Edle Kunst, nur leider etwas schmutzig: Fälschung und Entartung im NS-Kino

Der Frosch mit der Maske

Das Dritte Reich im Selbstversuch - Teil 9

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Teil 8: Dr. Goebbels und die Weltverschwörung: Antisemitismus mit Spiel und Tanz und FSK (Robert und Bertram und Die Rothschilds)

Zwei der gelungensten deutschen Filmproduktionen der vergangenen 15 Jahre, die sich mit dem Dritten Reich (und dessen Nachleben in der BRD) auseinandersetzen, nähern sich dem Thema auf dem Weg über die Fälschung an: Helmut Dietls Schtonk! und Die Fälscher von Stefan Ruzowitzky. Angesichts eines Staates, der so sehr auf Lug und Trug aufgebaut war wie Nazi-Deutschland, ist das auch kein Wunder. Schauen wir uns heute also an, wie die Nazis selbst mit der Thematik umgingen. Zwei der von der Murnau-Stiftung im Giftschrank weggesperrten "Vorbehaltsfilme" liefern Aufschluss: Falschmünzer und Venus vor Gericht.

Publikumslieblinge in finsterer Zeit

Beim Sehen dieser Filme sind mir zunächst zwei Dinge aufgefallen. In Venus vor Gericht, einer antisemitischen Produktion der Bavaria Filmkunst GmbH, macht eine ganze Reihe jener Publikumslieblinge des westdeutschen Nachkriegskinos mit, die auch häufig vom Fernsehen engagiert wurden und meine Kindheit begleitet haben. Carl Wery habe ich unzählige Male als bayerisches Schlitzohr (Die seltsame Geschichte des Brandner Kaspar, 1949), Bauernhofbesitzer (Der Meineidbauer, 1956), General (Es geschah am 20. Juli, 1955) oder Arzt (Das letzte Rezept, 1951) erlebt, und der Erfinder der Kneipp-Kur war er auch (Sebastian Kneipp, 1958). Paul Dahlke glänzte als Justus, der verständnisvolle Lehrer in Das fliegende Klassenzimmer (1954) und als der nette Geheimrat in Drei Männer im Schnee (1955), schipperte für die ARD auf der MS Franziska (1978) den Rhein hinunter und animierte zum Lesen von Defoes Robinson Crusoe (Der Monddiamant, 1974).

Ernst Fritz Fürbringer war wie Wery ein General in Es geschah am 20. Juli, mit dem sich die Westdeutschen als ein Volk von Widerstandskämpfern feierten, und bevor Siegfried Schürenberg als Sir John den Posten des Polizeichefs übernahm, kämpfte er in den Wallace-Krimis als Polizeichef Sir Archibald gegen das Verbrechen (Der Frosch mit der Maske, Der rote Kreis, Die Bande des Schreckens). Hansi Knoteck ist heute vergessen, aber wenn man wie ich im Sendegebiet des Bayerischen Rundfunks aufwuchs, kam man um die dauernden Wiederholungen von Die fidele Tankstelle (1950), Heimat, Deine Sterne (1951) oder Heimatglocken (1952) nicht herum. Wenn der Volksschauspieler Beppo Brem in der BR-Serie Die seltsamen Methoden des Franz Josef Wanninger ermittelte, war das ein Pflichttermin. Leider spielt er in Venus vor Gericht genauso mit wie Liesl Karlstadt, die kongeniale Partnerin von Karl Valentin.

Liesl Karlstadt undKarl Valentin in "Im Schallplattenladen"

Bin ich also dafür, dass die Stadt München das Denkmal auf dem Viktualienmarkt abreißt, mit dem sie Liesl Karlstadt ehrt? Will ich den Komödienstadl verbieten, weil da Beppo Brem den Paradebayern gab? Mitnichten. Aber wenn eine ganze Riege von Darstellern, mit denen man seine Kindheit verbracht hat, plötzlich in einem ziemlich miesen und auch recht beängstigenden Nazi-Propagandafilm auftaucht, fühlt man sich betrogen. Ich hätte das gern früher gewusst, statt es zufällig zu entdecken, weil ich für Telepolis einen Aufsatz darüber schreibe. Dieses Wissen wurde mir verwehrt, weil eine behördenähnliche Institution wie die Murnau-Stiftung Venus vor Gericht im Rahmen eines undurchsichtigen Verfahrens faktisch mit einem Aufführungs- und Verbreitungsverbot belegt hat (das Gute an einer Artikelserie wie dieser ist, dass ich in einer früheren Folge erläutert habe, warum ich so etwas für einen Missbrauch des Urheberrechts halte und das nicht laufend wiederholen muss).

