinzu kommen seit 2007 Projektfördermittel, die sich bis Ende 2010 auf insgesamt 33 Mio. Euro belaufen sollten. An ITER beteiligt sich die Bundesregierung mit weiteren Mitteln, die sich beim gegenwärtigen Planungsstand von 6,6 Mrd. auf rund 1,3 Mrd. Euro belaufen.

Telepolis sprach mit dem Physiker Heinz Smital von Greenpeace über die forschungspolitische Dimension des Projekts.

Die EU will bis zu 6,6 Milliarden Euro in ITER investieren. Zunächst waren nur 2,7 Milliarden Euro veranschlagt. Ungenutzte EU-Mittel und Gelder aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm sollen die zusätzlichen Kosten abdecken. Für 2012 und 2013 hat sich ein Mehrbedarf von 1,4 Mrd. Euro ergeben. Wie kann sich so etwas einfach ergeben?

Heinz Smital: Das ist ein sehr schwieriges Projekt. Die EU-Kommission sagt, dass man sich für künftige Kostensteigerungen rüsten muss. Auch wenn man den Reaktor gebaut hat, hat man nicht viel gewonnen. Das ist eine Versuchsanlage die zu einem Prototyp führen soll. Ob man Kernfusion zur Energieerzeugung je wirtschaftlich betreiben kann, ist sehr fraglich.

Wie viel Entscheidungsspielraum hat die Politik? Soll sie den Forderungen nachgeben?

Heinz Smital: Ich finde es völlig verkehrt in ein Luftschloss so viele Milliarden zu stecken und andere Projekte, die einen unmittelbaren Nutzen bringen würden, damit zu vernachlässigen. Beispielsweise in der Photovoltaik haben wir in Deutschland ca. 16 Gigawatt installiert, fast so viel installierte Leitung wie mit Atomkraft. Der jährliche Zubau bei Photovoltaik ist etwa 7 Gigawatt. Selbst eine geringfügige Effizienzsteigerung der Anlagen, wirkt sich unmittelbar auf die Energieversorgung aus. Bei ITER haben wir frühestens ab 2050 eine kommerzielle Perspektive. Es ist unwahrscheinlich, dass man bis dahin den dornigen Weg gehen kann. Kanada ist bereits aus einem Kernfusionsprojekt ausgestiegen. Irgendwann wird man sagen, dass man sich so ein Luftschloss nicht mehr leisten kann.

Wie beurteilen Sie das Management von ITER?

Heinz Smital: ITER ist ein Luftschloss und Prestigeprojekt, daher ist das Management nicht optimal. Die Arbeitsteilung ist nicht rein pragmatisch, sondern hängt mit Prestige zusammen.

Auf positive Nachrichten werden wieder neue Probleme folgen

Seit Jahrzehnten ist die zuverlässige Konstante der Fusionsforschung die regelmäßige und extrem lange Verzögerung. Auch jetzt gibt es wieder positive Nachrichten etwa aus dem MIT, dass sich das Plasma künftig besser kontrollieren lasse. Lassen sich die Politiker hier von einem phantastischen Versprechen der Physiker verführen?

Heinz Smital: Eindeutig ja. Auf positive Nachrichten werden wieder neue Probleme folgen. Würden die Physiker sagen, dass da noch sehr viel mehr Geld fließen muss, bis wir irgendwie in die Nähe einer Anwendung kommen, die dann auch kaum wirtschaftlich sein wird, würden sich die Politiker schneller abwenden. Es werden Teilergebnisse so positiv geschildert, dass die Politik am Angelhaken bleibt.

Die Kernfusion soll frühestens 2050 kommerziell nutzbar sein. Wie wahrscheinlich ist das?

Heinz Smital: Das ist unwahrscheinlich, weil Zeithorizonte eingeplant sind, die heute schon nicht eingehalten werden. Für den nächsten Schritt, ein Fusionsreaktor DEMO mit Dampferzeugung ist der Baubeginn 2024 vorgesehen. Wenn alles gut läuft, wird bis dahin ITER fertig. 20 Jahre Betriebszeit ist für ITER vorgesehen. Man müsste erst mal Erfahrung sammeln, um an DEMO heranzugehen, sonst hat ITER keinen Sinn. Daher sind die Zeitpläne viel zu ambitioniert. Einer ernsthaften Überprüfung könnten diese gar nicht standhalten.

Warum wird nicht richtig geprüft?

Heinz Smital: Weil man dann aufgeben müsste.

Warum diese Versprechungen, wenn doch tatsächlich noch Grundlagenforschung betreiben wird?

