Versöhnt euch, Brüder!

Junge Palästinenser protestieren für die Einheit zwischen Hamas und Fatah

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Die Protestwelle in der arabischen Welt schwappt nun auch in die Palästinensergebiete über. Ihre politischen Führer will das Volk hier jedoch nicht los werden. Im Gegenteil: Die Demonstranten rufen zur Einheit auf, um so gemeinsam die israelische Besatzung zu stürzen.

Fotos: Indra Kley

Der 15. März sollte der „Tag der Versöhnung“ werden: Über Facebook hatten überwiegend junge Palästinenser dazu aufgerufen, an diesem Tag auf die Straße zu gehen, um gegen die Spaltung der beiden Parteien Hamas und Fatah zu demonstrieren. Von Eintracht zwischen den beiden zerstrittenen Lagern ist bislang jedoch nichts zu spüren, die Proteste gehen weiter.

Mit einem Palästinensertuch um den Hals steht Tamer Mansour auf dem Manara-Platz in Ramallah. Seit einer Woche kommt der Wirtschaftsstudent immer wieder hierher. Vor den Vorlesungen, nach den Vorlesungen, vor seinem Nebenjob, nach seinem Nebenjob. Wann immer es ihm möglich ist, zeigt er Präsenz. „Nach Tunesien und Ägypten ist uns klar, dass wir hier bleiben müssen, um unsere Ziele zu erreichen“, sagt der 25-Jährige.

Das oberste Ziel ist die Freiheit und Unabhängigkeit Palästinas. Um dies verwirklichen zu können, so glauben Tamer und die anderen Demonstranten, muss als erster Schritt zunächst die innerpalästinensische Einheit wiederhergestellt und der seit 2006 andauernde „Konflikt der Brüder“ zwischen Hamas und Fatah beigelegt werden. Wenn die Basis stimmt, dann könne sich das Volk gemeinsam mit ganzer Kraft gegen die israelische Besatzung stemmen. „Durch unsere Politiker sind wir praktisch zu zwei Völkern geworden“, erklärt Tamer.

Und beide Seiten haben nur ihre Interessen im Auge. Wir fordern aber, dass sie gemeinsam etwas für die Menschen tun. Die Versöhnung ist der erste Schritt, unser Land zu befreien.

Von der palästinensischen Regierung im Westjordanland wird der „Vorstoß der Jugend“ offiziell begrüßt. Trotzdem geht es bei den Protesten nicht ganz friedlich zu. Als eine Gruppe von Studenten lautstark mehr Mitbestimmungsrecht in der Politik fordert, kommt es zu einem Gerangel mit Vertretern der Fatah. „Die politischen Parteien hier wollen keine anderen Slogans zulassen, nur ihre eigenen“, beschwert sich Demonstrantin Najwan Berekdra. „Dabei geht es uns auch um mehr Selbstbestimmung.“

Tamer Mansour

Der Zorn der Fatah-Anhänger richtet sich auch gegen die Gruppe Hungerstreikender, die seit Tagen am Rande des Manara-Platzes ausharren und erst dann wieder Nahrung zu sich nehmen wollen, wenn der Bruderstreit ihrer politischen Führer beigelegt ist. „Die sollen aufhören damit, das ist doch völlig übertrieben“, ruft ein Fatah-Anhänger und prescht zu den geschwächten Männern vor. Najwan greift ein: Mit ihren Freundinnen setzt sich die 28-Jährige auf den Boden, um die Gruppe zu schützen und friedlich im Sitzstreik gegen das rabiate Vorgehen zu protestieren. „Und wir planen nicht, zu gehen“, betont sie.

Auch im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen kommt es seit einer Woche immer wieder zu Protesten – und zu Zusammenstößen mit der Polizei, die die Demonstrationen gewaltsam unterbinden will. Erst am Wochenende war wieder ein Protestzug von Studenten der Al-Azhar-Universität in Gaza-Stadt von Polizisten angegriffen worden. Die politische Führung berät derweil über die Zusage von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, zum ersten Mal seit vier Jahren in den Gazastreifen zu reisen, um mit der Hamas über die Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung zu sprechen und einen Termin für die seit 2009 mehrfach verschobenen Wahlen anzusetzen.

Besonders der militärische Flügel der Hamas, die Kassam-Brigaden, scheint gegen diesen Vorstoß zu sein. „Es ist beschämend für die Fatah über Versöhnung zu sprechen, während sie unsere Kämpfer festhalten und mit der Besatzungsmacht in Sicherheitsfragen kooperieren“, wird Abu Obaida, ein Sprecher der Kassam-Brigaden, in israelischen Medien zitiert.

Abbas' Initiative wird Tinte auf Papier bleiben, solange er nicht aufhört, unsere Männer einzusperren und mit der Besatzung zu koordinieren. Das ist die einzige Möglichkeit, wie er beweisen könnte, dass er aufrichtig an Versöhnung glaubt.