Wer hoch stapelt, kommt ganz nach oben?

An Guttenbergs Vita ist kaum etwas echt

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Seinen Doktor ist Freiherr zu Guttenberg nun zügig und ohne großen Aufhebens los (Guttenberg und die Herrschaft des Unbewussten). Die Universität kam dem Wunsch des Verteidigungsministers nach Aberkennung des Doktorgrades, gedruckt auf dem Papier mit Bundesadler im Briefkopf, nur zu gern nach und verzichtete ob der Kooperationsbereitschaft des Prädikatsjuristen sogar auf eine Prüfung der Betrugsabsicht. Er werde "selbstverständlich aktiv mithelfen", ob ein wissenschaftliches Fehlverhalten vorliege. Die Mithilfe hat nun dazu geführt, dass die Entscheidung der Universität Bayreuth, ganz dem Wunsch von Minister und der Bundesregierung entspricht. So sollen die Rücktrittsforderungen vom Tisch gewischt werden. Doch selbst wenn zu Guttenberg bei seiner Dissertation ehrlich gearbeitet hätte, gibt es in seinem Lebenslauf genügend Ungereimtheiten, die für einen Rücktritt reichen sollten.

Als Karl-Theodor vor zwei Jahren zum Wirtschaftsminister ernannt wurde, kam zunächst Kritik auf. Der Freiherr sei möglicherweise ein fähiger Außenpolitiker, Wirtschaftskompetenz aber fehle ihm, so der Tenor nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus der Koalition, beispielsweise von Otto Bernhardt (CDU), der mittlerweile aus dem Bundestag ausgeschieden ist und in Berlin als Politik- und Unternehmensberater arbeitet. Die Ernennung von zu Guttenberg zeige, dass es um die wirtschaftspolitische Kompetenz der Union schlecht bestellt sei, so das vernichtende Urteil Bernhardts damals.

Der Minister allerdings gab sich die größte Mühe, keinen Zweifel an seiner Kompetenz aufkommen zu lassen und präsentierte sich gerne als ein Mann mit Erfahrungen in der freien Wirtschaft. "Geschäftsführer" gibt zu Guttenberg noch heute in seiner Biografie als Tätigkeit vor seiner politischen Blitzkarriere an. Auf diese Erfahrung legte der junge Minister in seinen ersten Reden großen Wert, die Zeitungen berichteten, er sei "geschäftsführender Gesellschafter des Familienunternehmens Guttenberg GmbH, einem Fachgroßhandel für Trockenbau, Isoliertechnik und Dämmstoffe". Doch das war schlicht falsch, mit zu Guttenberg hatte die Firma nie zu tun. Das Ministerium selbst wies Journalisten, die nach den Erfahrungen des Ministers in der Unternehmensführung fragten, auf den Fachgroßhandel hin. Am Ende entpuppte sich die großspurig angekündigte Erfahrung des Ministers als ein Bluff. Er leitete lediglich eine kleine Firma, die das Vermögen der Familie verwaltete. Aktiv hat der Minister allerdings nicht die falsche Berichterstattung aufgeklärt - zu gern wollte er sich offenbar in dem Glanz sonnen, in dem die schlecht recherchierten Berichte ihn strahlen ließen.

Schon damals hätte das Auftreten zu Guttenbergs zu deutlich kritischeren Nachfragen führen müssen - passiert ist dies jedoch nur in Einzelfällen. Doch nicht nur in Bezug auf seine Erfahrungen im Familienbetrieb neigte zu Guttenberg gern zu Übertreibungen. Er habe mit teilgenommen "an einem Gang, den die Familie mit begleitet hat" - und zwar federführend, erklärte Guttenberg im Februar 2009. Gemeint ist der Börsengang des Rhön-Klinikums im Jahr 1988 - da war der Minister gerade einmal 17 Jahre alt. Eine erhebliche Doppelbelastung neben dem Abitur, die einige Beobachter schon damals auf die Idee brachte, zu Guttenberg sei möglicherweise ein "Aufschneider".

Doch auch bei seinen weiteren Stationen im Lebenslauf neigt der Verteidigungsminister zur Verschönerung der Realität. Freier Journalist bei der "Welt" sei er gewesen, lässt zu Guttenberg die Besucher seiner Internetseite wissen. Und zwar "bis 2002" - in diesem Jahr zog er in den Bundestag ein. Ging seiner Abgeordnetentätigkeit also eine erfolgreiche journalistische Karriere voraus? Wohl kaum. Guttenberg war lediglich als Praktikant in der Redaktion unterwegs. Mit freier Mitarbeit hat das wenig bis gar nichts zu tun, zumal auch die Ausbeute an journalistischen Erzeugnissen aus dieser Zeit äußerst gering ist. Acht kleinere Beiträge produzierte zu Guttenberg in einem Zeitraum von sechs Monaten, die Hälfte davon zusammen mit erfahrenen Kollegen. Als Autor, so sein damaliger Vorgesetzter, sei zu Guttenberg einfach zu unauffällig gewesen.

Auch die angeblichen "berufliche[n] Stationen in Frankfurt und New York", die der Verteidigungsminister in seinem Lebenslauf anpreist, sind lediglich Praktika - im Rahmen seines Studiums, das letztendlich in einer peinlichen Dissertation endete.

