Die wirkliche Katastrophe beginnt erst in Fukushima

Arbeiter müssen vom AKW abgezogen werden, die weiträumige Strahlenbelastung steigt, nach der Gesellschaft für Strahlenschutz ist die Situation mit Tschernobyl vergleichbar

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Wer bislang noch der Überzeugung war, dass alles nicht so schlimm werden und dass man die Situation in den Griff bekommen wird, dürfte sich getäuscht haben. Verwunderlich ist es nicht, weil 4 der 6 Reaktoren und möglicherweise alle Kühlbecken, die mit Tausenden von Brennstäben gefüllt sind, nach dem Ausfallen der Kühlsysteme, Explosionen, teils großen Zerstörungen, möglicherweise auch Schäden an Reaktor-Containments gleichzeitig gesichert werden müssen. Vermutlich wäre schon ein Reaktor mit Teilkernschmelze ein großes Problem gewesen, aber so viele hoch gefährliche, aus Kontrolle geratenenen Systeme übersteigen die Kräfte und Möglichkeiten der relativ wenigen Menschen, die in Fukushima ihrer vermutlich für sie tödlichen Arbeit nachgehen.

Nun wurden vorübergehend alle Mitarbeiter wegen zu hoher Strahlenbelastung vom AKW Fukushima abgezogen. Schwarzer Rauch steigt aus dem mit den gefährlichen MOX-Brennstäben gefüllten Reaktor 3 auf, was auf einen Brand hinweist, womöglich von Brennstäben im Abklingbecken. Beim Reaktor 2 beträgt die Strahlung 500 Millisievert pro Stunde. Die Kesseltemperatur in den Reaktoren 1 und 3 ist über 300 Grad gestiegen, von Tepco heißt es aber beschwichtigend, dass deswegen eine Kernschmelze noch nicht zu erwarten sei. Dazu wird immer deutlicher, dass sich die Kontamination weit über Fukushima hinaus erstreckt. Im 220 km südlich von Fukushima gelegenen Tokio wurden im Trinkwasser für radioaktives Jod 131 Werte von 210 Becquerel pro Liter gemessen, der Grenzwert für Kleinkinder beträgt 100 Becquerel, der für Erwachsene 300. Kinder unter einem Jahr sollen daher kein Leitungswasser mehr erhalten, ansonsten heißt es, sei das Trinken gesundheitlich noch unbedenklich. Die betroffene Wasseraufbereitungsanlage liefert Trinkwasser für ganz Tokio und 5 weitere Städte.

Die Regierung bittet, nun keine Panikkäufe von Wasserflaschen vorzunehmen, aber natürlich haben die Menschen nun Sorge und versuchen sich, mit Wasserflaschen und Lebensmitteln einzudecken. Gemüse und Milch aus der Präfektur Fukushima ist bereits hoch belastet mit Jod und Cäsium. Die Regierung hat einen Verkauf von Gemüse aus Fukushima verboten und die Menschen vor einem Verzehr vieler Gemüsesorten aus der Region gewarnt, auch wenn weiterhin versichert wird, dass ein Verzehr nicht gesundheitsschädlich sei Die Kontamination ist auch außerhalb der Evakuierungszone und im Meer deutlich angestiegen.

Die Gesellschaft für Strahlenschutz berichtet, dass die IAEA zusammen mit japanischen Behörden bis zu einer Entfernung von 200 km von Fukushima 1 Gammadosisraten zwischen 2 und 160 µSv pro Stunde im Vergleich zum natürlichen Hintergrund von rund 0,1 µSv/h gemessen hat und verweist darauf, dass der natürlich Hintergrund in Berlin bei 0,07 µSv/h liegt. Beta-Gamma-Kontaminationen zwischen 200.000 und 900.000 Becquerel (Bq) pro Quadratmete wurden in einer Entfernung von 16 bis 58 km Entfernung gemessen. Für Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, liegt mittlerweile ein Vergleich mit der Tschernobyl-Katastrophe nahe:

Hot spots wurden von den russischen Behörden damals als lokal begrenzte Kontaminationen von mehr als 555.000 Becquerel pro Quadratmeter definiert. Das ist die Größenordnung, die in Japan zwischen 16 und 58 km von der IAEA gemessen wurde. Die Ausdehnung dieser Zone in Japan ist vergleichbar mit der Sperrzone westlich von Tschernobyl.

Sebastian Pflugbeil

Aus diesem Grund liege in Fukushima ein Super-GAU vor. Er fordert dazu auf, die Region um das AKW weiträumiger zu evakuieren. Im DeutschlandRadio sagte er:

Faktisch geht das Problem in Japan erst los, es fängt erst an. Und auch die Verteilung der Radioaktivität über größere Territorien fängt erst an und die Problematik, was man da macht, wie man mit Nahrungsmitteln umgeht, all diese Dinge, Schutz der Bevölkerung, fangen erst an; und die Probleme auf der Anlage selber, wie man mit diesen Zahnlücken jetzt umgeht in Richtung auf irgendwelche Sarkophage, das wird sich über Jahre hinstrecken.

Sebastion Pflugbeil

Bezeichnend ist, dass weder hohe Manager der Betreibergesellschaft Tepco noch Minister der japanischen Regierung oder der IAEA-Generaldirektor Amano das AKW und die sich dort aufhaltenden Arbeiter, Soldaten und Feuerwehrleute besucht haben. Ob diese freiwillig dort sind oder gezwungen wurden, ist umstritten. Und der Verdacht besteht, dass Tepco die "mutigen 50" mit so genannten "Wegwerfarbeitern" bestückt hat, die das Unternehmen einer hohen Strahlenbelastung aussetzen und dann entlassen kann.