Musik im April

Von Rudolf Maresch

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Sechziger Jahre:

The Beach BoysCalifornia Girls von 1965 auf „Summer Days (Summer Nights)“

Es gibt nicht wenige, die in den Beach Boys, den drei Brüdern Wilson, deren Cousin Mike Love und ihrem Schulfreund Al Jardine, damals eine ernsthafte Konkurrenz zu den vier Pilzköpfen aus Liverpool erkennen wollten. Und in der Tat verstanden es die fünf Kalifornier mit ihrem Surfin’ Beat die Herzen und Köpfe vieler Teenager auch hierzulande im Sturm zu erobern. Die Hits, die sie allein in den Sechzigern produzierten und mit denen es ihnen gelang, die Beatles zeitweilig vom Thron zu stoßen, vermag man gar nicht alle aufzuzählen.

Gewiss hielten die Texte nicht immer das, was sich ein grüblerischer Popkritiker unter Sozialkritik oder verstörender Poesie ausmalt. Meist geht es in den Songs (vor allem in der Frühphase) um schöne Mädchen und braungebrannte Jungs, um große Gefühle und ein unbeschwertes, von Alltagssorgen freies Leben, das allenfalls von ersten, zaghaften Annäherungen der Teenager ans andere Geschlecht und/oder von Sehnsucht durchdrungenen Blicken und Küssen unterbrochen wird.

An deren Stelle bekam man aber ebenso feine wie komplexe und, für damalige Verhältnisse, gar sehr ungewöhnliche Harmonien und Arrangements, die, von wunderbaren Melodien und vielstimmigen A Cappella Gesängen getragen, aus glockenhellen Kehlen erklangen, wie wir sie später in dieser wundervollen Art im Popgeschäft nie wieder gehört haben.

An den Beach Boys lässt sich aber auch sehr gut beobachten, dass Pop und Rock beizeiten auch eine geografische, nimmt man das dazugehörige Business dazu, sogar eine raumpolitische Komponente einnehmen. „Surfin’ USA“, „Then I Kissed Her“ oder „Fun, Fun, Fun“, jene Single, die wir seinerzeit genauso gierig und heftig herumgereicht haben wie heute die Jungs und Mädels ihre MP3s, sind so weder in Berlin noch in London oder in Manchester denkbar.

So was gibt es nur an der pazifischen Küste, wo sich die Wellen, bei günstiger Witterung, zu gigantischen Wänden auftürmen, der Lebensstil aufgrund der Milde und Wärme des Klimas ungezwungener wird und Künstlern diesen locker-flockigen Sound förmlich aufzwingen. Noch heute lassen sich jüngere Bands wie Rooney oder The Drums gern vom Surfin’ Sound der Fünf beeinflussen oder inspirieren.

Es ist alles andere als leicht, aus dem ebenso reichhaltigen wie genialen Repertoire der Band einen Anspieltipp auszuwählen. Selbstverständlich hätte sich „Good Vibrations“ angeboten, oder ein Song aus „Pet Sounds“, dem Meisterwerk der Band. Doch statt dem grandiosen „God Only Knows“, „Wouldn’t It Be Nice“ oder „Still Believe in Me“ haben wir uns für das eher simple, aber dafür ungezwungene „California Girls“ vom 1965 Album „Summer Days (And Summer Nights!!)" entschieden.

Darin fabuliert Brian Wilson:

„I’ve been all around this great big world/And I’ve seen all kind of girls/Yeah, but I couldn’t wait to get back in the States/Back to the cutest girls of the world/I wish they all could be California girls“.

Noch Fragen?

Siebziger Jahre:

Devo(I Can’t Get No) Satisfaction von 1978 auf „Q: Are We Not Men? A: We Are Devo“

„Saturday Night Fever“ – John Travoltas wundervolle Tanzeinlagen und das Come Back der Bee Gees waren überall noch allgegenwärtig, als es plötzlich taghell in mancher deutscher Diskothek wurde. Als diesbezüglicher Trendsetter erwies sich hierzulande der „Dschungel“, eine schicke und stylische Szene-Disco in Berlin-Schöneberg, wo weiße Neonröhren das Dunkel der Tanzschuppen ablösten, damit die Leute sich endlich wieder von Angesicht zu Angesicht begegnen konnten. Gleich nach seiner Eröffnung von 1978 setzte Ideal dem Laden in ihrer Berlin-Hymne eine Art Denkmal.

Wer damals im „Dschungel“ seine Abende oder Wochenende verbrachte, der konnte dort auch Bekanntschaft mit den Songs der Gruppe Devo machen. Zwar wurde die Band schon Anfang der 70er Jahre von den Kunststudenten Jerry Casale und Mark Mothersbaugh in Akron in Ohio gegründet. Aber erst Ende der Siebziger, als New Wave sich zur richtigen Welle formte, wurde eine Erfolgsgeschichte draus. So mancher der Songs, die sie 1978 auf die Platte „Are We Not Men? “ pressten, liefen dort rauf wie runter.

