Ethikkommission soll Merkels Atompolitik legitimieren

Auf europäischer Ebene arbeitet Wirtschaftsminister Brüderle gegen den Atomausstieg

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Einem oft zitiertem Sprichwort zufolge soll der, der nicht mehr weiter weiß, einen Arbeitskreis ins Leben rufen. Dieses Sprichwort nimmt sich nun Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Herzen. Neben der Reaktorsicherheitskommission (RSK), die derzeit an einem Fragenkatalog arbeitet, nach dem die angekündigte Sicherheitsüberprüfung der deutschen Kernkraftwerke abgearbeitet werden soll, wird eine Ethikkommission ins Leben gerufen. Deren bunt gewürfelte Zusammensetzung erscheint zumindest teilweise fraglich. Doch auch innerhalb der Regierung gibt es Widersprüche.

Auf der Pressekonferenz am Rande des Atomgipfels mit den Ministerpräsidenten der Länder, die Atomkraftwerke betreiben, gibt sich die Bundeskanzlerin gemeinsam mit ihren Ministern Rainer Brüderle (FDP) und Norbert Röttgen (CDU) kämpferisch. Die Überprüfung der deutschen Kernkraftwerke anhand neuer Fragen ist nur eines ihrer Ziele. Auch auf europäischer und internationaler Ebene soll eine Überprüfung der Kernkraftwerke stattfinden, erklärt sie.

Und in Deutschland soll es nicht darum gehen, alte Fragen zur Sicherheit erneut zu prüfen, vielmehr sollen neue Fragen abgearbeitet werden. Was passiert, wenn verschiedene Ereignisse gleichzeitig eintreffen? Sind die Kraftwerke überhaupt für denkbare Schadensereignisse ausgelegt? Was könnte bei Cyberangriffen passieren? Um diese Fragen soll sich die RSK als technisches Gremium kümmern. Doch die Debatte in der Gesellschaft soll von einer Ethikkommission begleitet werden.

Sie soll den vertrauenserweckenden Namen "Rat der Weisen" tragen. Unter dem Vorsitz des früheren Umweltministers Klaus Töpfer (CDU), dem der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias Kleiner als Vizevorsitzender zur Seite stehen soll, besteht die Kommission aus derzeit 14 Vertretern aus Gesellschaft und Kirche. Merkel schließt nicht aus, dass die Diskussionsrunde auch noch erweitert wird.

Wirklich überzeugend ist die Zusammensetzung jedoch nicht. Lässt sich der atomkritische Töpfer beispielsweise noch recht gut als Vorsitzender vermitteln, so stellt sich doch die Frage, warum mit Ulrich Fischer, Alois Glück und Reinhard Marx gleich drei Vertreter der christlichen Kirche einen Beitrag zur Ausstiegsdebatte liefern sollen. Zwar haben sich alle drei im Zuge der Katastrophe in Japan kritisch zur Atomenergie geäußert, zu kompetenten Gesprächspartnern werden sie dadurch noch nicht.

Zudem soll sich die Kommission laut Merkel nicht allein mit der Frage der Atompolitik, sondern auch mit dem Übergang zu Erneuerbaren Energien beschäftigen. Hier finden sich einige Vertreter in der Kommission, die durchaus geeignet erscheinen, den gebotenen Umstieg schlecht zu reden und so auszubremsen. Prominentes Beispiel ist der BASF-Vorsitzende Jürgen Hambrecht, der den offenen Brief an die Bundesregierung unterzeichnete, in dem die Forderung nach Strom aus Kohle und Atom erhoben wurde. Steigende Energiepreise, hervorgerufen durch einen Atomausstieg, sieht er als Grund für die Verlagerung von Arbeitsplätzen.

Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Hamburger SPD-Bürgermeister, warnte erst kürzlich in Talkshows vor höheren Energiepreisen, sollte der Atomausstieg kommen. Mit diesem Personal in der Ethikkommission lässt sich ein Schwenk in der Energiepolitik vollziehen, der nicht unbedingt zum schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien führen muss. Vielmehr kommt diese Personalauswahl eher einem Umstieg auf Kohleverstromung mit CCS-Technologie entgegen.

