Standhaftere Netzwerke

Die Infrastruktur der modernen Zivilgesellschaft ist in der Regel netzwerkförmig organisiert. Wie lässt sich solch ein Netzwerk so organisieren, dass es Angriffen möglichst gut standhält?

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Es gehört zu den Gegebenheiten der globalisierten Gesellschaft, dass auch kleiner Störungen größere Auswirkungen haben können. Alles hängt inzwischen irgendwie mit allem zusammen - der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt, kann unter Umständen nun doch Auswirkungen auf die europäischen Börsen haben. Ob in der Technik oder in der Wirtschaft, Netzwerke bestimmen die Strukturen. Damit nicht stets alles zusammenbricht, wenn eine Komponente ausfällt, baut man in der Regel zusätzliche Verbindungen ein - trotzdem stört etwa ein Vulkanausbruch in Island das Netz der weltweiten Flugverbindungen auf extreme Weise.

Noch empfindlicher sind jedoch das Stromnetz und das Backbone der Internet-Provider, wie ein internationales Forscherteam in den Veröffentlichungen der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS) zeigt. Die Wissenschaftler haben ein neues Maß für die Robustheit von Netzen erdacht, das nicht nur die Struktur des Netzes im Grundzustand einbezieht, sondern dynamisch auch die sich durch Angriffe ergebenden Ausfälle berücksichtigt, bis das komplette Netz zusammengebrochen ist. Der R genannte Faktor kann zwischen 1/N (N ist die Anzahl der Knoten) und 0,5 liegen.

Ein Robustheitswert von 0,5 wäre ideal: ein Netz, in dem jeder Knoten mit jedem anderen verbunden ist. Solch einen Zustand zu erreichen, ist genauso unrealistisch wie das andere Extrem, ein Netz in Sternform, bei dem alle Verbindungen von einem zentralen Knoten ausgehen - ein einziger erfolgreicher Angriff würde die komplette Infrastruktur lahmlegen.

Anhand der verfügbaren Daten für das europäische Stromnetz und des weltweiten Internet-Backbone berechnen die Forscher in ihrem Paper die Robustheit dieser Netzwerke - und stellen fest, dass es sich um vergleichsweise fragile Konstruktionen handelt. Für das Stromnetz liegt R bei 0,066, für das Internet-Backbone bei R=0,069 - das weltweite Airline-Netzwerk hingegen kommt auf 0,095. Man muss dazu wissen, dass R sich nicht linear verhält, es ist ungleich schwerer, von 0,1 auf 0,11 zu kommen als von 0,09 auf 0,1.

Und trotzdem hat ein gewisser Vulkan von Island aus dem globalen Luftverkehr erhebliche Probleme bereitet. Beim Stromnetz würden kleinere Störungen genügen: Müsste nur jedes zehnte Kraftwerk abschalten, bräche das Netz zusammen. Bei Internet-Backbone müssten zum selben Zweck zwölf Prozent aller Knoten ausfallen. Dass das Netz als besonders katastrophensicher konstruiert wurde, kann man also getrost ins Reich der Legenden verweisen.

Kosten für Sicherungs-Änderungen gehen „in die Milliarden“

Wie lässt sich dieser Zustand ändern? Auch dazu haben die Forscher Vorschläge errechnet. Dabei gehen sie davon aus, dass aus Kostengründen die Gesamtlänge aller Netzverbindungen nicht verändert werden sollte. Außerdem setzen sie voraus, dass es einfacher ist, eine Verbindung zu verlegen, als den Grad eines Knotens zu erhöhen. Daraus ergibt sich die Anforderung, bei allen Veränderungen die Anzahl der Verbindungen ebenso konstant zu halten wie den Grad der Knoten.

Verändert man die realen Netze nun mit den von den Autoren vorgeschlagenen Algorithmus, ergeben sich überraschende Resultate: Man bräuchte nur 5,5 Prozent aller Verbindungen zu verändern, also etwa jede zwanzigste, um die Robustheit des Internet-Backbone um 55 Prozent und die Ausfallsicherheit des Stromnetzes um 45 Prozent zu steigern.

Christian Schneider, einer der Forscher, schätzt gegenüber Telepolis, dass die Kosten für diese Änderungen „in die Milliarden“ gehen würden - man muss diesen Ausgaben allerdings die Verluste gegenrechnen, die bei einem Totalausfall zu erwarten sind. Schneider hat sogar konkrete Tipps parat: „Die ersten beiden Links, die man verändern muss, um 15 Prozent robuster zu sein, sind in Norditalien an der Schweizer Grenze.“ Ebenfalls oben auf der Effizienzskala liegen Verbindungen zwischen Deutschland und Polen und in Frankreich.