Cern und die Schwarzen Löcher

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung muss sich nicht für eine Begrenzung der Versuche am Cern einsetzen. Eine nochmalige Abwägung der Risiken könnte indes nicht schaden, meinen die Richter

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Gerichte urteilen und empfehlen nicht. Insofern ist es ungewöhnlich, wenn ein Gericht eine Empfehlung zu Protokoll gibt. Das hat das Verwaltungsgericht Köln in einem Prozess getan, in dem es um die Experimente im Teilchenbeschleuniger LHC am Cern ging:

Das Gericht gibt seiner Meinung Ausdruck, dass es möglich sein sollte, die unterschiedlichen Sicherheitsaspekte (…) im Rahmen einer "Sicherheitskonferenz" diskutieren zu lassen.

Das Protokoll ist nicht öffentlich; das Gericht hat gegenüber Telepolis die Korrektheit der zitierten Passage bestätigt

Die Klägerin, eine deutsche Staatsbürgerin, wollte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) darauf verpflichten, sich beim Cern dafür einzusetzen, die Experimente im LHC auf eine Energie von 2 Teraelektronenvolt (TeV), "hilfsweise" auf 3,5 TeV zu beschränken, bis ein "unabhängiges, nicht durch Cern angehörende oder durch Cern vorbefasste Wissenschaftler erstelltes Sachverständigengutachten" die Unbedenklichkeit der Experimente bestätigt habe. Als Gutachter der Anklage trat der Tübinger Chaosforscher Otto Rössler auf, der auf Telepolis dargelegt hat (Ist die Herstellung von künstlichen Schwarzen Löchern riskant?), weshalb er befürchtet, die Experimente am Cern könnten die Vernichtung der Erde zur Folge haben. Rössler fordert seit 2008 die Einberufung einer Sicherheitskonferenz.

Keine letzte Gewissheit

Das Verwaltungsgericht Köln hat die Klage am 27. Januar vollumfänglich abgewiesen (Pressemiteilung; die Urteilsbegründung soll in den nächsten Tagen auf der Website Nordrhein-Westfalens aufgeschaltet werden und kann dann unter Aktenzeichen 13 K 5693/08 eingesehen werden). Zwar müsse ein "Schadensereignis apokalyptischen Ausmaßes, wie von der Klägerin befürchtet (…) nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen sein", damit ein wissenschaftliches Experiment nicht gegen das Grundgesetz verstoße. Dennoch seien "letzte Ungewissheiten jenseits der gegenwärtigen Erkenntnisfähigkeit in einer wissenschaftlich-technisch orientierten Gesellschaft grundsätzlich unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen". Andernfalls "wäre großexperimentelle Grundlagenforschung kaum möglich".

Die Begründung bringt damit ein Dilemma zum Ausdruck, das der US-amerikanische Rechtswissenschaftler Eric Johnson vor gut einem Jahr in einem Fachpaper diskutiert hat: Absolute Sicherheit kann es nie geben. Ein Restrisiko bleibt immer bestehen – aber wenn das Restrisiko die Vernichtung der Welt bedeutet, lässt sich in den üblichen Kategorien nicht adäquat damit umgehen.

Die Klage richtete sich nicht direkt gegen das Cern, weil dieses als internationale Organisation Immunität genießt. Das BMBF aber sei, urteilt das Verwaltungsgericht, seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen, denn die Exekutive dürfe sich "auf das jeweils als wissenschaftlich bewährt geltende Wissen verlassen".

Telepolis im Zeugenstand

Zu Ungunsten der Klägerin wertete das Gericht einen Telepolis-Beitrag des Journalisten Harald Zaun (Das Unmögliche überdenken - warum nicht?!), der zwar die Forderung nach einer Sicherheitskonferenz unterstützte, sich aber gleichzeitig von Rösslers Thesen distanzierte.

Ebenfalls gegen die Klägerin verwendete das Gericht die Position des prominentesten Physikers, der sich – in seinem Buch "Our Final Hour" (2003) – kritisch mit den Experimenten am Cern befasst hat: des englischen Hofastronomen und Präsidenten der Royal Society Martin Rees. Rees hat sich, wie das Gericht betont, mittlerweile von den Cern-Kritikern distanziert (und reagiert, wie der Autor dieser Zeilen erfahren hat, auf entsprechende Anfragen sehr übelgelaunt). Er sei falsch zitiert worden.

