Rückschlag für Klimaforscher

Grafik: IPCC

Die Energie- und Klimawochenschau: Von Agrartreibstoff und Ölpreisentwicklung, von Strahlenmessern und abstürzenden Satelliten sowie Meereis und Meeresspiegel

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Gipfel sind schwer in Mode: Integrationsgipfel, Bildungsgipfel und jetzt auch noch ein Benzingipfel. Bundesregierung und Mineralölindustrie haben Probleme mit der Einführung des neuen Kraftstoffgemischs E10, und wie üblich wird viel Geschrei gemacht, in dem die Information nur in homöopathischen Dosen vorkommt.

Nun hat sich also der Wirtschaftsminister mit seinem Kollegen aus dem Umweltressort und Vertretern der betroffenen Unternehmen getroffen. In Berlin und nicht auf irgendwelchen Alpengipfeln. Nach einigem Hin und Her demonstrierten sie unerwartet große Einigkeit und versprachen, künftig besser informieren zu wollen. Aha! Und worüber? Welche Autos das aggressive Gemisch vertragen. Ach so.

Information über den umwelt- oder energiepolitischen Sinn des ganzen darf man hingegen nicht erwarten. Das Zeug wird weiter Biosprit genannt und mit allerlei Bildern von einer hübschen, grünen Agrarwelt beworben. Konkret geht es um Ethanol, gewonnen meist aus Mais, Zuckerrüben oder auch aus Zuckerrohr, das dem Benzin zu zehn Prozent beigemischt wird. Deshalb E10.

Das Problem: Ethanol ist deutlich aggressiver als Benzin, weshalb nicht alle Motoren es vertragen. Doch das soll nur eine kleine Minderheit älterer Autos betreffen. Über 90 Prozent der auf den hiesigen Straßen rollenden Pkw sollen E10 hingegen problemlos tanken können. Nähere Angaben für diverse Modelle gibt es beim ADAC.

Doch was ist von den Argumenten zu halten, mit denen der neue Kraftstoff den Autofahrern schmackhaft gemacht werden soll? Ist es die Antwort auf die Abhängigkeit vom libyschen Öl, wie etwa Umweltminister Norbert Röttgen meint? Ist es ein Mittel, den Klimawandel zu bekämpfen, wie uns die Energie- und Klimastrategie nicht nur der aktuellen Bundesregierung, sondern auch ihrer Vorgänger weismachen will?

Bei näherem Hinsehen wird schnell klar: nicht allzuviel. Zum einen werden beim Anbau, durch die Düngung auf den Feldern, durch den Transport und durch die Verarbeitung der Ethanol-Vorprodukte jede Menge Treibhausgase freigesetzt werden, so dass das Umweltbundesamt schon in den 1990er Jahren von Agrartreibstoffen abriet. Zum anderen ist der Flächenverbrauch viel zu hoch, um langfristig einen größeren Teils des Benzins in der EU durch Ethanol ersetzen zu können. Ohne Importe im großen Maßstab wird Westeuropa so oder so nicht auskommen, wenn am bisherigen auto-fixierten Mobilitätskonzept festgehalten wird.

Kurzfristig wird aber der Druck zum Einsatz von mehr Ethanol sicherlich steigen. Der Ölpreis kletterte in der vergangenen Woche weiter in die Höhe, allerdings nicht mehr ganz so hektisch wie Ende Februar. Im Wochenmittel lag die Sorte Brent bei rund 115 US-Dollar pro 159-Liter-Fass (Barrel). Anfang dieser Woche ging es sogar zunächst ein wenig abwärts, nach dem die kuwaitische Regierung für die OPEC eine Steigerung der Förderung angekündigt hatte. Auch die US-amerikanische Standardsorte WTI folgte diesen Marktbewegungen im gleichen Maße, hält aber zur annähernd gleichwertigen europäischen Sorte Brent weiter einen ungewöhnlichen Abstand von zehn bis zwölf Dollar pro Fass. Der Grund dürfte, wie berichtet (Pest oder Cholera), in der kanadischen Öl-Synthese aus Teersänden liegen, die auf dem nordamerikanischen Kontinent das Angebot erhöht.

