Fukushima, die Aufmerksamkeit und die Medien

Gemischte Meldungen aus dem AKW Fukushima, die Medien wenden sich ab

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Auch Massenmedien mit entsprechenden Ressourcen haben keinen langen Atem. Die Tagesschau (ARD) hat ihren Ticker zur Katastrophe in Japan, vornehmlich auf die Situation in der Atomanlage Fukushima ausgerichtet, gestern Abend "zeitweilig" geschlossen. Der Grund: "Derzeit gibt es nur wenige Nachrichten aus Japan."

Man wäre ja geneigt zu fragen, was denn die notwendige Zahl an Nachrichten wäre und ob es wirklich nur um die Zahl geht, nicht auch um den vielleicht nicht mehr so interessanten Inhalt für einen Ticker. Natürlich läuft sich auch die Idee damit tot, zu jedem schnell aufschießenden Ereignis einen Ticker, Sondersendungen oder Beilagen zu machen, um so die Neugier mit mehr oder weniger wahllos gesammelten Kurzmeldungen zu sättigen und die Aufmerksamkeit abzufangen und zu halten. Schon der Beginn des Irak-Kriegs wurde so in Anpassung an die Medien mit eingebetteten Journalisten inszeniert, um die Spannung an den Bildschirmen aufrechtzuerhalten und einen Thriller mit möglichst schnellem Ende in der glücklichen Befreiung der Iraker und dem Sturz des Diktators zu inszenieren. Wenn die Geschichten aber nicht schnell im Erfolg oder in der Katastrophe enden, sondern sich dahinzuschleppen beginnen, ist die Zeit der Dauerbeobachtung vorbei und damit auch die der Ticker und Sondersendungen.

Und weil derzeit wenig Dramatisches in Fukushima passiert, man mit dem drohenden GAU lebt und die Eindämmung des GAUs an immerhin 6 Reaktoren und ebenso vielen Abklingbecken sogar einige Fortschritte zu machen scheint, wird schon wieder Optimismus verbreitet und gesagt: Alles nicht so schlimm.

Das Problem ist immer auch ein Aufmerksamkeitsproblem der Menschen und der Medien, die die Rolle von kollektiven Aufmerksamkeitsorganen spielen. Aufmerksamkeit ist flüchtig, eine knappe und sehr beschränkte Ressource, Aufmerksamkeit sucht nach Neuem, das Gefahr oder Wunschbefriedigung enthält und kann dementsprechend schnell abgelenkt werden. Daher sind für eine mehr und mehr auf die Aufmerksamkeit zugeschnittene Wahrnehmung und Medienlandschaft plötzliche Ereignisse, die eindeutige und beeindruckende Bilder liefern und schnell ihren narrativen Höhepunkt erreichen, privilegiert: Terroranschläge, Erdbeben oder Tsunamis etwa. Alles, was dauert, sich hinzieht, aber deswegen nicht weniger schlimm oder dramatisch sein muss, fällt schnell aus dem Wahrnehmungsspektrum heraus, zumal wenn die Gefahr wie bei den havarierten Reaktoren und Abklingbecken gar nicht sichtbar ist und vielleicht nur langfristige Folgen haben kann.

Fukushima versprach erst ein apokalyptisches Drehbuch mit heroisch kämpfenden Menschen, die sich für die Allgemeinheit opfern. Nachdem nun die Schlampereien und Betrügereien von Tepco bekannt wurden, die im Zusammenspiel mit den laxen Behörden die Sicherheit dem Profit opferten, funktioniert in dem zunehmend schmutzigen Spiel, das auch aus einer weiterhin bestehenden Informationsverknappung besteht, wie Tepcos tägliche, höchst vage Zustandmeldungen klar machen, das Drehbuch nicht mehr. Es wird zwar etwas gemacht, dauerhaft besprüht oder Notstromleitungen verlegt, aber die Lage stabilisiert sich nicht. Die Kontamination der Umwelt nimmt allmählich, teilweise drastisch zu, aber alles sei nicht problematisch, heißt es.

Mittlerweile ist selbst die IAEA besorgt, zumal auch sie nur auf die Informationen angewiesen ist, die sie vom Betreiber und von der japanischen Regierung erhält. Dabei geht es um eines der Kernprobleme der Atomenergie überall auf der Welt, nämlich um die fehlende Endlagerung. In Fukushima werden Tausende von Brennstäben in Abklingbecken in den sechs Reaktoren über Jahre gelagert, dazu kommt ein Zwischenlager, in das sie dann kommen. Offenbar steigen die Temperaturen weiter in den Abklingbecken in Block 2 und 3 – trotz Besprühens mit Wasser. In Reaktor 3 sollen die Thermometer wieder arbeiten, aber eine höchst beunruhigende Wärme von mehr als 300 Grad Celsius angezeigt haben. Aus beiden Blöcken steigt auch Rauch auf. Die Brennstäben scheinen weit aus dem verbliebenen Wasser zu ragen.

Dazu kommen Meldungen, dass weitere Nachbeben stattgefunden haben und noch drohen. Es soll regnen und der Wind sich kurzzeitig drehen – und es bleibt völlig unklar, wie man die Reaktoren langfristig sichern will und was dies kosten wird. Derweil entschuldigt sich die Tetreibergesellschaft Tepco bei den Menschen, die evakuiert werden mussten – und der Industrieminister entschuldigt irgendwie auch bei den Feuerwehrleuten, von denen es heißt, sie seien zum Einsatz genötigt worden. Derweilen steigen die Strahlungswerte in Tokio, im Umkreis des AKWs und im Meer sowie in den Lebensmitteln aus der Fukushima-Region deutlich an.