Heinz Smital: Das ist das, mit dem die Politiker geblendet werden. ITER dient dazu Verständnis über die Vorgänge im Plasma aufzubauen und ist von einer nutzbaren Energieerzeugung sehr weit weg. Wenn man das so benennen würde, wie es ist, würde man wahrscheinlich nicht das Geld für eine Technologie ausgeben, die zwar für die einzelnen Wissenschaftler interessant, die aber nicht für die allgemeine Bevölkerung nutzbar ist. Unmittelbare Auswirkungen, die der Stromversorgung zu Gute kommen, hätte jedoch die Entwicklung von Methoden zur Effizienzsteigerung oder von neuen Technologien in der Photovoltaik. Wichtig wäre auch die Entwicklung und Erschließung von Energiespeichern, um Stromspitzen aufzufangen und das Lastmanagement zu verbessern.

Bei der bemannten Mondfahrt waren die Hürden weniger hoch

Mit welchen anderen Großprojekten wäre die Kernfusion vergleichbar?

Heinz Smital: Bei der bemannten Mondfahrt waren die Hürden weniger hoch. Bei den Raketentriebwerken hat man durch den militärischen Einsatz bereits auf Erfahrungen zurückgreifen können, ebenso bei den Techniken, den Menschen in einer lebensfeindlichen Umgebung zu schützen. Das ist keine so hohe Hürde wie die Erzeugung von 100 Mio. Grad Celsius. Die Sonne hat so einen viel höheren Druck durch die Gravitation, dass ihr für die Plasma und Fusionserzeugung viel niedrigere Temperaturen ausreichen. In ITER muss die Temperatur daher etwa 10-mal so hoch sein wie im Innersten der Sonne.

Wird das Europäische Parlament den Hahn zudrehen, nachdem bereits Milliarden investiert wurden?

Heinz Smital: Ich würde es mir wünschen, weil man Geld nur einmal ausgeben kann. Wenn Geld im Überfluss vorhanden wäre, könnte man Kernfusion als interessantes Projekt betreiben. Aber wenn man die Energieversorgung künftig sicherstellen will, muss man in erneuerbare Energien investieren. Hier gibt es viele Forschungsfelder, die mit diesen Geldern bedient werden sollten.

Warum ist die Erklärung des ITER-Rates, man könne möglicherweise den Deutrium-Tritium-Einsatz statt im März 2027 schon einige Monate früher starten, „surreal“?

Heinz Smital: Die ganzen Planungshorizonte sind von einem extremen Optimismus geprägt, der auf Verzögerungen wenig Rücksicht nimmt. Bis 2025 ist das Projekt schlecht kalkulierbar, wenn sich jetzt schon die geplanten Kosten verdreifachen. Insofern ist es irreführend zu behaupten, man wüsste jetzt schon was 2024 und 2025 ist.

Die ganze Konstruktion ist nicht auf Dauerbetrieb ausgelegt

Welche Schwierigkeiten müssen noch überwunden werden?

Heinz Smital: Das ist ein Experimentalreaktor und man muss die Fusion für wenige Sekunden erzeugen und dann ist lange Pause. Die Tritium-Erzeugung gibt es nur in Testfeldern. Das ist kein Kreislauf. Eine andere Frage ist, wie man aus einem überhitzten Reaktormantel Energie gewinnen und damit einen Generator betreiben kann. Die Hitze ist außerdem eine derartige Belastung für die Materialien, die schwer abschätzbar ist. Die verwendeten Stähle enthalten auch Nickel, das aber durch die Neutronen zu Cobalt-60 wird. Damit wird der ganze Reaktor kontaminiert. Es stellt sich die Aufgabe, geeignete Materialien zu finden. Das ist schwierig. Die ganze Konstruktion ist nicht auf Dauerbetrieb ausgelegt.

Wie kann man mit so vielen Unsicherheiten einen verlässlichen Zeitplan erstellen?

Heinz Smital: Gewisse Grundlagen wird der Zeitplan schon haben. Ich halte ihn nur nicht für realistisch. Das Entscheidende ist, dass man keinen Fusionsreaktor baut, mit dem man nutzbare Fusionsenergie erzeugt. Es ist ein Experiment. Für den Bau von DEMO gibt es keine Beschlüsse, keine Finanzzusage. Man baut eine Brücke, die nicht ans andere Ufer reicht. Das ist gemessen an dem, dass es einen konkreten Forschungsbedarf bei erneuerbaren Energien gibt, der schnelle Ergebnisse und Gewinn bringen würde, nicht zu akzeptieren. Etwas anderes wäre es, wenn man offen zugeben würde, dass man das aus Spaß macht. Für die Bevölkerung hat die Kernfusionsforschung nämlich keinen Vorteil, außer man dass man etwas über Supraleiter und Material lernen kann. Das wäre eine ehrliche Diskussionsgrundlage.