Verantwortlich für die Nervosität der Märkte ist weiter die Entwicklung in der arabischen Welt, insbesondere natürlich in Libyen. Dessen Exporte gehen bisher meist nach Europa. Allein ein Drittel nimmt allein Italien ab, wie aus einer von Al Jazeera veröffentlichten Grafik hervorgeht. Nach Deutschland wird 14 Prozent der libyschen Produktion verschifft.

Eisiger Höhepunkt

Hoch im Norden strebt derweil der Frost seinem jährlichen Höhepunkt entgegen. Die Ausdehnung des Meereises wird in den nächsten Tagen vermutlich ihren Höhepunkt erreicht haben. Mag sein, dass dies auch noch ein oder zwei Wochen länger dauert, wie im letzten Jahr, als das Maximum ungewöhnlich spät eintrat.

Grafik: NSDIC

Wie obiger Grafik zu entnehmen ist, blieb in den letzten Monaten die Eisausdehnung weit hinter dem jeweils für die Jahreszeit üblichen zurück. Besonders an den Küsten vor Québec, Neufundland, Labrador und Westgrönland herrschte Eismangel. Ursache dafür waren vor allem die weit überdurchschnittlichen Temperaturen in weiten Teilen der Arktis in diesem Winter.

Der Februar 2011 war neben dem Februar 2005 der Februar mit der niedrigsten Eisbedeckung auf dem arktischen Ozean und den angrenzenden Meeren seit Beginn der regelmäßigen Satellitenmessungen im Jahre 1978. Der Trend, die blaue Gerade in der untenstehenden Grafik, zeigt eine Abnahme der Eisausdehnung im Februar um drei Prozent pro Jahrzehnt.

Grafik: NSDIC

Beim Start abgestürzt

Daten, wie sie in den beiden obigen Grafiken dargestellt sind, werden mit zum Teil erheblichen Aufwand aus den Beobachtungen von Satelliten gewonnen, die die Erde auf vergleichsweise niedrigen Bahnen in einem polaren Orbit umkreisen. An Bord dieser Satelliten befinden sich Strahlenmessgeräte, die den Planeten in diversen Frequenzbereichen abscannen, die von den Mikrowellen bis ins Infrarote reichen. Dabei wird die passive Abstrahlung der Erd-, Wasser- oder Eisoberfläche eingefangen.

Auch die Abstrahlung verschiedener Luftschichten, der Wolken und auch von kleinen festen Teilchen, der sogenannten Aerosole kann eingefangen werden, und in einigen Frequenzbereichen können die Messegräte auch durch die mitunter dichte Wolkenschicht spähen, so dass lückenlose Informationen von der Oberfläche gewonnen werden können. Mit zum Teil komplexen Algorithmen lässt sich aus den Rohdaten dann die Temperatur der Strahlenquelle oder eben auch die Verteilung der Eisbedeckung feststellen.

Einen herben Rückschlag für diese Beobachtungen gab es am 4. März, als der Start eines neuen US-amerikanischen Satelliten Glory scheiterte und dieser in den Tiefen des Pazifiks endete. Wie Gavin Schmidt vom NASA Goddard Institute for Space Studies in New York im Wissenschafts-Blog Realclimate schreibt, hatte der Satellit gleich drei Messgeräte an Bord. Eines, um die Sonnenstrahlung zu vermessen, eines, um die Wolken vermessen, und eines, das einen besseren Aufschluss über Art und Verteilung der Aerosole liefern sollte.

Letztere können aus ganz unterschiedlichen Stoffen bestehen und entsprechend recht unterschiedliche Eigenschaften haben. Rußpartikel aus der Verbrennung von Wäldern und Kohle gehören zum Beispiel dazu, die sich auf Schnee und Eis ablagern können und zu deren Abschmelzen beitragen. Andere Teilchen aus teils natürlichen, teils industriellen Quellen beeinflussen die Wolkenbildung, und wiederum andere tragen zur Düngung der Meere bei. Über ihre Verteilung in der Atmosphäre ist bisher zu wenig bekannt, so Schmidt. "Glory" hätte Abhilfe schaffen können und somit auch die Unsicherheiten (siehe Grafik unten) über den Einfluss der Aerosole auf das Klimasystem verkleinern können.

