Black Metal Theory

Einschwärzung der Theorie - Teil 2

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Black Metal stellt ein Sub-Genre des weitgreifenden Heavy Metals dar und zeichnet sich durch eine Absage an externe Zuschreibungen aus. Die Musiker und die Anhänger verfolgen einen Kult der Autarkie und vor allem der Individualität. Sicher ist es kein Geheimnis, dass sich um die noch so exklusive Musik eine loyale Schar sammelt, die sich nicht nur von der Laienwelt (die keine Musik hört oder wenn, dann nur beiläufig), sondern auch von Nachbarstilen absondert.

Teil 1: Verkehrte Ökologie - Melancology

Begonnen hatte alles in zweiter Generation in Norwegen der frühen Neunziger, als sich Bands wie Mayhem, Darkthrone, Burzum, Emperor, Satyricon und andere gründeten. Die Zerstörung des Selbst wie auch der Welt stand im Vordergrund. Der Vorgänger Death Metal war groß und kommerziell geworden – die Tonträger erschienen mit knallbunten Artworks. Black Metal setzte diesem "Ausverkauf" schwarz/weiß entgegen und manchmal zierte das schlichte Foto eines Vollmonds oder eines mit weißer Farbe im Gesicht geschminkten Musikers das Albumcover.

Black Metal wehrte sich gegen den Ausverkauf eines archaischen, durch und durch gewalttätigen Sounds. Manche der frühen Scheiben dieser skandinavischen Welle schienen mehr die Vertonung eines wildgewordenen Dämons als eine gefällige und auf Zeitvertreib ausgelegte Musik. Die regulären Erwartungen bezüglich einer Freizeitkultur sollten bewusst umgekehrt werden. Umgedrehte Kreuze und Pentagramme waren nur ein besonders plakatives Zeichen dieser Umwertung.1

Abgott beim Black Metal Theory Symposium

Die Künste haben sich dieser Subkultur längst angenommen. Der US-amerikanische Arts School-Abgänger Banks Violette benutzt die Fotografie, die auf dem Cover der Burzum-Scheibe "Aske" zu sehen ist: eine abgebrannte norwegische Stabskirche, um eine eigene künstlerische Installation zu kreieren. Das Skelett der Kirchenarchitektur dient ihm als Vorlage seiner eigenen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Black Metal. Ein anderer Künstler nutzt die Schwarz/Weiß-Ästhetik dieser Subkultur, um sich medial und konzeptionell inspirieren zu lassen. Amelia Ishmael aus Chicago stellt diese Künstler im Kontext einer Black Metal-Ästhetik vor. Doch liefert sie in London noch keine verwendbaren Ansätze, wie diese Ästhetik zu einer Theorie ausgebaut wird, die ihren Ursprung beim Untersuchungsgegenstand nimmt.

Neigung zum Obskuren, Okkulten, Unergründlichen und rechten Ideologie

Es stellt sich die Frage nach den Diskursen, die dem Black Metal als Kultur inhärent sind und ob er einen ganz bewussten Sprachduktus pflegt, der bei einer entsprechenden Berücksichtigung auf die Methodik dieser Black Metal Theory rückwirken kann. Wie kann es sein, dass sich manche Vertreter dieses Musikstils bewusst gesamtgesellschaftlich tabuisierter Themen annehmen? Eine Selbststigmatisierung wird kaum die eigene Botschaft befördern.

Generell ist es noch zu früh, solche Überlegungen anzustellen, wenn auch Liviu Mantescu aus Rumänien ein entsprechendes (handzahmes) Manifest verliest. "Increase the mysteries!" ist seine Devise. Die Geheimnisse nicht zu entziffern, sondern stattdessen noch zu erhöhen, um den Zauber dieser Musik und was mit ihr zusammenhängt, zu wahren. Das teilen nicht alle Theoretiker, die sich diesem Thema nähern.

