Und wenn ich was nicht ändern kann, dann zieh' ich mir die Scheuklapp' an

Die "Pöbelseite" isharegossip.com sorgt für die erneute Diskussion um die Frage, inwieweit das Netz kontrollierbar sein soll oder muss

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Die gemeinschaftlich begangene Körperverletzung, die derzeit als Auslöser für die Diskussion um die Seite isharegossip.com gilt, ist keine, die sonderlich originelle Ursachen hat. Offenbar ging es im Wesentlichen um zum Teil rituelle und aus dem afroamerikanischen Dozens-Spiel abgeleitete Beleidigungsarien, die zum Beispiel in Filmen von Quentin Tarantino parodiert werden. Dies ist ebenso wenig neu wie die Tatsache, dass Schüler gemobbt werden - wobei der Ausdruck Mobbing lediglich darauf hinweist, dass hier Schikane, Demütigung und Ausgrenzung systematisch und durch Gruppen betrieben werden.

Im aktuellen Fall geht es aber nicht nur um Mobbing. Hier geht es darum, dass sich ein 17-Jähriger, der seine Freundin vor Mobbing schützen wollte, letztendlich einer Übermacht von 20 Gewalttätern gegenübersah, die auf ihn einschlugen und ihm schwere Verletzungen beibrachten. Selbst als er bereits bewusstlos war, ließen sie nicht von ihm ab. Das ist kein Mobbing mehr, das ist schlicht und ergreifend gemeinschaftlich begangene Körperverletzung bis hin zum versuchten Mord - je nach Definition.

Doch selbst wenn es "nur" um Mobbing gegangen wäre, so zeigt die Reaktion der Politik und der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM), wie hilflos gegen die Symptome vorgegangen wird. So versuchte die BPjM, die Betreiber der Seite isharegossip zu kontaktieren, um diese zu einer Stellungnahme zu bewegen. Immerhin wendete die Behörde sich dabei nicht erst an "Alexander Liepa", der auf isharegossip als Betreiber genannt wird. Zwar kann es sich bei ihm theoretisch um den wirklichen Betreiber handeln, eher steht allerdings zu vermuten, dass die Nennung ein Scherz ist - denn Alexander Liepa aus Montgomery gilt als Erfinder der bekannten "Pringles"-Chips, deren Werbeslogan "once you pop, you can´t stop" lautete.

Verfolgt die BPjM die Spur der Betreiber so, wie dies beispielsweise Burkhard Schröders in seinem Blog macht, dann finden sich andere Namen: Die PRQ AB in Schweden hostet nicht nur isharegossip.com, sondern auch diverse weitere Angebote, die von Behörden anderer Länder ungern gesehen werden. Ihr Geschäftsmodell basiert darauf, Webauftritten eine technische Basis zu bieten, die so seltsam oder kontrovers sein können wie sie wollen, solange sie nicht gegen schwedisches Gesetz verstoßen. Als PRQ von US-amerikanischen Richtern und Banken wegen Wikileaks (und der Julius Bär Dokumente) kontaktiert wurden, hatten sie denn auch einen entsprechenden Kommentar für all diejenigen parat, die meinten, mit ein paar Worten bei ihnen Angst und vorauseilenden Gehorsam erzeugen zu können:

We have the usual small army of stupid lawyers that think we will piss our pants because they send us a scary letter. We do employ our own legal staff. We are used to this sort of situation.

Zu erwarten, dass gerade PRQ der BPjM nachgibt oder hilft, ist deshalb illusorisch. Bei der von isharegossip.com angegebenen Adresse in Riga handelt es sich wahrscheinlich um eine Briefkastenadresse. Es bliebe also nur übrig, dem Geldfluss zu folgen. Dieser ist derzeit gering - circa 50 Euro brachten die Werbeeinblendungen einem der beiden Teilhaber laut Informationen des Spiegel bisher ein. Als großartiges Geschäftsmodell kann man die Seite deshalb wohl nicht werten. Eher ist sie wahrscheinlich ein Versuch, Behörden zu provozieren. Umso absurder mutet die Hektik an, mit der nun gegen isharegossip.com vorgegangen wird - zumal die Maßnahmen im vorliegenden Fall völlig wirkungslos verpuffen dürften.

