Erneuerbare Energien als Perspektive für den Maghreb

Ideenskizze für eine mögliche Strominfrastruktur unter Einbeziehung von Europa und des gesamten Mittelmeerraums. Die Quadrate in der Sahara veranschaulichen die Fläche die notwendig wäre, um mit solarthermischen Kraftwerken den Strombedarf der Welt (18.000 TWh/a, 300x300 km²), der EU (3.200 TWh/a, 125x125 km²) und Deutschlands bzw. MENA (Middle East and North Africa, ca. 600 TWh/a, 55x55 km²) zu erzeugen. Bild: desertec.org

Die Energie- und Klimawochenschau: Die Erneuerbaren Energien können Entwicklungsimpulse und Chancen geben und so die Demokratisierungsprozesse langfristig unterstützen.

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Energiepolitisch gesehen tauchen die Länder des südlichen Mittelmeers in unserer Wahrnehmung bisher vor allem als Energielieferanten in spe für Europa auf. Das Desertec-Projekt setzt auf die Nutzbarmachung der regenerativen Energiepotentiale - auf Windenergie in Marokko und große Photovoltaikanlagen und Parabolrinnenkraftwerke im Landesinneren. Denn Nordafrika hat in dieser Hinsicht vieles zu bieten, was Europa gerne hätte: viel Fläche, viel Wind und eine mit durchschnittlich 2000 kWh/(m²*a) doppelt so hohe Solarstrahlung wie bei uns.

Dazu kommt, dass der Anteil an direkter Solarstrahlung sehr viel höher liegt, was den Bau von leistungsfähigen solaren Konzentratorkraftwerken mit Parabolrinnen oder Spiegeln möglich macht und so die solare Energiegewinnung bis in die Nachtstunden ausdehnt. Im Maghreb sind so kleine dezentrale Anlagen zur ländlichen Elektrifizierung ebenso eine Option wie Solar- und Windkraftanlagen im Kraftwerksmaßstab – und beides wird gebraucht.

Aufbruch aus postkolonialen Strukturen

Aus bisheriger europäischer Energieperspektive spielen vor allem drei Länder des Maghreb eine große Rolle. Marokko, Tunesien und Algerien, denn aufgrund ihrer geographischen Lage lässt sich die Anbindung dieser Länder über leistungsfähige Gleichstromkabel (HGÜ) bis nach Europa am leichtesten bewerkstelligen. Eine Leitung zwischen Spanien und Marokko besteht zudem bereits. Aber auch zwischen Spanien, Italien, Algerien und Tunesien sind vier weitere Leitungen in der Projektierungsphase.

Desertec sieht den demokratischen Umbruch im Maghreb deshalb als Chance. Paul van Son, Chef der Desertec Projektgesellschaft Dii, sagt: "Die politischen Veränderungen können den erneuerbaren Energien auch einen Schub geben, weil dadurch Arbeitsplätze entstehen und die Industrialisierung vorankommt."

Die vielgepriesene "politische Stabilität", deretwegen die autokratischen Regime in Nordafrika von westlichen Politikern bisher wohlgelitten waren, war vor allem auch eine Ära der Stagnation, Korruption und Chancenlosigkeit für alle diejenigen, die nicht zur Klientel der jeweiligen Regime zählten. Die vermeintlich stabilen Regierungen waren so auch im Sinne technischer Zusammenarbeit ein Unsicherheitsfaktor. Demokratischer Wandel und plurale Entscheidungs- und Entwicklungsstrukturen können das ändern.

Wie sehr die Regierungen der Maghreb-Staaten bisher im jeweils eigenen Saft kochten und vorrangig mit dem eigenen Machterhalt befasst waren, zeigt ein Blick auf ihren bisherigen Handelsbeziehungen, die alles andere als gutnachbarschaftlich, geschweige denn panarabisch waren. Der Handel zwischen Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten machte 2007 nur etwa drei Prozent des gesamten Warenumsatzes der Region aus. Noch immer herrschen quasi postkoloniale Warenbeziehungen nach Europa vor, mit Rohstoffexport und kaum weiterverarbeitendem Gewerbe.

Erneuerbare Energien vor Ort in den Maghreb-Ländern nutzen

In gewisser Weise steht Desertec auch für Denken in alten Beziehungsmustern. So wie bisher Erdgas und Erdöl importiert werden, soll es dann in Zukunft eben Strom aus der Nordsahara sein. Das Projekt stellt damit auch eine Flucht dar, vor der langwierigen, weil kleinteiligen und komplexeren Aufgabe, eine tragfähige regenerative Energieversorgung mit eigenen Mitteln auch unter einem oft bewölktem mitteleuropäischen Himmel aufzubauen. Insofern bietet Desertec der hiesigen Politik auch eine Art Eskapismus und Entschuldigung dafür, warum jetzt unbedingt Laufzeiten verlängert, Energiepreise für Erneuerbare gekürzt werden sollen oder Stromnetze plötzlich nicht mehr leistungsfähig genug sind, um mehr Wind und Sonnenstrom aufzunehmen.

Und so, wie die Rückkehr zu zentralen Versorgungsstrukturen bei uns keinen Wandel mit sich bringt, brauchen auch die Länder des Südens ihre Energie vor allem im eigenen Land selbst zum Aufbau neuer lokaler (Versorgungs-)Strukturen. Der Norden kann dabei vor allem in der technischen Zusammenarbeit konstruktiv zum gegenseitigen Nutzen von neuen Strukturen und Kooperationen mitarbeiten, die weit über bloße Energieexporte hinausgehen. Und so den schon heute häufig gutausgebildeten Menschen im Maghreb Perspektiven in ihren Ländern geben.

Viele Menschen in den Ländern des Maghreb sind gut ausgebildet. Die Alphabetisierungsrate liegt zwischen 48 und 79 Prozent. Aber die Zukunftsaussichten waren bisher miserabel und bieten so vor allem den Jungen wenig Perspektiven im eigenen Land. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt überall weit unter 5.000 US $ / Jahr, nur im Ölland Libyen etwas höher.

Dazu kommt, dass der Energieverbrauch in den Ländern des Maghreb derzeit pro Jahr um gut 5 Prozent (Stromverbrauch um 8-9 Prozent) steigt und zu 96 Prozent auf fossilen Energieträgern, vor allem dem Öl, basiert. Das ist ein weiteres Argument dafür, dass die hervorragenden Bedingungen für die regenerative Energiegewinnung in den sich entwickelnden Demokratien des Südens vorrangig für die lokalen Bedürfnisse nutzbar gemacht werden sollten. Für Arbeitsplätze und Einkommen, Bildungsperspektiven, die Elektrifizierung netzferner Regionen mit dezentralen, auf Inselsystemen basierenden Stromversorgungsnetzen (auch für funkbasierte Kommunikation), für mehr Unabhängigkeit von den eigenen schwindenden Ölvorräten und eine sichere Wasserversorgung.

Erneuerbare Energien können so die Energieversorgung und die Perspektiven bieten für viele Menschen im Maghreb, die heute noch einem Traumbild vom goldenen Europa nachhängen, weil ihre eigenen Länder ihnen bisher kaum Zukunftsperspektiven geboten haben.