Das Wirtshaus im Spessart

Immer gern gesehen habe ich es, wenn Hubert von Meyerinck Adelige, Amtsträger und sonstige Autoritätsfiguren persiflierte (Das Wirtshaus im Spessart, 1957; One, Two, Three, 1961; fünf Wallace-Filme ab 1965). In Venus vor Gericht spielt er die Karikatur eines Sachverständigen, und damit stellte er seine Kunst in den Dienst der NS-Propaganda. Im Gegensatz zu manch anderem, der sich später zum Regimegegner stilisierte, scheint von Meyerinck aus seiner Abneigung gegenüber den Nazis tatsächlich nie ein Hehl gemacht zu haben. Es ist vielfach belegt, dass er aufrecht zu in Bedrängnis geratenen Freunden stand, was umso mutiger war, da er als schwuler Schauspieler selbst Gefahr lief, ins KZ gesteckt und dort ermordet zu werden. Kann man das miteinander verrechnen? Ein Akt des Widerstands gegen eine Rolle in einem Propagandafilm? Wer das zynisch findet: bei Heinz Rühmann hat diese Art der Reinwaschung hervorragend geklappt, obwohl von ihm gar kein Widerstand nachweisbar ist. Muss man sich damit abfinden, dass keiner unbefleckt aus dieser "finsteren Zeit" hervorging, weitere Diskussion nicht erforderlich? Das Problem ist, dass wir überhaupt erst anfangen können, darüber zu diskutieren, wenn wir wissen, wovon wir sprechen, statt unliebsame Hervorbringungen der Filmschaffenden unter dem Deckel zu halten, wie es in Deutschland schlechte Sitte ist.

Hubert von Meyerinck im Edgar-Wallace-Krimi "Im Banne des Unheimlichen"

Mit Yossarian im Gummiboot

Falschmünzer (1940) und Venus vor Gericht (1941) entstanden, nachdem Deutschland den Zweiten Weltkrieg vom Zaum gebrochen hatte. Im Vorkriegsfilm formieren sich andauernd die Uniformträger, um durch deutsche Straßen zu marschieren. Sie tun das mit einer solchen Penetranz, dass einem davon schlecht werden kann. Umso mehr fällt auf, dass das hier nicht mehr vorkommt. Es gibt keinen direkten Hinweis darauf, dass die beiden Filme in einem kriegführenden Land gedreht wurden. Offenbar bestätigt das unser tradiertes (Schein-)Wissen, dass Dr. Goebbels, Minister für Volksaufklärung und Propaganda, nach Kriegsbeginn ganz auf Unterhaltung setzte und das Publikum zerstreuen wollte, möglichst ohne konkreten Zeitbezug.

Gern würde ich eine Untersuchung darüber lesen, was nach 1945 aus den Komödien und Revuefilmen alles herausgeschnitten werden musste, um die Nachkriegsfiktion von der "harmlosen Unterhaltung" aufrecht erhalten zu können. Die "Vorbehaltsfilme" sind da sehr instruktiv, weil die meisten von ihnen nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs generell nicht mehr gezeigt werden durften, sich die nachträgliche Entfernung von Nazisymbolen und dergleichen also erübrigte. Ich vermute, dass sie ein ehrlicheres Bild von dem liefern, was unsere Vorfahren damals im Kino sahen, als so mancher Unterhaltungsfilm, aus dem vor der Wiederaufführung das eine oder andere Hitlerportrait getilgt wurde. Auf Vermutungen bin ich angewiesen, weil die dringend gebotene Untersuchung nicht existiert.

Falschmünzer und Venus vor Gericht wurden nicht mit der Absicht hergestellt, "Vorbehaltsfilme" zu drehen, weil das eine Kategorie der Murnau-Stiftung ist und kein Genre. Der eine ist, wie schon der Titel andeutet, ein Krimi. Der andere gibt sich als Komödie und als Satire auf den Kunstbetrieb. Warum sind sie dann verboten? Wie üblich nenne ich ein Verbot untertänigst ein Verbot, auch wenn das hässliche Wort in der hierzulande favorisierten Sprachregelung durch den "verantwortungsvollen Umgang mit dem NS-Filmerbe" ersetzt und das Verbot von einer Einrichtung verfügt wurde, die damit ihre Kompetenzen überschreitet, was aber weder die Bundesjustizministerin noch irgendeinen Kulturpolitiker zu interessieren scheint (vielleicht wäre es genau meine Stimme, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die Ihre Partei beim nächsten Mal über die 5-Prozent-Hürde hievt!).

