Danach sieht alles ein wenig anders aus

Bilder: Universal Pictures

Mit merkwürdigen Technologien wird sowohl das äußere Umfeld als auch das Innere der Menschen "umgestellt" - einer der besten Science-Fiction-Filme der letzten Jahre: "Der Plan"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Stoffe des 1982 verstorbenen Science-Fiction-Autors Philip K. Dick dienen der Filmindustrie seit Jahrzehnten als dankbare Vorlagen. Die auf der Basis seiner Kurzgeschichten und Romane entstandenen Filme spiegeln jedoch nicht bloß deren oftmals verdrehte Plots auf die Leinwand; sie reflektieren auch Strukturen filmischen Erzählens, wie George Nolfis Filmdebüt von „Der Plan“ eindrucksvoll zeigt.

Dicks Geschichte „Adjustment Team“ veröffentlicht bereits im Jahr 1954 und erzählt von dem Grundstücksmakler Ed Fletcher, der aufgrund eines Versicherungsvertreterbesuchs zu spät zur Arbeit kommt. Eigentlich sollte er zu früh kommen, wie eine merkwürdige, für die Organisation von Lebensläufen zuständige Kanzlei es vorgesehen hat. Denn an diesem Morgen wird die Makleragentur, in der Ed arbeitet, „umgestellt“: Dazu entzieht die Kanzlei dem Sektor T137, in dem sich das Firmengebäude befindet, die „Energie“, so dass alles darin leblos wird.

Dann wird mit merkwürdigen Maschinen sowohl das äußere Umfeld als auch das Innere der Menschen „umgestellt“. Danach sieht alles ein wenig anders aus, was keiner der „Umgestellten“ bemerkt, was jedoch einen Zweck für die Zukunft erfüllen soll. Im Falle der Makleragentur, zu der Ed an diesem Morgen zu spät kommt (und wo er deshalb unbeabsichtigt Zeuge der „Umstellung“ wird), soll diese Änderung den Chef betreffen: Er wird verjüngt und damit dynamischer, so dass er ein Geschäft abschließen wird, welches durch die daraus folgenden Begebenheiten zum Ende des Kalten Krieges führen wird.

Der Mensch denkt und Gott lenkt

2011 ist der Kalte Krieg kein Thema mehr, weswegen die Drehbuchadaption von „Adjustment Team“ (in der deutschen Übersetzung wurde die Kurzgeschichte nicht mit „Der Plan“, sondern mit „Umstellungsteam“ betitelt) nun ein anderes Ziel ins Auge fasst. Hier ist der Held der aufstrebende, junge (allzu junge) New Yorker Politiker David Norris (Matt Damon), der zu den Gouverneurswahlen antritt, jedoch aufgrund einer jüngst zurückliegenden Jugendsünde scheitert. Kurz bevor er seinen Parteianhängern seine Niederlage mitteilen will, trifft David die junge Elise (Emily Blunt), die ihm regelrecht den Kopf verdreht; er verliebt sich auf der Stelle in sie.

Kurz darauf - David ist schon nicht mehr in der Politik, sondern als Manager in einem Wirtschaftsunternehmen beschäftigt - trifft er sie wieder, in einem Bus, den er eigentlich verpassen sollte, damit er zu spät ins Büro kommt. Weil der damit beauftragte Sachbearbeiter jener „Umstellungs“-Behörde jedoch gepatzt hat, erscheint er rechtzeitig im Büro, wo er dasselbe erlebt, wie Ed in der literarischen Vorlage. Fortan weiß David von jener Organisation, die die Geschichte und Lebensläufe der Menschen regelt. Und er weiß auch, dass deren Pläne vorsehen, dass er Elise, die sich ebenfalls in ihn verliebt hat, nie wiedersehen soll. Und damit will er sich nicht abfinden.

Der Himmel über New York

Dick sparte sich noch Anspielungen auf die Art jener ominösen Regulierungsbehörde. Allein, dass in ihr „Kanzleibeamte“ beschäftigt sind und es einen „Old Man“ gibt (eine geläufige Bezeichnung für einen Firmenchef), lässt vage an die unerreichbaren Kafka'schen Herrschaftsstrukturen aus „Das Schloss“ und „Der Prozess“ denken. Das Drehbuch von „Der Plan“ will es jedoch etwas genauer definieren: Dort wird von einem „Vorsitzenden“ gesprochen, dem jeder Mensch schon einmal irgendwann begegnet sei.