Gerade, weil der Black Metal eine große Schwäche für Obskures, Okkultes und Unergründliches besitzt, sollte man ihm mit dem Messer zu Leibe rücken. So geschehen in der Monographie "Unheilige Allianzen", die sich auf die Liebschaften zwischen rechtsextremem Rand und schwarzmetallischer Musik einlässt (Aus Hass wird Ernst). Das Buch besitzt jedoch eine politische Färbung, die einer Betrachtung der Materie, aus der sich Black Metal zusammensetzt, entgegensteht. Die Black Metal Theory entfernt sich in Teilen von dieser funktionalen Betrachtungsweise. Man wird dem Phänomen Black Metal keineswegs gerecht, wenn nicht versucht wird, aus der Innenperspektive die Außensicht zu reflektieren. Die Theoretiker beim Londoner Symposium versuchen das, indem sie Texte der Musiker nicht als Spiegel einer Außenwelt, sondern als Ausdruck der inneren Atmosphäre dieser Kulturwelt verstehen.

Black Metal bezieht sich zunächst einmal auf sich selbst und auf seine Vor- wie auch Nachgänger. Mit der verbrecherischen Eruption Anfang der neunziger Jahre (Morde, Kirchenbrandstiftungen) geschah selbstverständlich eine weltliche Mobilmachung vormals ästhetischer und provokatorischer Gesten. Der Zirkel der Eingeweihten, die Subkultur, brach in die Gesamtwelt ein. Spuren blieben kaum welche zurück. Mittlerweile erhalten Black Metal-Bands norwegische Grammys überreicht. So geschehen mit Keep Of Kalessin. Ihre Landsmänner Dimmu Borgir sind mittlerweile längst in den Mainstream eingegangen. Die Wunden der Kirchenbrände verheilten, die Musiker wanderten in den Knast und Varg Vikernes, der seinen Mitmusiker Euronymous der Band Mayhem mit mehreren Messerstichen im Jahr 1993 umbrachte, wohnt jetzt mit seiner Frau und Kindern auf einer Farm in Südnorwegen. Er nimmt weiterhin Platten in dieser Musikrichtung auf. Seine politische Gesinnung blieb unverändert. Ein Großteil der jugendlichen Wilden wurde bereits Familienvater und es stellt sich die Frage, wohin es mit der ungestümen und archaischen Musik geht. Doch die Black Metal Theory nimmt davon Abstand. Sie interessiert sich für ... ja, eigentlich müsste es ja doch der Black Metal sein. Oder doch nicht?

Ein Raum ohne Inhalt lässt sich nicht vorstellen und wenn es nur die Luft in ihren verschiedenen Bestandteilen wäre. So geht die Black Metal Theory vor: Black Metal besitzt eine Geschichte und eine habituelle Struktur. In diesem Raum geschehen Prozesse und Materialien werden eingesetzt, wie auch umgewandelt: zum Beispiel eine antireligiöse Tradition aufgegriffen, entweder als Heidentum oder in der Figur des Satans. Religion, Dogmatik, Literaturgeschichte, Philosophie, persönliche Biographien und eine Infrastruktur, die sich je nach Weltregion unterscheidet, werden thematisiert und verknüpft.

All diese Komponenten bilden das eine Zimmer des Black Metals, das Nebenzimmer kann bereits Viking oder Pagan Metal heißen, die Bank vor dem Gebäude nennt sich Avantgarde und im Dachgeschoß haust unter Umständen die sogenannte "Szenepolizei", die sich nie selbst so nennen würde. Sie wacht über die Einhaltung der Kehrwoche und der Hausordnung, vor allem der Nachtruhe. In New York wie auch London wurden einzelne Möbel aus dem Interieur entwendet und in einem anderen Gebäude neu angeordnet. Erlaubt ist hierbei, was gefällt. Zwar bieten Universitäten den Schutzraum für diese Beschäftigung, doch zweimal fand das BM Theory Symposium in Kneipen statt. Black Metal bleibt, wenn er von seinen Kultisten wirklich geliebt wird, stets im Underground.

Das spricht sich nicht unbedingt in Verkaufszahlen, sondern in der Haltung aus: dem eigenen Willen zu folgen und dabei einen offenen Kopf in alle Richtungen zu bewahren. Der erste Tagungsband Hideous Gnosis erschien in Eigenregie bei einem Print-on-Demand-Service des Internethändlers amazon. Kein akademisches Renommee und keine kommerziell lukrative Auflage. Versteckte Erkenntnis vielmehr, wie der Titel dieses Buchs bereits einräumt, wenn auch ins Negative gewendet (hideous gnosis, hideous bedeutet abscheulich, morphisch ist das "hiding" enthalten), die man erst nach einiger Bedenkzeit entdeckt. Die Möbelstücke werden aus dem Raum Black Metal entwendet und an einem neuen Ort aufgestellt. Zu welchem Zweck? Haben diese Zusammenkünfte in halb-akademischem Licht einen Sinn?