Wenn in einer Demokratie ein Film verboten wird, möchte man meinen, wäre es das Mindeste, auf Transparenz zu achten und dieses Verbot sorgfältig zu begründen. Als ich anfing, an der Artikelreihe über die "Vorbehaltsfilme" zu arbeiten, blieben meine diesbezüglichen Anfragen an die Murnau-Stiftung unbeantwortet. Google war da höflicher. Während mich die Stiftung, die in Wiesbaden mein filmisches Erbe für mich bewahrt, komplett ignoriert, wenn ich eine Frage habe, leitete mich die Suchmaschine an den entsprechenden Wikipedia-Eintrag weiter, in dem es den Versuch einer Definition und eine Auflistung der betroffenen Werke gibt. Falschmünzer, hieß es da (und heißt es bis heute), dürfe wegen der "verfälschten Wertevermittlung bzgl. allgemeiner Lebensnormen" nicht mehr aufgeführt werden, und bei Venus vor Gericht ist dieser Befund durch ein "antisemitisch" ergänzt. Das ist so allgemein, dass sich nichts damit anfangen lässt. Inzwischen gibt es bei Wikipedia Links zu dieser Artikelserie hier und zu den darin erwähnten Inhaltsangaben auf der Webseite der Murnau-Stiftung, von denen das Internet-Lexikon noch nichts wusste, als ich zum ersten Mal dort zu Besuch war.

Wer nun glaubt, dass so etwas das Autorenego streichelt, der irrt. Leider habe ich gar keine Veranlassung, mich als Held der Aufklärung zu fühlen. Die Ergänzungen im Wikipedia-Eintrag machen vielmehr deutlich, dass der "verantwortungsbewusste Umgang" mit dem braunen Erbe zu einer jener absurden Konstruktionen geführt hat, die Joseph Heller als "Catch-22" bezeichnet (Yossarian, der Leidtragende in Hellers Roman, flieht am Ende vor der Logik der Bürokraten und bricht zur Überquerung des Ozeans in einem Gummiboot auf). Wer erfahren will, warum Falschmünzer verboten werden musste, ist nach der Lektüre der von der Stiftung gelieferten Inhaltsangabe so schlau als wie zuvor. Liegt das daran, dass der propagandistische Gehalt des Machwerks von uns ferngehalten werden muss, weil wir uns sonst mit dem Nazi-Virus infizieren würden? Das wäre denkbar. Der Umgang mit diesem unerfreulichen Teil unserer Vergangenheit erinnert stark an Quarantänemaßnahmen, mit denen die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit verhindert werden soll.

Catch-22

Oder könnte es womöglich sein, dass uns die Stiftung nichts über die Propaganda in Falschmünzer mitteilt, weil sie es selbst nicht weiß? Mich beschleicht dieser Verdacht, weil die Verfasserin oder der Verfasser der Inhaltsangabe wieder mal von alten Filmprogrammen abgeschrieben hat, aus denen der propagandistische Gehalt nicht klar hervorgeht. Man merkt das an den kleinen Fehlern, die jedem unterlaufen, der aufgrund von Informationen aus zweiter Hand die Handlung eines Films zusammenfasst, den er oder sie nicht kennt. Allerdings merkt man es nur, wenn man den Film selbst gesehen hat - ein Werk, das nicht öffentlich gezeigt werden darf, weil es propagandistisch ist, was aber von der den Film verbietenden Stiftung nicht weiter ausgeführt werden kann, weil der Verfasser der Inhaltsangabe den vorher existierenden, von ihm (oder ihr) zu Rate gezogenen Inhaltsangaben nichts Propagandistisches entnehmen konnte. Kurzum: Falschmünzer ist verboten, weil der Film Nazi-Propaganda enthält, aber um zu erfahren, worin diese Propaganda besteht, müsste man ihn sehen, und das darf man nicht, weil er Nazi-Propaganda enthält. Catch-22. Mir wäre wohler, wenn wenigstens irgendeiner bei der Murnau-Stiftung diesen Film gesehen hätte. Es gibt aber keine Veranlassung, das zu glauben.

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