Faschistische Tendenzen allüberall

Eine illustre Aufklärungsgesellschaft. Bild: S. Duwe

Wirtschaftsminister Brüderle adelt eine sarrazineske Buchvorstellung des Günter Ederer

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Es war eine illustre Runde, die im Berliner Kulturkaufhaus Dussmann gestern Abend zusammenkam, um ein neues Buch vorzustellen. Träum weiter, Deutschland! heißt es, geschrieben hat es Günter Ederer - ein Autor, der den Sozialstaat für verwerflich hält und sich TV-Dokumentationen, in denen er das beweisen will, auch schon mal von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) finanzieren lässt.

Die Deutschen würden mit ihrer Staatsgläubigkeit in Bereichen wie Bildung, Klimawandel und Staatsverschuldung Deutschland an die Wand fahren, so der Wirtschaftsjournalist Ederer. Ihm zur Seite sitzen der ZDF-Journalist Wolfgang Herles, der in jüngster Zeit vor allem mit Polemik gegen streikende Lokführer, die die gesamte Republik in Geiselhaft nähmen, auffiel oder aber bei Anne Will angesichts der nuklearen Katastrophe in Japan die Kernenergie mit dem Argument schönredete, für den Autoverkehr ginge man ja schließlich auch Risiken ein und verharmlosend von "ein paar Gefahren bei Kernkraftwerken in Japan" sprach. Stargast des Abends war jedoch Wirtschaftsminister Brüderle, der sich sichtlich über den sarrazinesk argumentierenden Ederer freute und ständig wiederholte, was für ein engagierter Klartext-Journalist der Günter doch sei.

Klartext-Ederer ist vor allem ein Meister des Faschismus-Vergleichs, es scheint kaum etwas zu geben, das er nicht mit dem Dritten Reich in Verbindung bringen kann. Das fängt schon beim Sozialstaat an. Seit Bismarck hätten sich die Deutschen angewöhnt, nach dem Staat zu rufen, spielt Ederer auf die Einführung in der Sozialversicherung unter dem eisernen Kanzler an. Doch Bismarck tat dies nur, um das Volk zu kontrollieren. Deshalb, weiß Ederer, hätten auch die Nationalsozialisten unter dem Begriff Daseinsvorsorge daran festgehalten. Deshalb hätten die Nazis sich auch nicht Nationalkapitalisten genannt.

Das Ziel von Ederer ist dabei eine gezielte Schwächung des Staates. "Es dürfte weltweit einmalig sein, dass eine Partei an Zustimmung verliert, weil sie die Staatsausgaben und damit die Steuern senken will", schreibt er in seinem Buch. Die "weltpolitische Realität" werde mit "gutmenschlicher Romantik" vernebelt.

Zu den liebsten Nebeln des Günter Ederer gehört der Klimawandel. In seinem Buch kritisiert er beispielsweise die Grünen, die sich in einer kleinen Anfrage bei der Bundesregierung erkundigten, wie sie dazu stehe, dass Vertreter der FDP- und der Unionsfraktion den Klimawandelleugner Fred Singer eingeladen hatten. Singer ist für Ederer ein "hoch angesehener Wissenschaftler", und wer sich bei ihm informieren wolle, sei vom "Bannstrahl der politischen Vernichtung" bedroht. Ederer fühlt sich dabei an die Debatte um die Thesen Thilo Sarrazins erinnert. Was er freilich nicht erwähnt: selbst die Wissenschaftler, auf die sich Sarrazin berief, distanzierten sich von seinen Aussagen. Und natürlich darf auch hier der obligatorische Nazi-Vergleich nicht fehlen. Im Dritten Reich sei ja immerhin auch die Relativitätstheorie verpönt gewesen, versucht Ederer den Umgang mit Einstein damals und mit Singer heute auf eine Stufe zustellen.

Schließlich kommt der ehemalige Japan-Korrespondent auch noch auf die aktuelle Lage an seinem früheren Arbeitsort zu sprechen - und dem, was die Medien daraus machen. Es gebe einen Gau in der Berichterstattung, schimpft Ederer, nicht in den Kernkraftwerken. In Deutschland würde mehr über 12 leicht verstrahlte als über zehntausende Tsunamiopfer gesprochen. Die aktuelle Debatte um den Atomausstieg hierzulande sieht er als Ausdruck der deutschen Romantik, wonach wir glaubten, die Welt schaue nun darauf, was die Deutschen mit ihren Atomkraftwerken machten. Genau dieses Denken - man ahnt, was nun kommt - habe aber schon einmal in "die Katastrophe" geführt. Ohne Nazivergleich geht es eben nicht. Zudem, so Ederer, sei die Atomenergie mit 2,5 Cent derart billig und die Solarenergie mit 50 Cent so teuer, dass sich die Verbraucher letztlich doch eher für die Kernkraft entscheiden würden.

Zum Abschluss der Buchvorstellung wird es dann gar prophetisch. In seinem Eifer, die um sich greifende Staatsverschuldung zu geißeln, erklärte Ederer, ein Gericht habe den Haushalt in Nordrhein-Westfalen aufgrund der hohen Neuverschuldung, die freilich zu einem guten Teil aufgrund von notwendigen Rücklagen für die Landesbank zustande kommt, für verfassungswidrig erklärt. Brüderle stimmte in die Empörung mit ein und erklärte, die Gerichtsentscheidung habe immerhin gezeigt, dass der Rechtsstaat funktioniere und schloss seine Ausführungen mit dem Ausruf, er sei froh, dass wir solche "Freiheitskämpfer" wie den Günter hätten.

In ihrem Eifer war den beiden jedoch entgangen, dass es bisher nur eine einstweilige Anordnung des Verfassungsgerichtshofes gibt - die endgültige Entscheidung steht erst heute an.

Beifall beim Publikum ist Ederer trotzdem gewiss. Er sei "viel deutlicher als jener, der das andere Buch geschrieben hat - das sollte man lesen", rief ein Zuhörer am Ende der Veranstaltung. Als Sachbuch getarnte Trivialliteratur scheint Konjunktur zu haben, zumal, wenn sie von einem amtierenden Minister geadelt wird.