Doch: Die Passagen aus Rees' Buch (Auszüge mit dem entsprechenden Kapitel – ab Seite 119 – hier) sind nicht missverständlich. Rees bezeichnete Thesen, wonach eine Gefahr drohe, zwar als "unplausibel" und "unwahrscheinlich", doch "wie oft auch das Wort 'unwahrscheinlich' wiederholt werden mag, können unsere Befürchtungen einer totalen Katastrophe doch nicht ganz besänftigt werden". Rees fährt fort:

Selbst wenn man die Argumente der Sicherheitsberichte komplett akzeptierte, scheint das Maß der Sicherheit, das sie bieten, doch kaum ausreichend.

Martin Rees

Man könnte Rees' Positionswechsel auch als eine Bestätigung für etwas nehmen, das ein anderer prominenter Physiker, Francesco Calogero, vor einigen Jahren geschrieben und Rees zustimmend zitiert hat:

Viele, ja tatsächlich die meisten [Physiker, mit denen ich mich privat über die Sicherheitsaspekte der Experimente unterhalten habe] scheinen sich mehr um die öffentliche Wirkung dessen zu sorgen, was sie sagen oder schreiben, als darum, dass die Fakten mit vollständiger wissenschaftlicher Objektivität präsentiert werden.

Francesco Calogero

Das Cern schreibt in einer knappen Stellungnahme, es stimme nicht, dass das Gericht zur Abhaltung einer Sicherheitskonferenz aufgerufen habe, und beruft sich auf die Urteilsbegründung. Eine Sicherheitsgruppe des Cern (LSAG) habe die Ungefährlichkeit der Experimente bestätigt; die Sicherheitsanalyse sei einer Peer Review unterworfen gewesen.

Dass die Mitglieder dieser LSAG nicht unabhängig sind, wertete das Gericht nicht als Befangenheit: Es liege "in der Natur von Vorhaben der Grundlagenforschung gerade auch zu Grenzbereichen menschlichen Wissens (…), dass auch das unter Risikoaspekten benötigte fachliche Wissen gerade bei denjenigen vorhanden ist, die in einer gewissen Nähe zu dem Vorhaben stehen". "Anlass, an der Objektivität der Mitglieder der LSAG zu zweifeln", bestehe nicht.

Abgeblockte Debatte

Die eingangs zitierte Passage aus dem unveröffentlichten Verhandlungsprotokoll lässt daran zweifeln, ob das Gericht der Objektivität der LSAG traut. Tatsächlich lässt sich in der Causa ein Abblocken von Argumenten mindestens ebenso sehr beobachten wie eine offene Diskussion aller Positionen – und zwar auf der Ebene der Medien, der Politik und der Wissenschaft.

  • In den Medien: Der Autor dieser Zeilen hat mehrfach erlebt, wie Wissenschaftsredakteure renommierter Zeitungen auf die Kontroverse gar nicht erst eingehen wollten, und Journalisten, die über die Kritik berichteten, taten dies, ohne mit Kritikern gesprochen zu haben.
  • In der Politik: Der seinerzeitige Bundespräsident der Schweiz, Pascal Couchepin, lud Otto Rössler 2008 zu einem Gespräch ein – und wieder aus. Wie er dem Parlamentarier Daniel Vischer sagte, habe er die Gesprächszusage auf Druck aus Wissenschaftskreisen zurückgezogen.
  • In der Wissenschaft: Michelangelo Mangano und Steve Giddings, die Autoren der dem Sicherheitsbericht der LSAG zugrunde liegenden Studie, haben eines von zwei Argumenten ihres Kritikers Rainer Plaga diskutiert und verworfen, ein zweites hingegen nicht. Auf Anfrage der Schweizer Wochenzeitung sagte Mangano, die Prüfung des ersten Arguments habe ergeben, dass Plaga das "Verständnis für die zugrunde liegenden Sachverhalte" fehle, womit sich eine Prüfung des (vom ersten unabhängigen) zweiten erübrige. Das ist nicht wissenschaftlich, sondern arrogant.

Der Anwalt der Klägerin hat Bundesministerin Annette Schavan in einem offenen Brief aufgefordert, der Empfehlung des Gerichts nachzukommen und eine Sicherheitskonferenz einzuberufen. Eine Antwort steht noch aus. Gegenüber Telepolis wollte das BMBF nicht Stellung nehmen, solange die Rekursfrist läuft.