Auch in der stattlichen Aufstellung der sonstigen Tätigkeiten des Freiherrn, zu Guttenberg nennt hier unter anderem eine Mitgliedschaft in der Jungen Union und seine Mitgliedschaft im Landesvorstand der CSU, findet sich eine wohlklingende Luftnummer. Guttenberg, der im wissenschaftlichen Arbeiten erwiesenermaßen nicht sattelfest ist, sei Vorsitzender des "Neuen Akademischen Forums e. V. ". Das klingt gut - doch ist über die genaue Tätigkeit dieses Vereins zunächst einmal nichts bekannt. Lediglich der Sitz des Vereins mit dem seriös klingenden Namen lässt sich finden: in der Münchener Fürstenstraße. Damit liegt die Residenz des Neuen Akademischen Forums im gleichen Gebäude wie die Freiherrlich von und zu Guttenberg'sche Hauptverwaltung. Ist der Verein letztlich nur eine weitere schöne Angabe im freiherrlichen Lebenslauf, ohne tiefere Bedeutung?

Auf Anfrage teilt das Büro des Verteidigungsministers mit, dass das Neue Akademische Forum den Zweck hatte, sich unabhängig, überparteilich und interdisziplinär mit gesellschaftspolitischen Themen zu beschäftigen. Doch der Verein hat seine Arbeit mit der Wahl zu Guttenbergs in den Bundestag eingestellt. Seitdem, so das Ministerbüro, "ruhen die Tätigkeiten des Vereins". Auf die Frage nach der Größe des Vereins und der Zusammenarbeit mit möglicherweise bedeutenden Wissenschaftlern kommt allerdings eine eher ausweichende Antwort. Da die Tätigkeit des Vereins ruhe, sei auch "die Mitgliederzahl sehr begrenzt" - nach ernsthaften Aktivitäten sieht das nicht aus. Ob das Akademische Forum irgendwann einmal wieder zum Leben erweckt wird, ist zudem unklar. Selbst die Abwicklung des Vereins steht im Raum. Bis zur Entscheidung allerdings lagern die Unterlagen des unabhängigen Vereins in den Räumlichkeiten der Guttenbergschen Hauptverwaltung. Guttenberg ist der Vorsitzende einiger Aktenordner.

Übertreibungen bei seinen Erfahrungen in der freien Wirtschaft, ein kreativer Umgang mit seinem beruflichen Werdegang und ein fragwürdiger Verein, der aufgrund seines wohlklingenden Namens ein gutes Bild abgibt - zu Guttenbergs Vita ist, nett ausgedrückt, ebenso gut inszeniert wie seine berühmten Auftritte in Kriegsgebieten oder seine Pressefotos. Weniger wohlmeinende Beobachter könnten jedoch auch zu dem Schluss kommen, es hier mit Hochstapelei zu tun zu haben - mit einer Lichtgestalt, die vor allem ein Blender ist. In der freien Wirtschaft wäre bei einem derart kreativen Umgang mit dem eigenen Werdegang ein Rausschmiss unabwendbar, ein juristisches Nachspiel sehr wahrscheinlich.

Im Kabinett der Angela Merkel aber sind derartige Details nebensächlich. Kritik am Minister mit dem schönen Lebenslauf wird als Unverschämtheit abgetan. Allerdings könnte die Angelegenheit für zu Guttenberg doch noch ein Nachspiel haben. Ein ehemaliger Bundeswehroffizier kündigte bereits an, gegen ihn Strafanzeige wegen Titelmissbrauchs zu stellen. Denn der Minister schrieb das Vorwort zu seiner Dissertation erst 2008. Er nannte sich jedoch schon 2007 auf seiner Internetseite Doktor.

Update: Normalerweise wird die Urkunde zur Promotion, die das Führen des Doktortitels erlaubt, erst mit der Veröffentlichung der Dissertation, in Guttenbergs Fall 2009, ausgestellt. Guttenberg scheint es aber eilig gehabt zu haben. Nach der mündlichen Prüfung habe er 2007 einen Antrag auf vorzeitiges Führen gestellt, was ihm von der Universität im Mai 2007 erlaubt wurde, weil er bereits einen Vertrag mit einem Verlag vorweisen konnte habe nach der bestandenen mündlichen Prüfung im Februar 2007 einen Antrag auf vorläufiges Führen des Titels gestellt, sagte Jura-Professor Diethelm Klippel der Nachrichtenagentur dpa. Das sei dann noch einmal verlängert worden.

Damit wäre dieser Punkt erledigt, wenn da nicht die Kopie der Website von Guttenberg wäre, die im Internet Archive von 2006 zu finden ist, worauf ein Leser Telepolis aufmerksam machte. Danach hätte er sich, sollte die Kopie zutreffend vom 22. Oktober 2006 stammen, schon vor dem 22. Oktober 2006 den Doktortitel auf seiner damaligen Website zu eigen gemacht - falls der Antrag erst im Mai 2007 genehmigt wurde, wäre dies doch etwas voreilig gewesen. Da auf der angeblich 2006 archivierten Seite auch Meldungen aus 2007 zu finden sind, handelt es sich jedoch wahrscheinlich um einen Fehler im Archiv.