In welchem Verhältnis stehen die Ausgaben für die Kernfusion zu den für die Förderung anderer Energiearten auf europäischer Ebene?

Heinz Smital: In den vergangenen Jahren hat die Kernfusion den großen Löwenanteil geschluckt.

Historische Sonderstellung der Atomkraft

Manche fordern Investitionen in den Bau von Kernkraftwerken der vierten Generation. Ist das sinnvoller?

Heinz Smital: Auch das ist nicht sinnvoll. Es zeigt sich ja, dass die Atomkraftwerke der dritten Generation etwa in Finnland aus rein ökonomischer Sicht massive Verlustgeschäfte sind. Auch hier werden die erneuerbaren Energien den Wettlauf gewinnen. Der Atommüll ist ein Problem für die Ewigkeit, etwa für eine Million Jahre. Dieser Verantwortlichkeit wird man sich nicht entziehen können, ebenso wenig wie man Unfälle auf Dauer vermeiden kann, die dann weitere Investitionsruinen erzeugen werden. Das ist bei den erneuerbaren Energien planbarer.

Die Atomkraft ist ein Auslaufmodell, was man letztlich auch an der mittlerweile veränderten Ausrichtung der beteiligten Forschungsinstitute sieht. Das Kernforschungszentrum Karlsruhe heißt jetzt Forschungszentrum Karlsruhe, die GKSS heißt jetzt Helmholtz-Zentrum Geesthacht. In der Forschung kriegen andere Bereiche einen anderen Stellenwert. Man war in den 1970er Jahren von der Atomforschung verblendet und wird lange noch Probleme mit den eigenen Reaktoren haben. Wenn man alles auf eine Waagschale legt, hat Atom keinen Platz.

Für die Erforschung der Kernfusion gibt die Bundesreagierung auf nationaler Ebene etwa so viel aus wie für die Erforschung der Erneuerbaren Energien. Doch die Zahlen hierfür sind nicht unmittelbar erhältlich, sondern müssen indirekt erschlossen werden. Warum ist das so intransparent?

Heinz Smital: Die Atomkraft hatte immer eine Sonderstellung. Sie hat unbegrenzte Mittel zur Verfügung bekommen und musste aufgrund einer gewissen Geheimhaltung nicht Rede und Antwort stehen. Das kommt vielleicht von der Wurzel der Atomenergie, der Erzeugung der Atombombe. Das Manhattan-Projekt war ein extremer Aufwand. Dafür waren Atomreaktoren mit 600MW-Leistung notwendig. Diese Machtposition von Atomtechnologien übt eine gewisse Faszination für Politiker und vielleicht auch für die Techniker aus.

Die historische Sonderstellung der Atomkraft ist damit vielleicht zu begründen, aber nicht zu rechtfertigen. Wenn man vergleicht, wo es mehr Sinn macht Forschungsgelder zu investieren - für erneuerbare Energien und Leitungsnetze oder für das Luftschloss der Kernfusion - ist die Entscheidung eigentlich eindeutig.

Ein elitärer Kreis, der hier das Geld erhält

Wie wahrscheinlich ist ein vollständiger Umstieg auf erneuerbare Energien?

Heinz Smital: Sehr wahrscheinlich. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hält eine vollständige Energieversorgung für 2050 für möglich sicher und wirtschaftlich. Wind und Sonne schicken keine Rechnung und erzeugen lediglich kalkulierbare Abhängigkeiten. Eine CO2-freie Gesellschaft ist bis 2050 vorstellbar und ökonomisch darstellbar.

Behindert die Investition in die Kernfusion die Energiewende?

Heinz Smital: Man kann Geld nur einmal ausgeben, und wenn andere Forschungsvorhaben gekürzt und nicht in Angriff genommen werden können, besteht eine Behinderung. Man ist in der Entwicklung der erneuerbaren Energien deutlich schneller und die Verbesserung der Wirkungsgrade schlägt sich sehr kurzfristig nieder.

Warum wird die Förderung in die Kernfusion vom Politikbericht “Energietechnologien 2050 nicht berücksichtigt?

Heinz Smital: Die kommerzielle Verwertbarkeit der Kernfusion lässt sich nicht belegen. Sie ist so weit weg, dass man sie nicht substanziell begründen kann. Die Kernfusionsforschung ist damit ein reines Spielzeug. Es ist außerdem ein elitärer Kreis, der hier das Geld erhält. Der Mittelstand profitiert hier an kaum einer Stelle.