Raus aus der Suchmaschinenliste

So wurde die Seite auf den BPjM-Index gesetzt, was bedeutet, dass die größeren Suchmaschinenbetreiber sie aufgrund einer Selbstverpflichtung nicht mehr in den (deutschen!) Listen aufführen werden. Nur ist isharegossip.com unter anderem durch die Medienberichte darüber mittlerweile so bekannt, dass danach gar nicht mehr gesucht werden muss. Die Indizierung greift deshalb weitgehend ins Leere. Im Zusammenhang mit der Tatsache, dass sich der Dienst in Deutschland bisher keiner übertrieben großen Bekanntheit erfreute, können die Betreiber sich über den Aufruhr, den sie verursachten, glücklich schätzen. Doch inwiefern hilft dies eigentlich den Opfern von Mobbing und Körperverletzung, wenn die Seite auf dem Index landet?

Im Rahmen der Diskussion über isharegossip.com meldeten sich auch Mobbingexperten zu Wort und gaben ihre Einschätzung der Situation an Medien weiter. So meinte Catarina Katzer im Spiegel-Interview:

Da ist etwas passiert, das Kollegen und ich schon länger befürchtet haben. Früher galt immer: Was im virtuellen Leben stattfindet, ist nicht real und hat wenig mit dem zu tun, was auf dem Schulhof passiert. Das stimmt aber oft nicht.

Zeugt schon diese Ansicht von einer gewissen Schlichtheit, was die Vorstellungen über die Dynamik zwischen "virtuellem" und "realem Leben" angeht, so ist Katzers Erklärung, weshalb "Offline"mobbing für das Opfer einfacher zu überstehen sein soll, bestenfalls naiv und schlimmstenfalls zynisch:

Wenn sie wissen, wer der Täter ist, können sie wenigstens versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen. Sie wissen auch, wer ihr Freund ist. Jetzt sitzen sie in der Klasse und fragen sich: Wer war das? Vielleicht mein Nebensitzer [sic]? Wenn dann jemand merkt, dass die eigene beste Freundin am Mobbing beteiligt ist, wird das Vertrauen in Freundschaft natürlich noch viel mehr erschüttert.

Mobbing findet in Bereichen statt, in denen das Opfer den Tätern eben nicht einfach so aus dem Weg gehen kann. Ob in der Schule oder im Arbeitsleben - Mobbing dient ja dazu, das Opfer zu quälen und letztendlich gegebenenfalls sogar zur Flucht zu bewegen. Dies funktioniert nur, wenn der oder die Gequälte keine Möglichkeit hat, seinen oder ihren Peinigern einfach so aus dem Weg zu gehen - denn dies wollen die Täter nicht zulassen. Für die Opfer ergibt sich so auch oft die Situation, dass das Mobbing nur belächelt oder gar als "alternativlos" hingenommen wird.

"Das vergeht wieder", "das macht jeder mal durch", "stell dich nicht so an" oder "da musst du durch, demnächst suchen sie sich einen anderen" sind Standardsprüche, die sie von Lehrern häufig zu hören bekommen. Auch Eltern verharmlosen Mobbing und glorifizieren quasi ihre eigene Kindheit, in der sie "auch mal Prügel bezogen haben" und in der "sie sich durchgebissen haben, sich eben ihren Schneid nicht haben abkaufen lassen" et cetera. Die Ansicht mancher Väter und Mütter, dass das Opfer ja auch selbst etwas getan haben muss, führt in Verbindung mit den oben aufgeführten "guten Ratschlägen" dazu, dass es über die Situation Stillschweigen bewahrt. Hinzu kommt, dass die Täter nicht selten durch Schüler gedeckt werden, die das Mobbing sehen, aber froh sind, nicht selbst Opfer zu sein.

Hier könnte einer Seite wie isharegossip.com sogar eine Art "Enthüllungsfunktion" zukommen, da Eltern sich darüber informieren könnten, ob ihr Kind Mobbing ausgesetzt ist, ohne dass es darüber redet. Opfer könnten so aufzeigen, dass es nicht so war, dass "niemand etwas gewusst hat", sondern ihre Situation belegen. Dann könnten, wie Catarina Katzer empfiehlt, "alle Lehrer [...] in ihre Klassen gehen und sagen: 'An dieser Schule ist ein Fall von Mobbing passiert, das dulden wir nicht.'"Andere Maßnahmen wären ein bereits in der Grundschule beginnendes offenes Thematisieren von Mobbing und in "dramatischen Fällen" ein Einschalten der Polizei. Für diese Maßnahmen bedürfte es keiner Bundesprüfstelle und keiner Indizes.

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