Benzingipfel: Autofahrer in der Bringschuld

Die Einführung von E10 ist ökologisch nicht nur unsinnig, sie ist laut EU nicht einmal notwendig

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Die Einführung des angeblich umweltschonenden Kraftstoffes E10 mit einem Anteil von bis zu zehn Prozent Bioethanol ist eine Schlappe für die Regierung. Kaum ein Autofahrer ist bereit, die neue Sorte zu zapfen - die Angst um Motorschäden durch den als aggressiv geltenden Treibstoff ist zu groß. Aber auch Umweltverbände warnen, da die Vergärung von Getreide und Zuckerrüben zur Kraftstoffgewinnung alles andere als umweltfreundlich sei und zudem die Nahrungsmittelpreise steigen lasse. Mit einem E10-Gipfel will die Bundesregierung nun die Akzeptanz des Biobenzins erhöhen - dabei ist sie sich selbst nicht einig.

Sie sollen das Klima schonen und die Abhängigkeit vom Erdöl verringern: Biokraftstoffe, hergestellt aus nachwachsenden Rohstoffen wie Getreide und Zuckerrüben. So sieht es zumindest die Bundesregierung.

E10 ist grün, wichtig und irgendwie auch alternativlos, so suggeriert das Bundesumweltministerium. Denn die europäischen Richtlinie über die Kraftstoffqualität fordere die Erhöhung des Bioethanolanteils im Benzin, sagt das Ministerium und verlinkt wie zum Beweis auf die entsprechende Richtlinie der EU.

Doch der Beweis ist eine Mogelpackung. Bis 2013 solle Ottokraftstoff mit "einem maximalen Ethanolgehalt von 5 % in Verkehr gebracht" werden, so heißt es dort. Zudem könnten die Anbieter verpflichtet werden, diesen Kraftstoff länger anzubieten, wenn die Politik dies für notwendig erachte. Dieses Ziel jedoch ist längst erreicht, E5 gehört an deutschen Tankstellen längst zum Alltag. Von E10 hingegen ist in der Richtlinie nichts zu sehen. Sie schreibt lediglich vor, das bis 2020 zehn Prozent der Energie aus regenerativen Quellen kommen muss - und zwar im gesamten Transportsektor [http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/eu-gibt-e10-sprit-kritikern-rueckenwind/3916210.html?p3916210=all]. Wenn die Bundesregierung also festlegt, dieses Ziel mit der Einführung von Bioethanol erreichen zu wollen, dann ist das lediglich ihre eigene Entscheidung.

Greenpeace-Protest. Bild: S. Duwe

Denn es bestehen Alternativen: Elektrofahrzeuge, betrieben mit regenerativem Strom können ebenso zur Erreichung des von der EU gesetzten Zieles beitragen wie Hybridautos. Doch hier hat die Regierung zu wenig getan. Anstatt die Autohersteller mit strengen Vorgaben und Anreizsystemen zur Entwicklung bezahlbarer und effizienter Autos zu zwingen, ist sie vor deren Lobbyarbeit eingeknickt. Im Jahr 2007 arbeitete die Europäische Union an der Verschärfung des CO2-Grenzwertes für Neufahrzeuge. Bis 2012 sollten die Grenzwerte für den CO2-Ausstoß auf 120 Gramm pro Kilometer gesenkt werden, was auch deutlich sparsamere Autos zur Folge gehabt hätte. Doch insbesondere die deutschen Hersteller, die sich auf schwere und stark motorisierte Fahrzeuge spezialisiert haben, sahen in dem Grenzwert eine Gefahr. Und so wehrten sich Vorstände, Verbände und die Gewerkschaften einmütig gegen die Vorgaben aus Brüssel und drohten mit dem Verlust zehntausender Arbeitsplätze.

Zahlen müssen die Verbraucher

Die Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel machte damals das Anliegen der Lobby zu ihrem eigenen Interesse und konnte in Brüssel schließlich erreichen, dass der Grenzwert durch verbesserte Motoren lediglich auf 130 Gramm pro Kilometer gesenkt wurde. Insgesamt blieb der Grenzwert bei 120 Gramm, jedoch sollten die fehlenden 10 Gramm durch - aus Sicht der Autoindustrie - relativ billige Maßnahmen erreicht werden. Fünf Gramm Einsparungen sollten durch verbesserte Klimaanlagen, ein Kontrollsystem für optimalen Reifendruck und spritsparendes Schalten gespart werden, weitere fünf Gramm sollte mit Hilfe von Biosprit eingefahren werden. Die Hersteller konnten so einen Teil der Bringschuld an andere abwälzen.