Und auf Davids Frage an einen der Behörden-Mitarbeiter, ob dieser ein Engel sei, bekommt er die vielsagende Antwort: „Ja, so wurden wir auch schon genannt.“ Diese (also wahrscheinlich) himmlische Behörde, die die Geschicke der Menschen und die Geschichte der Menschheit plant, verfolgt damit ein Ziel, das nur der Vorsitzende kennt, der die Pläne entworfen hat. Dieses Ziel beginnt David zu hinterfragen und versucht es zu ändern: weil eben doch sein soll, was nicht sein darf.

Die Regulierung der menschlichen Geschicke habe nicht schon immer bestanden, erfährt David von jenem Beamten: Ab der Blüte des römischen Reichs hatte man versucht, die Menschen ihr Schicksal selbst bestimmen zu lassen, was dann zum „dunklen Mittelalter“ geführt habe. Und als die Welt 1962 während der Kuba-Krise kurz vor dem Abgrund stand, habe der Vorsitzende die Planung lieber doch wieder selbst in die Hand genommen. Der Kalte Krieg spielt in „Der Plan“ also doch noch eine Rolle, sozusagen als Vorspiel zum Filmplot, und man ahnt, dass der vielversprechende Jungpolitiker David damit zugleich auch eine Art Reinkarnation von John F. Kennedy darstellen soll – wohin sein Weg führen wird, bleibt allerdings im Dunkeln.

Für Elise

„Der Plan“ wirft die für Philip K. Dick typischen, metaphysischen Fragen des Menschseins auf: Gibt es einen Sinn des Lebens? Und wenn ja, wer legt ihn fest? Und ist diese Festlegung eine Art Vorherbestimmung? In der kontemporären Kulturdebatte ist damit auch die Frage nach der menschlichen Willensfreiheit unter neuro-philosophischer Perspektive aufgeworfen, die sich im Film als freie Liebeswahl äußert: Wenn David sich für Elise entscheidet, dann trifft er seine Wahl augenscheinlich vor dem Hintergrund eines romantischen Liebesverständnisses – aus freien Stücken, nur seinem Herz folgend.

Die Romantik hatte dieses Liebesideal kontrastiv zur Vernunftehe etabliert, die wiederum ein aufklärerischer Reflex auf die seit Jahrhunderten von der Kirche propagierte göttliche Liebeswahl darstellte: Dieser zufolge finden nur die Liebenden zueinander, die Gott füreinander bestimmt hat.

Auch damit hatte die Kirche nicht bloß das Wohl den Menschen im Sinn, sondern ebenso ihr eigenes, sollte das göttliche Liebesideal doch vor allem den patriarchalen Heiratsstrategen das Handwerk legen, die bis ins 4. nachchristliche Jahrhundert Machtstrukturen durch Paarungen geplant hatten (wobei die Kirche zumeist leer ausging). „Der Plan“ scheint auf gewisse Weise all diese Liebesvorstellungen nachzuvollziehen, wenn er aus dem liebesplanenden Gott den Vorsitzenden einer Lebensverwaltungsbürokratie macht. Das Aufbegehren David gegen den Plan ist nämlich durchaus ein absurdes, denn die Gefühle, die er für Elise hat – erfährt er – sind die nicht korrekt gelöschten Reste eines vorherigen Verkupplungs-Plans, der lediglich abgeändert wurde.

Aporien der Plan-Gesellschaft

Einmal abgesehen vom individuellen, melodramatischen Kern der Erzählung, findet sich in der Frage nach dem freien Willen und seiner Auswirkung auf größere historische und soziale Zusammenhänge auch ein fundamentales Problem der Gesellschaft: Wie lässt sich eine brauchbare Prognose über die Zukunft der Gesellschaft aufstellen, wenn ihre Individuen durch ihr freies Handeln ständig unvorhersehbare Folgen verursachen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Soziologie seit den 1930er-Jahren und sie hat indirekt zu Gesellschaftstheorien „mittlerer Reichweite“ geführt, welche soziologische Großentwürfe als gescheiterte moderne Projekte entlarvten, Gesellschaft als „große Erzählung“ – mit Ursprungsmythos, vollständiger Beschreibbarkeit und zielgenauem Plan – zu verstehen.

Wenn die Verwaltungsbürokraten im Film ständig mit einer Art „Landkarte künftiger Entwicklungen“ herumfuchteln, auf der die neuesten Kapriolen Davids als „Welleneffekte“ dargestellt werden, entlarven sie damit auch ein Gottesbild, das genau solchen Ideen von Vorherbestimmung und Teleologie anhängt und den freien Willen Davids deshalb in die Schranken weisen muss, damit die Wirklichkeit endlich wieder zur Theorie passt.