the first rule of black metal is that YOU DO NOT FUCKING TALK ABOUT BLACK METAL

Die Selbstvergewisserung des Heavy Metals und seiner Subgenres geschieht durch Ausschluss des Unpassenden. In der Geschichte der Subgenres gab es jedoch immer wieder konzeptionelle Überschneidungen. So behandelt der Death Metal seinem Namen gemäß nicht nur Themen des Todes, sondern nimmt sich bei manchen Musikgruppen auch der Beschäftigung mit Mystizismus und Okkultismus an. Der Thrash Metal hingegen spaltete sich in eine politisch besonders bewusste Richtung ab, die aktuelle Notlagen thematisiert. Macht dann überhaupt eine Black Metal Theory Sinn und wäre es nicht effizienter, weiterhin Metal Studies auf den gesamten Musikstil bezogen zu betreiben?2

Es bietet sich an, Black Metal gesondert zu betrachten, da in ihm eine fortschreitende Intellektualisierung zu bemerken ist. Musiker beginnen, Romane zu verfassen, an Kunstausstellungen teilzunehmen, Mailinglisten zu ästhetischen Fragen zu gründen, sich internationalen Kunstgruppen anzuschließen, um Performances, Konzerte und Lesungen zu veranstalten. Was steckt in dieser Subkultur, dass sie sich inzwischen gut zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung nach anderen Ufern umschaut? Dieser Frage geht die Black Metal Theory nach, wenn auch auf unorthodoxem Wege. Statt die Infrastruktur oder die Inhalte in einer Übersicht zu erforschen, wird der Black Metal durch eine essayistische Erkundung herausgefordert – zur Positionierung.

Man spricht nicht über ihn, sondern fühlt und kreiert ihn. Andererseits grenzt sich Black Metal stark von anderen Subgenres des Metals ab, was zu einer ständigen Suche nach neuen Themen führt. Wenn über Black Metal in der Theorie gesprochen wird, dann auf hohem Niveau. Die Black Metal Theory geht einerseits vom szeneeigenen Diskurs (Figuren) wie auch von der Materialität der Musik aus. An einigen Beispielen sollte dieser methodische Zugang veranschaulicht werden, um ein besseres Verständnis zu erlangen.

Der Anspruch, innerhalb der Metalszenen Elite zu sein, speist sich aus einer Ästhetik der Avantgarde. Im Metalkorsett die musikalischen und konzeptionellen Grenzen so weit als möglich auszudehnen und irgendwann die Provokation gegen die Außenwelt in die Opposition gegen die Innenwelt der Szene zu richten. So kleidet sich der Sänger der finnischen Band Enochian Crescent in Frauenkleidern und statt Corpsepaint (weiße Farbe auf dem Gesicht als Totenmaske) nutzt er roten Lippenstift. Das auf Konzerten einer Szene, die sich besonders martialisch und männlich gibt, das Ideal des heidnischen Kriegers hochhält.

Ähnlich ist Aspasia Stephanous Untersuchung zur Geschlechterverteilung im Extrem-Metal zu verstehen: anhand des Märchens von Rotkäppchen geht sie dem Verlust der Unschuld nach, der männlichen Stimme, die die Kontrolle selbst in einer so radikalen Subkultur wie dem Black Metal übernimmt. Diesen Essay kann man in Hideous Gnosis nachlesen.

Provokation oder gefährliche Überzeugungen?

Ein Teil der Szene ergeht sich in Primitivismen, Archaismen, Atavismen, die als längst überwunden geglaubt wurden. Die gefährliche Mischung zwischen heidnischen Szenarien und politisch totalitären Systemen wurde bereits angeschnitten; selbst für Insider ist es in manchen kuriosen Fällen schwer zu unterscheiden, was schlicht Provokation und was Überzeugung ist. Die Existenz eines Subgenres des Black Metals, das sich ausschließlich der NS-Propaganda widmet und vereinzelt auch Verbindungen zu rechtsextrem-politischen Szenen unterhält, ist kaum zu verhehlen, wenn über die Intellektualisierungsprozesse im Avantgarde Metal gesprochen werden soll: NS-Black Metal, kurz auch: NSBM.

