Vertrauen in die öffentlichen Schulen geht verloren

Studie zeigt: In Ostdeutschland sind private evangelische Grundschulen auf dem Vormarsch

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Der Pisa-Schock des Jahres 2001 sitzt den deutschen Eltern offenbar nach wie vor tief in den Knochen. Damals schnitt Deutschland bei dem internationalen Leistungsvergleich katastrophal ab, landete in allen untersuchten Bereichen ausschließlich auf hinteren Plätzen . Die Schuld dafür wurde vielfach im desolaten Zustand der öffentlichen Schulen gesehen. Wer konnte, ergriff die Flucht aus dem staatlichen Schulsystem. Eine Studie des Netzwerks Bildung in der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt jetzt, dass dieser Trend seit der ersten Pisa-Studie weiter anhält, aber dass die Flucht in die Privatschulen kaum einen wirklichen Vorteil bringt.

Privatschulen hätten lange Zeit nur eine marginale Rolle im deutschen Schulwesen geführt, so der Autor der Studie, Manfred Weiß, bei deren Vorstellung gestern in Berlin. So besuchten noch 1992 lediglich 4,8 Prozent aller Schüler in der Bundesrepublik eine Privatschule. Bis zum Jahr 2000 stieg der Anteil nur leicht auf 5,6 Prozent. Doch nach Pisa beschleunigte sich das Wachstum um den Faktor 2,5. 2008 besuchten bereits 7,8 Prozent aller Schüler eine private Schule.

Manfred Weiß bei der Vorstellung der Studie. Bild: Silvio Duwe

Die Ursache ist für Weiß klar: Pisa habe zu einer nachhaltig negativen Wahrnehmung des öffentlichen Schulwesens geführt, so der Wissenschaftler. Der Drang, die staatlichen Schulen zu verlassen, ist dabei deutlich stärker als die realen Zuwächse der Privatschulen erkennen lassen. Über die Hälfte aller Eltern von Kindern unter 18 Jahren würden ihre Sprösslinge gern aus dem öffentlichen Schulwesen zu Gunsten einer Privatschule herausnehmen, so die Studie: "Wenn sie es sich leisten könnten." Der Vertrauensverlust in das deutsche Schulsystem ist demnach gewaltig.

Dabei hat Weiß herausgefunden, dass der Wechsel an eine Privatschule nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Entscheidend sei vielmehr deren Bildungsstand. Ein wesentliches Motiv der Eltern für die Schulwahl ist dabei der Wunsch, die eigenen Kinder in ein besseres soziales Milieu zu verbringen, als es sich an staatlichen Schulen findet. Dies trifft auf 42 Prozent der Eltern zu. Genau so viele Eltern entscheiden sich für eine Privatschule, weil für sie die Persönlichkeitsbildung an den staatlichen Schulen zu kurz kommt. Viele hoffen zudem, an Privatschulen engagiertere Lehrer zu finden oder ihrem Kind so bessere Chancen im Berufsleben zu ermöglichen. Immerhin ein Zehntel der Eltern gibt als Motiv aber auch an zu glauben, dass Schulen mit Geschlechtertrennung besser für das Lernergebnis sind, acht Prozent ist die religiöse Ausrichtung der Schule wichtig.

Leistung der Kinder wird an Privatschulen nicht gesteigert, aber sie werden besser gefördert

Eltern, die sich vom Wechsel an eine Privatschule besondere Leistungssteigerungen ihrer Kinder erhoffen, muss die Studie allerdings enttäuschen. Die Studie stützt sich dabei auf Vergleiche von so genannten statistischen Zwillingen. Dabei werden aus zwei zu vergleichenden Gruppen Personen mit jeweils ähnlichen relevanten Merkmalen, wie beispielsweise Migrationshintergrund, kognitiven Fähigkeiten und sozialer Herkunft, gegenübergestellt.

Dabei erzielen beispielsweise private Realschulen leicht bessere Leistungen in den Bereichen Lesekompetenz und Naturwissenschaften als die öffentlichen Realschulen. Statistisch signifikant ist der Wert jedoch nur bei den Mädchen. Im Bereich der Gymnasien verhält es sich exakt umgekehrt: Diese haben in den Naturwissenschaften und der Mathematik einen geringen Vorsprung. Wenn Privatschulen bessere Leistungen gegenüber öffentlichen Schulen aufwiesen, dann liege das vor allem daran, dass sich dort besonders leistungsfähige Schüler fänden, nicht jedoch an der Schulform selbst, so Weiß.

Im direkten Vergleich ähnlicher Schülergruppen kehre sich der vermeintliche Vorteil sogar oft um. Die Abkapselung bestimmter sozialer und ethischer Gruppen, die mit dem Voranschreiten der Privatisierung der Schulen einhergeht, bringt offenbar nicht unbedingt Vorteile mit sich. Vergleiche von herkömmlichen Schulen mit alternativen Schulformen wie beispielsweise Waldorfschulen kann jedoch auch die aktuelle Studie nicht treffen - hier fehlen schlicht die Daten.

Allerdings konnte Weiß auch einige Vorteile von Privatschulen insbesondere im Bereich des Schulklimas und der Unterrichtsqualität ausfindig machen. Schüler an diesen Einrichtungen beurteilen ihre Lehrer in der Regel besser und fühlen sich auch besser von ihnen unterstützt. Dies sieht Weiß als ein Zeichen dafür, dass Privatschulen eine bessere Förderkultur haben. Mit einer, wie vielfach unterstellt, geringeren Klassengröße an Privatschulen hat dies jedoch nichts zu tun. Hier gibt es nahezu keine Unterschiede zwischen öffentlichen und privaten Schulen. Allerdings sind Privatschulen insgesamt kleiner als staatliche. Weiß betonte jedoch, dass dies nicht unbedingt ein Vorteil sein muss. Viele Privatschulen, insbesondere Grundschulen, seien lediglich einzügig. Dabei sei Mehrzügigkeit ein wichtiges Qualitätsmerkmal, so Weiß. Da einzügige staatliche Schulen nicht erlaubt seien, sieht Weiß hier auch ein potentielles verfassungsrechtliches Problem.

Spezifischer Grundschulmarkt in Ostdeutschland

Ebenso Sorge bereitet ihm die Entwicklung in den neuen Bundesländern. Diese unterscheidet sich deutlich von der im Westen der Republik, wo Privatschüler vor allem das Gymnasium (41,1 Prozent aller Privatschüler), Real- (18,7 Prozent) oder Waldorfschulen (10,6 Prozent) besuchen, die private Grundschule jedoch mit einem Anteil von acht Prozent unter allen Privatschülern beziehungsweise 1,9 Prozent aller Grundschüler einen geringen Anteil hat. In Ostdeutschland gehört jedoch die private Grundschule zu den am häufigsten genutzten Privatschulen: Jeder dritte Privatschüler in Ostdeutschland ist ein Grundschüler, auf dem "Grundschulmarkt" haben die Privaten einen Anteil von 6,2 Prozent.

Besonders evangelische Träger stehen in den sonst eher weniger religiösen Neuen Ländern hinter den privaten Grundschulen. Dies liegt nicht an einer Rückbesinnung der Eltern auf kirchliche Werte. Vielmehr ersetzen im Osten kirchliche Schulen die staatlichen Schulen, die sich aufgrund des Bevölkerungsrückganges im Osten auf dem Rückzug befinden. Weiß schließt daraus, dass viele nicht religiöse Eltern faktisch in kirchliche Schulen gedrängt werden, was er ebenfalls für verfassungsrechtlich bedenklich hält.