Die Kulturtechnik und das "Leistungsschutzrecht"

Wie Ulf Poschardt Karl Theodor von und zu Guttenberg zu retten versuchte und welche Konsequenzen der Axel-Springer-Verlag und die Politik daraus eigentlich ziehen müssten

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Am 18. Februar schrieb Ulf Poschardt in der Tageszeitung Die Welt einen zeitweise gelöschten aber mittlerweile wieder online gestellten Artikel, in dem er Karl Theodor von und zu Guttenberg damit zu verteidigen versucht, dass er dessen Vorgehen beim Schreiben seiner Doktorarbeit mit dem aus der Musik bekannten Sampling vergleicht, welches eine "Kulturtechnik" sei und etwa im Bastard Pop unbestritten großartige Schöpfungen hervorgebracht habe. Genauso müsse man die "virtuose Quellenrecherche" Guttenbergs als Teil der Qualität einer Arbeit sehen.

Das kann man so sehen. Es spricht allerdings nichts dagegen, dem Leser Zitate kenntlich zu machen. Zum Beispiel durch Anführungszeichen und Fußnoten, Einrückungen oder andere Kennzeichen, die das benutzte Zitiersystem verlangt. Dass man solche eine Kennzeichnung in größerem Ausmaß vergisst, ist eher lebensfern: Kommata, einzelne Buchstaben und manchmal sogar ganze Wörter übersieht man leicht. Die Anführungszeichen aber setzt man bei wissenschaftlichen Arbeiten meist schon, bevor man das Zitat dazwischenkopiert. Es spricht deshalb wenig dafür, dass Guttenberg die Anführungszeichen und Fußnoten wirklich vergessen hat, aber viel, dass er sich einen Teil der Arbeit sparen wollte.

Der Verteidigungsminister hätte durchaus alle Inhalte, deren Ursprung nun herauskam, in seine Doktorarbeit einfließen lassen können, ohne dass sie schlechter geworden wäre. Hätte er dafür allerdings lediglich Anführungszeichen vor die nun kritisierten Stellen gesetzt, dann hätten dies die Korrektoren mit großer Wahrscheinlichkeit nicht akzeptiert. Das lernen Studenten bereits ganz zu Anfang ihres Studiums. Guttenberg hätte also zumindest aus einem größeren Teil der Zitate die dort geschilderten Tatsachen und Ideen extrahieren und sie (mit Verweisen auf ihre Herkunft) in eigenen Worten wiedergeben müssen. Das ist beileibe nicht der spannendste und interessanteste Teil beim Verfassen akademischer Arbeiten, aber bisher noch ein notwendiger.

Dass sich Guttenberg oder sein möglicher Helfer (der nicht bezahlt gewesen sein muss, sondern auch aus der Familie gekommen sein könnte) diese Mühe sparten, heißt nicht, dass der Erkenntniswert seiner Arbeit bei Null liegen muss. Auch Zitatsammlungen können durchaus Erkenntnisse vermitteln und einen schöpferischen Wert haben. Das sah man zum Beispiel an der Website Commentarist, die Meinungsartikel aus verschiedenen deutschen Zeitungen gegenüberstellte, bevor ihr das durch die Anwälte der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verboten wurde.

Poschardt müsste also, wenn er in Guttenbergs Zitatsammlung tatsächlich einen eigenen postmodernen Wert erkennt, dafür sorgen, dass solche Zitatsammlungen nicht mehr zensiert und verboten werden können, sondern dass die Politik es den hier aufkeimenden Ideen erlaubt, zu neuen Geschäftsmodellen zu werden. Allerdings macht Poschardts Arbeitgeber, der Axel-Springer-Verlag, seit gut zwei Jahren intensiv Lobbyarbeit für das genaue Gegenteil: Ein so genanntes "Leistungsschutzrecht", ein Monopol mit irreführendem Namen, mit dem sich Verlage (je nach genauer Ausgestaltung) ohne eigene schöpferische Leistungen auch kurze und gekennzeichnete Zitate verbieten und sogar das wissenschaftliche Arbeiten massiv behindern könnten. Darf Poschardt schreiben, was für Auswirkungen die Lobbyarbeit seines Arbeitgebers auf das von ihm Gelobte hätte? Wahrscheinlich nicht.

Deshalb, so sieht es aus, versteigt er sich zu der extrem abenteuerlichen Argumentation, Hip Hop wäre nach dem faktischen Verbot des freien Samplings mit dem Biz-Markie-Urteil erst zur Blüte gelangt. Das ist ungefähr so zutreffend, als würde man behaupten, Bob Dylan habe seine besten Stücke geschrieben, nachdem er evangelikaler Christ wurde oder Wolfgang Schäuble könne schneller laufen, seit er angeschossen wurde.

Doch, um zu Guttenberg zurückzukehren: Eine Zitatsammlung kann zwar, muss aber nicht unbedingt einen Wert haben kann: Und im Falle des Verteidigungsministers spricht einiges dafür, dass der Doktorand den auch nach Ansicht von Juraprofessoren als unlesbares Monster gestalteten EU-Verfassungsvertrag weniger mittels der Originaltexte zu verstehen versuchte, als dass er stattdessen das von Presse und PR bestimmte salbungsvolle Echo darauf, wo höchstens einmal ein mangelnder Gottesbezug kritisiert wurde, weitgehend unkritisch übernahm. Das möglicherweise nicht zuletzt aus solch einer Übernahme von Werbetexten resultierende wohlwollende Urteil über den EU-Verfassungsvertrag war Guttenbergs politischer Karriere durchaus förderlicher war als sie beispielsweise die deutlich anders geartete Einschätzung seinem Abgeordnetenkollegen Dr. Peter Gauweiler war. Allerdings herrscht über dieses inhaltliche Ergebnis von Guttenbergs Doktorarbeit in deutschen Medien immer noch auffälliges Schweigen.

Die technischen Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte werfen tatsächlich die Frage auf, ob Doktorarbeiten heute, wo das benutzte Material immer häufiger nicht mehr zeitaufwendig über eine Fernleihe bestellt werden müsste, sondern nur mehr einen Mausklick entfernt ist, tatsächlich noch so aussehen müssen, wie vor hundert Jahren - oder ob nicht beispielsweise der Teil, in dem der Forschungsstand geschildert wird, mit Hyperlinks versehen auch deutlich kürzer ausfallen könnte, als dies heute in vielen Arbeiten der Fall ist. Manchmal bekommt man jedoch den Eindruck, dass sich hier auch deshalb so bald nichts ändern wird, weil sich sowohl Doktoranden als auch Doktorväter wohler damit fühlen, wenn sie im Zweifelsfall ein Volumen bewerten können und nicht einen Forschungsfortschritt suchen müssen, der sich auch twittern ließe.

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