"Ab ins Obdachlosenwohnheim - denn das hält die Politik für 'zumutbar'"

Interview mit Brigitte Vallenthin über ihre Erfahrungen mit Hartz IV

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Nachdem die Politik mit ihrem Bankenrettungsschirm quasi über Nacht der notleidenden Finanzbranche mit großzügigen Milliarden-Beträgen beigesprungen ist, lässt sie sich mit der Neujustierung des Hartz-IV-Regelsatzes auffallend viel Zeit und feilscht dabei um jeden Euro. Nach Ansicht der Sprecherin der Hartz IV-Plattform in Wiesbaden, Brigitte Vallenthin, ist es absehbar, dass auch dieser Hartz-IV-Kompromiss wieder beim Verfassungsgericht in Karlsruhe landen wird. Brigitte Vallenthin hat auch einen Bericht über ihre Erfahrungen mit der Hartz IV-Bürokratie veröffentlicht, der sich streckenweise wie ein Horroroman liest: "Ich bin dann mal Hartz IV".

Frau Vallenthin, Sie beschreiben in Ihrem Buch Ihr Leben mit Hartz IV - und dies sind keine schönen Schilderungen: Wenig Geld, Gängelung und Erniedrigung durch die Ämter, was war oder ist für Sie das Schlimmste an Hartz IV?

Brigitte Vallenthin: Es ist nicht die gesetzlich verordnete Armut - auch wenn die alleine schon unmenschlich und ein bis zur Körperverletzung reichendes Gesundheitsrisiko ist. Das Schlimmste sind die willkürlich verursachten Qualen durch Demütigung, Schikane, Entrechtung und Kriminalisierung in den Hartz-IV-Amtsstuben. - Und dass Hartz IV einem die Lebenszeit stiehlt, weil man Tag für Tag nur noch mit Verwaltungspost, Sozialrechts-Klagen und der Einhaltung der damit verbundenen Fristen beschäftigt ist. Da bleibt nicht viel Leben übrig.

Es handelt sich dabei aber keineswegs um die gebetsmühlenartig vorgetragenen "Fehler" in der Verwaltung. Nein, diese Folgen sind beabsichtigtes Ziel des in den Ideenschmieden von Roland Berger, McKinsey und anderen in der "Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" erdachten Ausgrenzungs-Gesetzes, das die Verwaltungen anweisungsgemäß umsetzen.

Die Sozialgerichte wurden im vergangenen Jahr mit Klagen gegen Hartz-IV-Bescheide förmlich überrannt, jede zweite war erfolgreich. Auch Sie haben mehrfach geklagt. Worum ging es - und haben die Richter Ihnen Recht gegeben?

Brigitte Vallenthin: Bei mir ging und geht es weiterhin auch um diejenigen Klagegründe, die den Löwenanteil der seit Jahren anwachsenden Klageflut ausmachen. Das waren monatelange Leistungs-Verweigerung, verfassungsrechtlich unzulässige so genannte Hausbesuche, die "Angemessenheit" von Wohnungsgröße und Miethöhe, die gesetzlich vorgeschriebene Übernahme der "tatsächlichen" Heizkosten, der Umzugskosten bei Zwangsumzug in eine kleinere Wohnung sowie die Verhinderung von Obdachlosigkeit.

Aber es ging und geht weiterhin auch um sich unangemessen und unerträglich aufblähende Probleme wie etwa ein paar Euro rauf oder runter für Warmwasser-Kosten-Abzug oder die seit vielen Jahren immer wieder die Sozialgerichte belastende Frage meiner Entmündigung. Zum Beispiel die Untersagung der Energiekostenabbuchung durch meinen Energieversorger und der Zahlung durch das Amt.

Gerade letzteres mag unter normalen Lebensumständen und für Bürger, die frei von Behördeneinmischung ins Privatleben sind, wie Peanuts erscheinen. Aber es wird alle Jahre wieder bei der Jahresabschlussrechnung für Heizung und Strom zu einem unlösbaren Problem. Zwar zieht das Amt mir regelmäßig monatlich den Stromkostenabschlag vom Regelsatz ab. Die Zahlungen an meinen Vertragspartner aber erfüllt es nach Belieben, unregelmäßig und unvollständig. Das kostet mich und den Energieversorger nicht nur regelmäßig sehr viel Zeit, um da halbwegs Klarheit rein zu bringen - denn das Amt ist weder bereit noch offensichtlich in der Lage, exakte Nachweise über seine Zahlungen zu erbringen.

Über die Jahre führt das nun schon beim zweiten Energieversorger zu massiver Rufschädigung gegen mich wegen "meiner" angeblich schlechten Zahlungsmoral. Im Kunden-Ranking bin ich wegen dieser schikanösen Verwaltungspraxis längst ganz unten angekommen und werde auch entsprechend behandelt. Dasselbe ist mir - wegen hinausgezögerter Zahlung des Beitrages durch die Verwaltung - auch mit meiner Hausratversicherung passiert: wenn ich da mal die Hilfe der Hotline benötige und die meine Daten aufrufen, ist Schluss mit Lustig. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was im Schadensfalle passieren würde. Recht habe ich in den meisten Fällen bekommen - allerdings häufig erst nach mühsamem Rechtsweg bis in die zweite Instanz beim Landessozialgericht Darmstadt.

Das hat mir auch schon frühzeitig einen für alle Betroffenen weitreichenden Erfolg beschert: Es hat die schikanösen "Hausbesuche" für sozial- und verfassungsrechtlich unzulässig erklärt. An diesem viel beachteten Urteil vom Januar 2006 war übrigens Landessozialrichter Dr. Jürgen Borchert beteiligt, der jetzt auch für die Prüfung der Regelsätze beim Bundesverfassungsgericht gesorgt hat.

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