Quantisierte Sphärenmusik

Bausteine der Materie. Bild: DESY

Am LCH-Experiment beim CERN in Genf soll das legendäre Higgs-Teilchen auch "hörbar" gemacht werden

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Nach dem am 20. Februar erfolgten Restart des Large Hadron Collider (LHC) beim CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) werden in dem 27 Kilometer langen Tunnelring alsbald Protonen auf 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und miteinander kollidieren. Dann dringen die CERN-Forscher in physikalische Bereiche vor, die noch nie zuvor ein Mensch beobachtet hat. Beobachten ist eine Sache - hinhören aber eine andere. Genau dies hat sich auch eine Gruppe von Teilchenphysikern, Musikern und Künstlern mit Blick auf die LHC-Experimente gedacht. Sie haben mithilfe einer speziellen Software ein Verfahren entwickelt, mit dem sich die gesammelten Daten nicht nur zu visualisieren, sondern auch in Töne, sprich in Musik umwandeln lassen. Bislang haben sie nur mit simulierten Daten "komponiert." Die von ihnen angewandte Sonifikation ("Verklanglichung") hat zwar auf einigen anderen technisch-wissenschaftlichen Gebieten längst Anwendung gefunden, könnte sich aber tatsächlich als gute Ergänzung bei der Auswertung des LHC-Datenbergs erweisen.

Bunter Teilchenzoo

Was soll man von dem wirren Treiben im Teilchenzoo halten, der sich uns als unübersichtliches und artenreiches Etwas begegnet, bei dem selbst der erfahrenste Teilchenphysiker schon einmal den Überblick verlieren kann? Wie kann man Ordnung und Übersicht in die Vielfalt der kleinsten Bausteine der baryonischen Materie bringen, der gewöhnlichen, leuchtenden Materie des Universums, aus denen alle chemischen Elemente aufgebaut sind? Gelingt es den Teilchenforschern jemals, alle Partikel mittels einer Theorie unter einen Hut zu bringen und einheitlich zu beschreiben?

Leicht ist ein derartiges Unterfangen nicht. Schließlich geben im Konzert der eigenwilligen Partikel mehrheitlich Solisten den Ton an. Tummeln sich auf der atomaren Ebene nur drei Repräsentanten der baryonischen Materie (Elektronen, Protonen und Neutronen), so buhlen im subatomaren Kosmos derzeit zwölf bekannte verschiedene Sub-Elementarteilchen, sechs Quarks und sechs Leptonen (die sich in je drei "Familien" oder auch "Generationen" aufteilen) um Aufmerksamkeit. Auf den ersten Blick sieht es danach aus, als fristeten in jeder Familie zwei Quarks und zwei Leptonen ein subatomares Dasein. In Wahrheit jedoch gestalten sich die familiären Verhältnisse etwas komplizierter, beschreibt doch das Standardmodell der Elementarteilchenphysik die Materie im Kosmos durch acht fundamentale Objekte, die Mitglieder der ersten von drei Quark-Lepton-Familien sind. Dazu gehören die "Up- und down-Quarks", die Konstituenten der Protonen und Neutronen und natürlich das auf atomarer Ebene angesiedelte Elektron.

Die Exotischen

Im materiereichen Universum der Quanten sind aber auch die exotischen, nahezu masselosen und elektrisch neutralen Neutrinos zuhause, die wie die Elektronen zur Familie der Leptonen gehören. Von den Feldquanten der die Wechselwirkung vermittelnden Kraftfelder sind nur das Photon und das hypothetische Graviton masselos, entsprechend der unendlichen Reichweite des Gravitationsfeldes und des elektromagnetischen Feldes.

Computersimulation des Zerfalls eines Higgs-Teilchens im Detektor des International Linear Collider ILC. Bild: DESY

Vielleicht erstreckt sich eine oder mehrere Ebenen unter dem Quarks-Kosmos noch das Universum der Strings, die laut Theorie nicht punktförmig sind, so wie wir uns Quarks und Leptonen vorstellen, sondern eine Ausdehnung in einer fadenförmigen Schlaufe (String) oder in zwei Dimensionen (Membran) besitzen.

Peter Higgs zu Besuch beim CERN. Im Hintergrund das CMS-Experiment. Bild: CERN

Und womöglich gibt es da noch ein unbekanntes Teilchen, das erklären könnte, woher alle die bislang detektierten Partikel ihre Masse beziehen. Kernphysiker haben dieses hypothetische Teilchen nach seinem "Entdecker", dem britischen Physiker Peter Higgs (geb. 1929), benannt. Die Frage, ob das Higgs-Teichen, das weder einen Spin noch eine Ladung hat und mit den Energiepaketen (Austauschteilchen) des Higgs-Feldes verknüpft ist, der Schlüssel zur quantenmechanischen Weisheit ist, könnten im Verlaufe der nächsten Monate und Jahre die Experimente am LHC beantworten.

Higgs als Tonträger

Da das Higgs-Boson bis heute noch nicht nachgewiesen werden konnte, richten sich die Hoffnungen der Teilchenphysiker seit geraumer Zeit auf die LHC-Experimente am CERN in Genf. Ließen sich während der Suchläufe Higgs-Teilchen nachweisen, bekämen vor allem die Astrophysiker wertvolle Informationen über die Urphase des Kosmos.

Wer jedoch mithilfe der Beschleunigeranlage in Genf ein Higgs-Partikel dingfest machen will, braucht Geduld und Zuversicht. Denn obwohl jede Sekunde 600 Millionen Mal Protonen mit anderen Partikeln aufeinanderprallen, erwarten die Physiker nur einmal pro Minute ein Higgs-Teilchen. "Eine Nadel im Heuhaufen ist dagegen leichter zu finden", konstatiert Joachim Mnich vom Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) nüchtern.

Werbebanner LHCsound. Bild: Toya Walker

Gäbe sich als Folge eines Crashs ein Higgs-Teilchen tatsächlich zu erkennen, klänge dies nicht nur wie Musik in den Ohren der CERN-Physiker. Vielmehr könnte in diesem Fall das Higgs-Teilchen selbst zu einer Art "Tonträger" avancieren.

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