Ein anderer Teil der Szene beginnt, Romane zu schreiben, Manifeste zu verabschieden und sich schließlich an anderen Stilen zu erproben. Cornelius Jakhelln von der norwegischen Band Solefald gewinnt im Jahr 2007 einen hochdotierten Buchpreis des Verlags Capellen, der als eines der größten Häuser des Landes gilt. "Gudenes Fall" behandelt die verrückt gewordene Götterwelt Islands und das seltsame Norwegisch, das Odin und seine Götter sprechen. Ein Kritiker schreibt, man bekomme Kopfschmerzen von Jakhellns Norwegisch in diesem Roman, und gerade deshalb überzeuge das Werk. Unlängst gründete derselbe Musiker einen Think-Tank zu Literatur und harter Musik. Diese Denkwerkstatt ist in die internationale Kunstgruppe Art Militia eingegliedert.

Daniel Salte aka Daniel Vrangsinn, Bassist bei der norwegischen Black Metal-Band Carpathian Forest, betreibt eine Webseite, auf der sowohl englischgeschriebene Literatur wie auch rare Demoaufnahmen diverser Bands veröffentlicht werden, alles auf Do-It-Yourself-Basis. Vrangsinn schreibt nun selbst an einem Buch, in dem er nach eigener Aussage: "eine Trilogie um Leben, Liebe, Religion und Existenzialismus anstrebe, die Moon Psychedelia-Sammlung, Phobia & Taboo werden als Teil der "Kunst, Götter aus der Existenz herauszudenken" erscheinen, da die ganze Dichtung und Schriften, die ich in den letzten zwei bis drei Jahren verfasste, zusammenhängen und die Musik sich ebenso einfügt." (aus einer Mail vom 08. Februar 2011)

Carpathian Forest Logo

Erlend Erichsen, der früher Drums bei Molested und Gorgoroth spielte, schrieb 2010 seinen zweiten Roman "Sol under jorden" und veröffentlichte bei Cappelen Damm. Black Metal goes intellectual. Sein Roman "Nasjonalsatanisten" greift die für Black Metal-Kreise typische Polarisierung auf und verbindet zwei Wespennester in einer Handlung, die eine norwegische Band namens Stormvold (die fiktiv zu sein scheint) und ihren Aufstieg zum Thema macht. Dies stellt häufig die Laienwelt vor ein Problem, denn es stellt sich letztlich die Frage, was schlichte Provokation und was tatsächliche Überzeugung ist.

Nader Sadek, ein US-Amerikaner, der das Bühnendesign für die nordamerikanische Tour der Band Mayhem gestaltete, entschied sich, eine Band mit bekannten Musikern des Black und Death Metals zu gründen, die unter seinem Namen firmiert, Videos dreht und Kunst-Installationen herstellt. Das sind nur einige, wenn auch bekanntere Beispiele.

Das Problem der Orientierung mancher Black Metal-Gruppen in Richtung Neofaschismus und Rechtsextremismus darf nicht übergangen werden. Die bei Dornbusch und Killguss in den „Unheilligen Allianzen“ genannten Bands partizipieren teils an der Black Metal-Szene mit. Diese Gruppen spielen mit dem Tabu und behandeln vorwiegend die beiden Weltkriege und gefallen sich, ähnlich wie die slowenische Avantgarde-Gruppe Laibach, in der ästhetischen Uniformierung mit entsprechender Militärkluft. Die politische Tat bleibt aus. Doch existieren daneben noch Gruppen, die sich deutlich in die nationalsozialistische Ideologie einreihen. Die Bandnamen wie auch Texte und Albumtitel lassen keine Zweifel bezüglich ihrer politischen und weltanschaulichen Orientierung aufkommen.

Diese Bands werden vom Gros der Black Metal-Szene nicht toleriert. Man muss hierbei zwischen einer generell menschenfeindlichen Haltung und antisemitischen wie auch rassistischen Äußerungen deutlich trennen. Eine generelle Kooperation mit Neonazi-Szenen lässt sich nicht konstatieren. Immer wieder gehen Fälle dieser Art durch die Metalszene und werden weit und breit diskutiert, denn zu dieser Musikrichtung gehört die Provokation immer noch dazu, wie die Butter aufs tägliche Brot. So zum Beispiel wenn der Sänger Philip „Freki“ Seiler der Pagan Metal-Band Varg auf einem Foto mit einem Absurd-Shirt gesehen wurde. Problematisch scheint hier auch der Titel der aktuellen Scheibe „Blutaar“ zu sein. Sicher kann man überzeugenden Black Metal auch ohne diese plumpe Referenz auf Tabus kreieren. Ein Stück weit lebt der Metal in all seinen Schattierungen immer noch davon.

