Undurchschaubares Nehmen und Geben

Während bei Hartz IV noch über die Höhe des Regelsatzes verhandelt wird, wurden bereits 2,5 Milliarden Euro gekürzt

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Mit dem Tauziehen um einen Kompromiss hinsichtlich der Neuberechnung der Regelsätze und dem anvisierten Bildungspaket zwischen Bundesregierung und Opposition in den vergangenen Wochen stand Hartz IV wieder einmal auf der politischen Bühne. Dabei ist über dem Streit um eine Erhöhung um fünf Euro hin oder her in der öffentlichen Debatte weitgehend untergegangen, dass seit dem 1. Januar 2011 bereits massive Kürzungen für die Bezieher von Arbeitslosengeld II in Kraft getreten sind: Vom Wegfall des Elterngeldes über den Wegfall des Befristeten Zuschlages bis zum Wegfall des Rentenbeitrages - eine Summe von 2,5 Milliarden Euro allein 2011.

Hartz IV ist mittlerweile zu einer sehr komplizierten Materie geworden, aus der die meisten Hartz IV-Bezieher ohne Hilfe nicht mehr schlau werden und oft die Sozialgerichte klärend eingreifen müssen. Zur Unübersichtlichkeit des Gesetzeswerkes gehört auch, dass an verschiedensten Baustellen und von verschiedenen Seiten daran geschraubt und gebastelt wird. Der Verhandlungsmarathon um die vom Verfassungsgericht im Urteil vom Februar 2010 geforderte Neuordnung der Regelsätze und der Leistungen für Kinder kam ja deshalb zustande, weil das "Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch" nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat zustimmungspflichtig ist, wo bekanntlich die Bundesregierung über keine Mehrheit verfügt. Anders aber beim sogenannten "Haushaltsbegleitgesetz": Das wurde im vergangenen Herbst vom Bundestag verabschiedet.

Die Einschnitte für Hartz IV-Empfänger durch dieses Haushaltsbegleitgesetz sind direkte Auswirkungen der von den Banken verursachten Finanzkrise, die Boni der Banker stehen quasi in Zusammenhang mit den abgesenkten Leistungen für Langzeitarbeitslose – selten bildet sich dieses gesellschaftliche Verhältnis so schamlos ab.

Dies bedeutet etwa, dass bei der Förderung von Familien mit zweierlei Maß gemessen wird. Ab Januar 2011 wird der Bezug von Elterngeld auf Hartz IV-Regelleistung gemäß SGB II angerechnet, wodurch eine "Bedarfsminderung" entsteht. Konkret: Für Langzeitarbeitslose bedeutet dies einen kompletter Wegfall dieser Leistungen. Einsparung 2011: 500 Millionen Euro.

Ebenfalls gestrichen wurde der befristete Zuschlag gemäß § 24 SGB II. Bisher lag der Zuschlag bei 160 Euro für Ledige und bei maximal 320 Euro für Verheiratete, er wurde immerhin insgesamt 24 Monate und nach 12 Monaten noch zur Hälfte gewährt - unter der Voraussetzung, dass die Hartz IV-Empfänger zuvor Arbeitslosengeld erhalten hatten. Einsparung 2011: 210 Millionen Euro. Der befristete Zuschlag diente quasi als Abfederung für den harten Sturz hinab auf Sozialhilfeniveau:

Insbesondere durch die gleichzeitige Verkürzung der Anspruchsdauer beim Arbeitslosengeld und dem gleichzeitigen Wegfall der Arbeitslosenhilfe sollten damit Härten bei erstmaliger Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes II ausgeglichen werden.

Offizielle Begründung

Die Begründung für den Wegfall des befristeten Zuschlages hat nun etwas Kurioses an sich:

Die Funktion des befristeten Zuschlags ist überholt. Die Anspruchsdauer beim Arbeitslosengeld wurde zwischenzeitlich für ältere Arbeitnehmer wieder verlängert. Zudem sind die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende - insbesondere ihre Höhe – inzwischen allgemein bekannt, so dass sich potenziell Betroffene bereits während des Bezugs von Arbeitslosengeld gegebenenfalls auf die Höhe der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einstellen können.

Im Klartext: Die Leistung kann wegfallen, da sich die Armen mittlerweile an die Armut gewöhnt haben. Welch grandiose Gesetzesbegründung!

Schließlich entfällt ab 2011 auch die Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung für Bezieher von Hartz IV-Leistungen. Die Regierung will damit die Beiträge zur Rentenversicherung der Empfänger von Hartz IV einsparen. Ab 2011 werden somit Empfänger von ALG II keine Rentenansprüche mehr auf diese Zeit haben – die Regierung arbeitet damit aktiv an der Entstehung einer neuen Altersarmut. Einsparung 2011: 1,85 Milliarden Euro.

Was also – im Zuge eines anstehenden politischen Kompromisses – eventuell gegeben wird, ist von anderer Hand längst genommen worden. Hartz IV entwickelt sich so zu einer Art sich stetig wandelnden Gesetzesmasse, die – kaum will man sie greifen – sich in einer erneuten Metamorphose befindet. Es sind die Sozialgerichte, die im Bemühen um die Rechte ihrer Klientel, diesem permanenten Geben und Nehmen, das für den Bürger längst nicht mehr durchschaubar ist, hinterherhecheln.