Uneinigkeit in den Regierungsparteien

In den Regierungsparteien gibt es offenbar erhebliche Widerstände gegen einen beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie. Die Argumente sind dabei altbekannt. "Wir brauchen Strom. Wir brauchen vor allen Dingen die Kernkraft als Grundlast", erklärte beispielsweise der Vize-Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Fuchs (CDU). Energie müsse bezahlbar bleiben, so sein zentrales Argument. Auch würden die Kernkraftwerke zur CO2-Einsparung beitragen.

Atomstrom als umweltfreundliche Form der Energie - mit ihrer Kampagne "Klimaschützer unter sich" noch im vergangenen Jahr wollte die Atomindustrie genaudiese Botschaft verbreitet wissen. Spätestens seit dem Unglück in den Reaktoren von Fukushima wirkt das Bild von sauberen Atomkraftwerken in grüner Landschaft bestenfalls lächerlich, die harte Realität in den Bildern der Zerstörung kontrastiert zu stark mit den PR-Plakaten, um noch ernst genommen zu werden. Nur bei den Atom-Befürwortern in der Politik ist sie noch da, die Mär von der sauberen Energiegewinnung durch die Kernspaltung. In das gleiche Horn stößt auch Kurt Lauk, der dem CDU-Wirtschaftsrat vorsitzt. Ohne die Kernenergie könnten Deutschland und Europa ihre Klimaschutzziele nicht erreichen, so Lauk.

In der Union scheint es eine Art Arbeitsteilung bezüglich des Atomausstiegs zu geben. Während sich die Kanzlerin in offenbar rechtswidrigem Aktionismus übt und kurzerhand ein Moratorium der Laufzeitverlängerung durchsetzt, halten ihre Parteifreunde auf europäischer Ebene den Ball betont flach. Während fünf Länder in der Europäischen Union, darunter auch Nachbarstaaten Deutschlands wie Österreich, Luxemburg und Dänemark, derzeit einen günstigen Zeitpunkt sehen, um über einen europäischen Atomausstieg zu sprechen, lehnt Wirtschaftsminister Brüderle dieses Ansinnen kategorisch ab und stellt sich damit auf die Seite der Atomnation Frankreich.

Brüderles Gesprächsverweigerung ist nicht nachvollziehbar - besonders dann nicht, wenn man auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zur Atompolitik schaut. In dieser warnte die Bundeskanzlerin vor den Folgen eines Ausstiegs. Möglicherweise könnten Arbeitsplätze in Länder mit billigerem Strom abwandern, wo die Kernkraftwerke nicht so sicher seien wie in Deutschland, so das Szenario der Kanzlerin. Gleichzeitig erklärte Merkel jedoch, sich im Zweifel für die Sicherheit entscheiden zu wollen. Vor diesem Hintergrund wäre nur ein vehementes Eintreten der Bundesregierung für einen Ausstieg in ganz Europa verständlich, wobei Deutschland als Industrienation als Vorreiter vorangehen könnte.

Wenn die Bundesrepublik einen zügigen Umstieg auf regenerative Energien schafft, ohne auf Stromimporte angewiesen zu sein, so erzeugt dies auch einen Handlungsdruck bei anderen EU-Staaten. Wer jedoch Brüderles geradezu kindliche Freude über die Thesen des Autors Günter Ederer anlässlich einer Buchvorstellung in Berlin beobachtet hat (Faschistische Tendenzen allüberall) - Ederer behauptete unter anderem, Atomstrom würde lediglich 2,5 Cent pro Kilowattstunde kosten -, wundert sich auch nicht, wenn der Wirtschaftsminister in Brüssel beim Atomausstieg auf dem Bremspedal steht.

Auch eine europaweite Sicherheitsüberprüfung der Kernkraftwerke nach verbindlichen Kriterien scheint nicht zu kommen. Zwar besteht weitgehende Einigkeit in den EU-Ländern mit Kernkraftwerken darüber, dass prinzipiell Stresstests stattfinden sollen. Doch Großbritannien lehnt offenbar verbindliche europäische Vorgaben ab. Dabei zeigen die jüngsten Berichte über den laxen Umgang mit Sicherheitsvorschriften und gefälschte Wartungsprotokolle im Katastrophenkraftwerk Fukushima, dass strenge Kontrollen, möglichst durchgeführt von unabhängigen Dritten, dringend nötig sind.