Der Musikgruppe Riger aus Frankfurt/Oder ergeht es ähnlich, da sie auf Runen und eine germanische Frühgeschichte verweisen. Die Bearbeitung archaischer überwunden geglaubter Archetypen gehört zu einer der zentralen Überzeugungen des Black Metals. Besonders in Deutschland gehören die heidnischen Kulturen durch politischen Missbrauch in eine gefährliche Grauzone. Dass jedoch hier ein breites Spektrum wahr- und ernstgenommen werden muss, beweist besonders die zunehmende Intellektualisierung der Szene, die sich deutlich von politischen Totalitarismen absondert. Gerade die Einschätzung der zuweilen provokanten Bild- und Textsprache fordert eine ausgiebige Beschäftigung mit der Theorie des Black Metals. Sie kann hierbei zu unterscheiden helfen, was wie in welchem Kontext gemeint ist.

Die Black Metal Theory schaltet sich an diesen Nahtstellen ein, und versucht sich selbst in der essayistischen Annäherung an diesen postmodernen Widerspruch. Die Erforschung einer Subkultur wird hierbei der Soziologie und den Kulturwissenschaften überlassen, die Black Metal Theory möchte die Theorie einschwärzen. In letzter Konsequenz bleiben die Texte, die diese Art von Theorie generiert, wie literarische und künstlerische Texte ergebnisoffen. Die Argumentation wird zuweilen der bloßen Freude am Formulieren geopfert. So wenn Steven Shakespeare Reflektionen zum Haltbarkeitsdatum dieser Spielart des Heavy Metals anstellt und zum Schluss kommt: "This black metal ungrounds itself by going to ground."

Auch der Stillstand in der Bewegung in dieser Musik rückt in den Fokus: einerseits akustisch wahrnehmbar, da Gitarristen auf einem Riff stehenbleiben und dieses mehrere Takte lang wiederholen, um eine Atmosphäre zu schaffen. Auf der anderen Seite die stark ausgeprägte Loyalität der Aktivisten zu ihrem Szenekodex, der jedoch – was dieser Musik inhärent ist – immer wieder aufgebrochen wird. Anfang der Neunziger galten Keyboards und weiblicher Gesang als tabu. Mittlerweile etablierte sich ein eigenes Sub-Genre, das bewusst auf Bombast setzt. Modisch bekennen sich Musiker dieser Bands zu einem Gothic-Flair, indem sie Netzhemden, schwarze Lederhosen und Gladiatorboots oder zumindest Stiefel tragen. Anleihen aus der Sadomaso-Szene kommen hinzu. Es scheint, diese Bands inkorporieren ein Szenario Bataillescher Provenienz. Das könnte daher rühren, dass die Black Metal-Theoretiker mit Vorliebe Georges Bataille, aber auch Jacques Lacan, Sigmund Freud, Jean Baudrillard, Paul Virilio und Gilles Deleuze zitieren, um ihre Reise in die Tiefen des Black Metals entsprechend trittfest zu machen?

Liebe ist im Black Metal ein Fremdwort

Black Metal Theory versucht sich an einer Intellektualisierung der Heavy Metal-Szene, die sich bereits in manchen Teilen der Szene vollzieht. Auf umfangreiche Monographien zum Thema wartet man noch. Doch vielleicht wird die fragmentierte Form dem Gegenstand am besten gerecht: die Dekonstruktion des Pathos, der dem Metal inhärent ist und die Ausweitung der metallischen Grenzen hin zum Noise, zur Auflösung der Songstrukturen, ja hin zur Philosophie der Akustik. Diese wird praktisch umgesetzt, wenn manche Musiker versuchen, Naturphänomene wie Schneesturm oder Hagel akustisch umzusetzen.

