Koalition will Tschernobyl-Gedenken hinter verriegelten Türen

Sarkophag um den Tschernobyl-Reaktor. Bild: Piotr Andryszczak/CC-Lizenz

Union und FDP befürchten eine "Schauveranstaltung" zum 25. Jahrestages der Reaktorexplosion

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im April dieses Jahres jährt sich die Katastrophe von Tschernobyl zum 25. Mal. Um an die Opfer zu erinnern, deren Zahl bis heute nicht genau geklärt ist, wird der Umweltausschuss des Bundestages eine Gedenkveranstaltung abhalten, zu der Vertreter der betroffenen Länder, Zeitzeugen, ehrenamtliche Initiativen und Wissenschaftler eingeladen sind. Doch wenn sie zu den Mitgliedern des Ausschusses sprechen, so werden sie dies nach dem Willen von Union und FDP unter Ausschluss der Öffentlichkeit tun. Denn während die Opposition sich geschlossen dafür eingesetzt hat, die Gedenkveranstaltung öffentlich stattfinden zu lassen, hat die schwarz-gelbe Koalition dies verhindert. Im Gespräch der Obleute des Ausschusses konnte die Opposition ihre Forderung nicht durchsetzen.

Die Koalition begründet ihre Ablehnung mit der üblichen Arbeitsweise des Umweltausschusses. Wie alle Ausschüsse tagt auch dieser in der Regel nicht öffentlich, lediglich in Ausnahmen werden die Presse und die interessierte Öffentlichkeit zu den Sitzungen zugelassen. Insbesondere bei Expertenanhörungen ist dies der Fall - auch im Umweltausschuss. Der hat erst im Januar eine öffentliche Expertenanhörung durchgeführt. Geht es um Tschernobyl, fühlen sich die Politiker aus den regierenden Parteien aber offenbar von der Öffentlichkeit gestört. Wie alle regulären Sitzungen des Umweltausschusses dürfe auch die Gedenkveranstaltung zu Tschernobyl keine "Schauveranstaltung nach außen" werden, so der Obmann der FDP, Horst Meierhofer. Man wolle sich auf den inhaltlichen Austausch beschränken, so der Liberale. "Als 'Schaufenster nach draußen' dient das Plenum, nicht die Ausschussarbeit."

Zwar ist die Vertraulichkeit der Ausschussarbeit durchaus wichtig, um kontroverse Themen diskutieren zu können, ohne dabei dem Zwang zu unterliegen, sich in der Öffentlichkeit profilieren zu müssen. Warum diese Gefahr jedoch ausgerechnet bei einer Gedenkveranstaltung zur Reaktorexplosion in Tschernobyl bestehen soll, leuchtet nicht ein: wenn im Ausschuss Zeitzeugen sprechen, sollten tagespolitische Streitigkeiten ohnehin außen vor bleiben. Zudem wäre es nicht die erste Gedenkveranstaltung des Ausschusses zu dem Reaktorunglück, die öffentlich stattfindet. So gab es 2006 eine öffentliche Gedenkveranstaltung, deren Wortprotokoll im Internet abrufbar ist. Damals war auch Meierhofer anwesend.

Allerdings fand die damalige Gedenkveranstaltung als Anhörung statt - in dieser Form ist sie prinzipiell öffentlich. Aufgrund des engen Terminplans im Umweltausschuss, so war aus Ausschusskreisen zu hören, wäre eine Anhörung zu Tschernobyl jedoch erst nach dem Jahrestag des Unglücks möglich. Der Opposition war dies zu spät, deshalb wollte sie eine reguläre Sitzung öffentlich machen. Eine öffentliche Anhörung, allerdings eben zu einem späteren Zeitpunkt, hätten die Oppositionsfraktionen auch gegen die Stimmen der Koalition beantragen können. Der Ausschluss der Öffentlichkeit wird letztlich mit einer formalen Spitzfindigkeit begründet. Wie aus dem Umfeld des Ausschusses zu erfahren war, wurde der Beschluss, die Sitzung nicht öffentlich zu machen, von den Spitzen der Koalitionsfraktionen getroffen - ein Zeichen dafür, wie wichtig dies den Regierungsparteien ist.

SPD, Grüne und Linke kritisieren das Verhalten von Schwarz-Gelb in einer gemeinsamen Pressemitteilung scharf. Die Koalition wolle Tschernobyl vergessen machen. Sie nehme den ehrenamtlichen Initiativen und Zeitzeugen damit die Möglichkeit, ihr Engagement in der Öffentlichkeit darzustellen. "Das ist ein Schlag ins Gesicht der vielen Menschen, die sich seit 25 Jahren darum bemühen, die gesundheitlichen und materiellen Schäden zu mildern, die die Menschen in der Region Tschernobyl erlitten haben und bis heute erleiden", so die Abgeordneten.

Tatsächlich weckt das Verhalten von Union und FDP Erinnerungen an das Vorgehen der Behörden in Tschernobyl direkt nach dem Unglück: diese ließen die Anwohner tagelang im Unklaren, diese ließen ihre Kinder deshalb, unwissend über das Ausmaß der Strahlung, ihre Kinder weiterhin auf der Straße spielen. Die Vergangenheit zeigt, wie wichtig Transparenz und offene Kommunikation gerade bei Themen der Atomkraft ist. Schwarz-Gelb jedoch kann sich dazu nicht einmal bei einer Gedenkveranstaltung durchringen. Das ist bezeichnend für die Parteien, die die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke durchgeboxt haben.