Was in Dicks Kurzgeschichte noch als Schlussfrage beim Leser übrigblieb, ruft der Film während seiner gesamten Laufzeit regelrecht ins Publikum hinein: Was für eine Gesellschaft soll das eigentlich sein, die ihr Wohl und Werden in die Hände planender, unhinterfragbarer Obrigkeit legt? Darin klingen die religionskritischen Überlegungen Feuerbachs und Marx' ebenso an, wie die Kritik an der Planwirtschaft – oder heute: die (Un-)Möglichkeit eines Gottesstaates.

Die Handlung von der Handlungsmöglichkeit

Dieser Erzählgegenstand von „Der Plan“ ist allerdings nicht nur auf große soziale und historische Probleme anwendbar, sondern schon auf sich selbst als geplante filmische Erzählung. Eine der oft betonten Stärken Dick'scher Science Fiction ist ihre Selbstreflexivität. So ist „Blade Runner“ („Do Andorids dream of Electric Sheep?“) nicht nur ein Film über das verkürzte Leben von künstlichen Menschen, sondern auch einer über das Wesen des Filmdarstellers als für 90 Minuten generierte Scheinbiografie.

„Total Recall“ fragt nicht nur nach der grundsätzlichen Konstruiertheit unserer Persönlichkeit auf Basis stetiger Erinnerungsarbeit (siehe Daniel Schacter), sondern aspektiert auch das Medium (sei es nun die Kurzgeschichte „We Remember it for you Wholesale“ oder der daraus entstandene Spielfilm) als Maschine, die fiktionale Erinnerungen zu faktischen Erinnerungen im Zuschauer bzw. Leser macht.

„Der Plan“ könnte in dieser strukturalistischen Sichtweise ebenso als ein Film über die Frage „logischer Handlungsentwicklung“ gelesen werden: Ein Filmplot soll einen auf etwa anderthalb Stunden eingedampften, mithilfe filmischer Erzählverfahren (Kadrage, Montage, …) strukturierten Lebensausschnitt seiner Protagonisten abbilden, die – im spannenden Idealfall – eine unerhörte Begebenheit erleben, welche ihr Leben als etwas Besonderes darstellbar macht:

Dass David hinter die narrativen Strukturen seines eigenen Lebensplots schaut, ist förmlich als Demaskierung solch ästhetischen Erzählens zu werten; dass die Beamten im Film ständig mit so etwas wie einem Programmablaufplan herumlaufen, der den Lebenslauf als eine Art Algorithmus darstellen, aus dem David nun wiederum gleich einem „Programmierfehler“ herausbricht, hinterfragt auch die oft merkwürdig von der Alltagserfahrung des Zuschauers abweichende Filmerzählung und ihre Konstruiertheit.

„Der Plan“ wird damit zu einem beachtlichen Film über sein eigenes Sosein, was ihn wiederum zu einem der besten Science-Fiction-Filme der letzten Jahre macht – eben eine echte Philip-K.-Dick-Adaption.

Genre-Triplett

Nolfi erzählt seinen Science-Fiction-Film eigentlich als eine Mischung aus Polit-Thriller und Romantic Comedy. Die Darsteller verhelfen „Der Plan“ dabei zu einem merkwürdigen Changieren zwischen den drei Genre-Polen, bringen sie doch einerseits (insbesondere Matt Damon) ihre Rollenklischees in den Film mit ein, wirken sie dann vor dem Hintergrund der demaskierten Plan-Gesellschaft gleichzeitig „wie im falschen Film“.

Die Rückeroberung der Filmromance aus den Klauen der bürokratischen Gottes-Dystopie wirkt damit umso gelungener. Nolfi, der zuvor vor allem als Drehbuchautor für Actionfilme und Thriller mit komischen Einschlägen aufgetreten war, gelingt es in „Der Plan“ das Grundproblem der Erzählung Philip K. Dicks auf den Genre-Mix zu übertragen und damit die doch recht skeletthaft gebliebene Kurzgeschichte mit Leben zu füllen.

Eindrucksvolle Bilder findet er vor allem für die Räume der Verwaltung, wenngleich die Idee mit den Hüten und den Türen vielleicht ein bisschen arg an Märchenhaftes wie Michael Endes „Momo“ erinnert. Und auch die stets kryptisch bleibenden Blicke auf jene mysteriösen Plan-Skizzen, die die Umsteller stets mit sich herumtragen, wirken spätestens nach ihrer zweiten Einblendung wie Belege, dass es sich wirklich um Science Fiction handelt. Das hätte der Film nicht gebraucht – es sind in der Tat aber wirklich nur so kleine Rand-Details, dass sie den großartigen Gesamteindruck von „Der Plan“ kaum abschwächen.

Danach sieht alles ein wenig anders aus (11 Bilder)