Roger „Nattefrost“ Rasmussen, Sänger und Gitarrist der Band Carpathian Forest

Eine Abhandlung wie "Unheilige Allianzen" von Dornbusch und Killguss zeichnet ein anderes Bild als die Black Metal Theory, die nicht von einem rein provokativen oder misanthropischen Standpunkt ausgeht. Die Fähigkeit, sich selbst zu beobachten, auch wenn die Wut aus dem Leib gekreischt wird, führt zu einem neuen Verständnis von Metalmusik, und letztlich zu einer Aufregung in der Theorie. Fiktion mischt sich in die Theorie. Theory Fiction in Form des Negarestani-Buchs "Cyclonopedia" entsteht.

Die Ausgangssituation ist gut vorstellbar: Ein Student macht sich in eine bislang unbekannte Welt auf, zum Beispiel nach Georgien und trifft dort auf Notizen und auf ein zerfilztes Buch in der ortsansässigen Bibliothek. Darin wird Mythologie beschrieben und an der Seite haben anscheinend Schüler in ungelenken lateinischen Lettern die Namen von norwegischen Black Metal-Bands geschrieben: Satyricon, Darkthrone, Storm, Black Sea, Carpathian Forest, Solefald, Arcturus und Emperor. Dies ist der Beginn einer persönlichen Geschichte, die aus einem unbekannten und deshalb faszinierenden Gegenstand eine Lebensphilosophie entwickelt, indem bestehende Traditionen kommentiert werden. Dies mag mitunter ein wesentlicher Grund dafür sein, dass die Black Metal Theory im akademischen Metalforschungsrahmen kritisch beäugt wird.

Carpathian Forest Booklet

Auf der anderen Seite stößt das Theoretisieren über eine Passion in gewissen Kreisen der Szene auf Ressentiments. Wer sich im Black Metal bewegt und sich mit dessen Entwicklung auseinandersetzt, wird die Individualität immer höher als Grenzziehungen schätzen. Der Impetus des Black Metals, den Dingen auf den Grund zu gehen, aus einem zerstörerischen Willen zur Selbstzerstückelung, ähnelt dem Drang theoretischer Erkenntnis, bis zum Grund der Dinge vorzustoßen. Es wird dekonstruiert, um etwas Unterliegendes zu finden.

Vielleicht haben doch manche kritische Stimmen Recht, dass das schwarze Metall aus einem Missverständnis entstanden ist und die Spirale weitergedreht wird, weil die liebende Anerkennung unterbleibt. Liebe ist im Black Metal ein Fremdwort. Es geht um Befreiung aus allen Fesseln und gesellschaftlichen Tabus, und das mit aller Gewalt. Vielleicht kann die Black Metal Theory beim Selbstverständnis helfen, ohne den rohen Kern dieser Musikrichtung ganz in Beliebigkeit und Anpassung aufzulösen. Dass der Black Metal anders kann, beweist die Black Metal Theory, die dieses wilde Biest ein Stück weit zähmt, aus Liebe zu ihrem Ursprung. Die Theorie zähmt gerne das Widerspenstige, das immer wieder ihrem Griff entweicht.

Literatur

  1. Dornbusch, Christian und Hans-Peter Killguss: Unheilige Allianzen. Black Metal zwischen Satanismus, Heidentum und Neonazismus, Münster 2005: Unrast Verlag.
  2. Kahn-Harris, Keith: Extreme Metal. Music and Culture on the Edge, Oxford und New York 2006: Berg Publishers and Books.
  3. Masciandaro, Nicola (ed.): Hideous Gnosis. Black Metal Theory Symposium I, New York 2010: createspace.
  4. Moynihan, Michael und Didrik Søderlind: Lords of Chaos. The Bloody Rise of the Satanic Metal Underground, Los Angeles 2003: Feral House.
  5. Negarestani, Reza: Cyclonopedia. Complicity with anonymous materials, Melbourne 2008: re-press.

Dominik Irtenkauf, *1979, freischaffender Journalist für Legacy, satt.org und textem.de; berichtet über und trägt zur Metalforschung vor; mehrere Buchveröffentlichungen, u.a. auch in der Belletristik; Schwerpunkt in der Forschung: Ästhetik, Mythologie, Hermetik, Avantgarde-Bewegungen, Subkultur, Medien und interkultureller Dialog, mit besonderem Fokus auf Georgien und die Kaukasusregion.

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