Derweil beschleunigt sich sowohl auf Grönland, als auch in der Antarktis das Abschmelzen der großen Eisschilde. Anders als das Meereis liegen sie auf dem Land, weshalb sich der Meeresspiegel erhöht, wenn sie schrumpfen. Die American Geophysical Union berichtet jetzt von einer neuen Studie, die demnächst in dem von ihr herausgegeben Fachblatt Geophysical Research Letters erscheinen wird.

Demnach haben US-amerikanische und niederländische Wissenschaftler die Entwicklung der großen Eismassen in den Jahren 1992 bis 2009 mit zwei von einander unabhängigen Methoden untersucht, die beide zu übereinstimmenden Ergebnis kommen. Zum einen übersteigt inzwischen der Beitrag des Abschmelzens der großen Eisschilde die anderen Faktoren, die zum Anstieg des globalen Meeresspiegels beitragen, womit der Eisverlust schneller ist, als von allen Klimamodellen vorhergesagt.

Zum anderen war sowohl auf Grönland als auch in der Antarktis der Masseverlust in jedem einzelnen der untersuchten Jahre größer als im Jahr zuvor. Auf Grönland betrug die durchschnittliche jährliche Beschleunigung 21,9 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) und in der Antarktis 14,5 Giatonnen pro Jahr.

Derzeit verlieren beide Eisschilde zusammen jährlich 475 Gigatonnen Eis, was für 1,3 Millimeter globalen Meeresspiegel im Jahr oder 13 Zentimeter in 100 Jahren reicht. Die Gebirgsgletscher und kleineren Eismassen verlieren einer anderen Studie zur Folge jährlich etwa 420 Gigatonnen, wobei sich ihr Verlust um ein Dreifaches langsamer beschleunigt, als jener der großen Eisschilde.

Bild: Eric Rignot, JPL

Hält die derzeit beobachtete Beschleunigung an, so wird nach den Berechnungen der Autoren bis 2050 der globale Meeresspiegel durch das Abschmelzen auf Grönland und in der Antarktis um 15 Zentimeter steigen. Hinzu kommen noch neun Zentimeter durch die Gebirgsgletscher und kleineren Eismassen sowie acht Zentimeter durch die Ausdehnung des sich erwärmenden Wassers. Das wären bis 2050 bereit 32 Zentimeter Anstieg in 40 Jahren. Aktuell beträgt das Tempo des Meeresspiegelanstiegs dagegen etwas mehr als 30 Zentimeter pro Jahrhundert, was bereits eine deutliche Beschleunigung gegenüber dem 20. Jahrhundert darstellt.

"Dass die Eisschilde den zukünftigen Meeresspiegelanstieg dominieren werden, ist nicht weiter überraschend", meint der Hauptautor der Studie Eric Rignot, der am Jet Propulsion Laboratory der NASA im kalifornischen Pasadena sowie an der University of California in Irvine arbeitet. "Überraschend ist allerdings, dass wir ihren wachsenden Beitrag schon jetzt sehen können. Wenn der Trend anhält, dann wird der Meeresspiegel deutlich höher liegen, als der Zwischenstaatliche Ausschuss für Fragen des Klimawandels der Vereinten Nationen (United Nations Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) 2007 projiziert hat."

Mit anderen Worten: Die schon bei der Veröffentlichung des IPCC-Berichts 2007 von einigen Wissenschaftlern kritisierte Vorhersage - oder Projektion wie es streng genommen heißen müsste -, der Meeresspiegel werde bis zum Ende des Jahrhunderts um maximal 58 Zentimeter ansteigen, wird einmal mehr von Untersuchungen an den Eisschilden widersprochen. Die Menschheit muss sich also auf einen stärkeren Anstieg einstellen. Das Fatale daran: Die Eisschilde sind sehr träge in ihrem Verhalten und dadurch ist dieser Teil des Klimawandels besonders schwer aufzuhalten.