Ob diese Entscheidung aus Sicht der deutschen Autobauer allerdings langfristig die richtige ist, darf getrost verneint werden. Denn der Bedarf nach spritsparenden Fahrzeugen besteht weiterhin, in Japan führen Hybridautos die Bestsellerlisten an - was nicht zuletzt auch auf die staatliche Förderung der Technologie zurückzuführen ist. Deutschland hinkt da sowohl in der Produktion als auch in der Zulassung weit hinterher, was Renate Künast (Grüne) bereits zu einem offenen Aufruf zum Kauf japanischer Hybridfahrzeuge veranlasste. Mit der staatlich unterstützten Innovationszurückhaltung droht die deutsche Industrie hinter die internationale Konkurrenz zurückzufallen - die Arbeitsplätze stehen also langfrisitg gesehen trotz der auf den ersten Blick industriefreundlichen Politik der Bundesregierung auf dem Spiel.

Zahlen müssen am Ende die Verbraucher: über höhere Spritpreise, weil sie lieber teures Super Plus zapfen, als auf das aus ihrer Sicht unsichere E10 zu setzen, über höheren Spritverbrauch aufgrund der geringeren Energiedichte, über höhere Wartungskosten, weil Ölwechsel künftig wohl häufiger erfolgen müssen, zudem ist E10 teurer in der Herstellung als E5.

Doch auch wer gar kein Auto fährt, muss mit steigenden Kosten rechnen. Wenn Weizen und Zucker massenweise zur Treibstoffproduktion genutzt werden, werden diese Rohstoffe teurer - das schlägt unweigerlich auf die Nahrungsmittelpreise durch. Unter steigenden Weltmarktpreisen leiden am Ende selbst jene Menschen in der Dritten Welt, die noch nie ein Auto von innen gesehen haben. Hinzu kommt, dass die Ökobilanz von E10 alles andere als gut ist. Zwar darf für die Produktion kein Regenwald abgeholzt werden, jedoch sind die Anbauflächen nicht unendlich. Es ist nahezu zwingend, dass jetzige Lebensmittelanbauflächen zur Spritproduktion genutzt werden - und neue Flächen durch Rodung gewonnen werden. Den Vorgaben des Gesetzgebers wäre mit dieser indirekten Landnahme jedenfalls genüge getan.

Es gibt weiteren Handlungsbedarf und Alternativen

Wirtschaft und Regierung schoben sich derweil munter und in aller Öffentlichkeit gegenseitig die Schuld für die Zurückhaltung der Verbraucher an den Tankstellen zu. Auf einem eilig in Berlin einberufenen E10-Gipfel, der bezeichnenderweise nicht im Umwelt-, sondern im Wirtschaftsministerium stattfand, erklärten nun Industrie- und Regierungsvertreter einmütig, an dem neuen Kraftstoff festhalten zu wollen. Die Schuld am Scheitern des E10 wird nun klammheimlich auf den Verbraucher geschoben, der zu dumm war, sich zu informieren. Staatsekretär Rainer Bomba wedelte auf der anschließenden Pressekonferenz vielsagend mit einem Fahrzugschein und erklärte, innerhalb von 50 Sekunden könne jeder Autofahrer mit dessen Hilfe im Internet herausfinden, ob er E10 tanken könne oder nicht. Trotzdem sollen ab sofort an den Tankstellen Listen mit für den Kraftstoff freigegebenen Autos ausliegen. Mineralöl- und Automobilwirtschaft werden künftig für den neuen Kraftstoff werben.

Ist also alles gut? Keineswegs. Denn auch Minister Röttgen musste auf Nachfrage eingestehen, dass es Handlungsbedarf bei der mittelbaren Landnutzung gebe. Die Bundesregierung habe da noch Hausaufgaben zu machen, so Röttgen. Wirklich sicher ist es also auch nach Ansicht des Umweltministeriums nicht, dass Bioethanol nicht zur Verknappung bei Nahrungsmitteln und zur Rodung von Waldflächen führt.

Dabei liegen andere Lösungsmöglichkeiten auf der Hand. Denn die EU möchte lediglich, dass bis 2020 zehn Prozent der im Transportsektor benötigten Energie aus regenerativen Quellen stammt. Statt Geld in die ökologisch unsinnige Abwrackprämie zu stecken, hätte eine konsequente Förderung für Hybridfahrzeuge ein erster Schritt auf diesem Weg sein können. Doch dies scheint der Politik offenbar nicht opportun, weil damit einheimische Marken weitestgehend außen vor bleiben würden - sie hängen noch zu sehr an der alten Technik.

Deutlich mehr Potential für schnelle Veränderungen ließe sich damit mit einer konsequenten Modernisierung des Schienenverkehrs erreichen. Das fängt schon beim Bahnstrom an, er wird zu knapp 48 Prozent aus Stein- und Braunkohle gewonnen - ein enormes Potential zur CO2-Einsparung. Auch Investitionen in die Elektrifizierung der Strecken könnten dazu beitragen, die von der EU gesteckten Ziele zu erreichen. 2005 war nicht einmal die Hälfte des Schienennetzes elektrisch befahrbar.