Den Namen Devo leitete die Band vom Begriff der „De-Evolution“ ab. Ihre Mitglieder waren tatsächlich überzeugt, dass die Menschheit sich in einer Rückwärtsentwicklung befände, angesichts mancher Tendenzen in Politik, Kultur und Medien eine nicht ganz weltfremde Ansicht. Schon die Namensgebung wies darauf hin, dass es sich bei Devo um mehr als bloße Musiker handeln sollte. Von Anfang an verstanden sich die fünf schrägen Typen darum auch als avantgardistisches Gesamtkunstwerk.

So verbanden sie Songs, Alben und Auftritte nicht nur mit Kabarett, Schauspiel und Grafik-Design, sie versuchten auch, ihre Landsleute mit bissigen Texten zur Zeit und überdrehten Performances, mit roboterhaften Bewegungen und avantgardistischen Uniformen, die irgendwie an Kraftwerk erinnerten, zu verstören. Musikalisch paarten sie das dann, der Zeit folgend, mit Punk-Riffs und Synthie-Pop-Elementen.

Doch nach dem One-Wave Wonder war auch bald schon wieder Schluss. Zwar veröffentlichte die Band in den Achtzigern noch weitere Alben. Die jüngste gar vor einem Jahr nach einer zwanzigjährigen Pause. Doch so eine Irrsinnsplatte wie diese haben sie nie mehr hinbekommen. Mit der New Wave Welle und der erneuten Abdunkelung der Diskos wurde auch Devo hinweggespült.

Ausgewählt haben wir das geniale Cover des Rolling Stones Hits „Satisfaction“. Hören kann man das Original längst nicht mehr, nicht einmal aus der Kehle von Mick Jagger, seitdem es von ergrauten Möchtegern-Rockern in irgendwelchen Bierzelten gegrölt und verhunzt wird. Unter der Regie der „De-Evolutionisten“ wird der Song aber neu arrangiert und intelligent aufpoliert, sodass er kurzfristig zur Hymne einer nach Neuem lechzenden Zeit werden konnte.

Achtziger Jahre:

U2 – "40" von 1983 auf War und Live At Red Rocks - Under A Blood Red Sky

Was wir in unserer letzten Kolumne über R.E.M. verlautbart haben, deren jüngstes Album „Collapse Into Now“ aber überraschend gut geworden ist, gilt in gewisser Weise auch für die vier Herren Bono, Edge, Clayton und Mullen.

Auch sie sind in den Achtzigern groß und berühmt geworden; auch sie haben in diesen Jahren musikalisch ihre beste Zeit erlebt; und auch da waren sie am besten, weil sie sich auf ihr Kerngeschäft konzentriert haben, nämlich gute Musik zu machen, und sich nicht von anderem Firlefanz ablenken zu lassen. Erst als Bono das Rock- und Singgeschäft zu langweilig wurde, seine missionarische Ader entdeckte und glaubte, dass er sich auch zum Mahatma Gandhi des Popbusiness eigne, ging es mit U2 künstlerisch (nicht kommerziell) abwärts.

Zwar schafften es die Iren immer wieder in ihrer dreißigjährigen Karriere ein paar neue Glanzpunkte zu setzen. Man denke nur an „Achtung, Baby“, das sie Anfang der Neunziger in Berlin produzierten. Doch hechelten sie danach und in den Nullerjahren, siehe „Pop“ und „Zoooropa“ vor allem den Zeitgeist hinterher.

Dass sie aber grundsätzlich eine prima Rockband sind, eine der besten auf dem Planeten überhaupt, diesen Nachweis lieferten sie eigentlich nur und stetig in den Achtzigern. Man höre oder sehe sich diesbezüglich nochmals CD und (besser) DVD ihres Livekonzert vor der Kulisse der Red Rocks an. Gewiss kann man in diesem Zeitzeugnis bereits die Neigungen Bonos zu pathetischen Politgroßfloskeln erkennen. Auch gibt es in den Songs und Texten schon die Auseinandersetzung mit Zeitkonflikten etwa in Irland und Polen.

„Hello Japan“ beispielsweise, mit dem Bono den Song „Surrender“ einleitet, mag angesichts der Ereignisse in Fukushima und Umgebung in diesen Tagen eine etwas makabre Note bekommen. Doch noch trägt Bono keinen dunklen Ray-Bans auf und außerhalb der Bühne. Und noch bleiben Anfälle politischer Großmannssucht allenfalls Neben- und Randgeräusche eines grandiosen Rockkonzerts, das U2 vor nun achtundzwanzig Jahren aufgeführt haben und die von Edges brillanten Riffs einfach überdeckt und locker einkassiert werden.

Ausgewählt haben wir das eher selten gespielte „40“, ein ebenso simpel gestalteter wie pathetischer und in seiner Außenwirkung kraftvoller Song. Die beiden Videos, die wir dazu gefunden haben, spiegeln das ganze Charisma, das die Band in ihren besten Momenten entfalten kann, nicht nur damals in der Wüste Arizonas.

Auf nachfolgenden Touren, zum Beispiel auf der Vertigo-Tour, beendeten sie mit „40“ immer mal wieder ihre Performance, wie im anderen Video, das in Chicago aufgenommen wurde, zu sehen ist. Vermutlich auch, weil das Publikum den Refrain bisweilen auch noch nach Beendigung des Konzertes minutenlang intonierte und damit nach dem Abgang der Band eine mystische Stimmung schaffte.

Neunziger Jahre:

MorrisseyLost von 1997 auf „Maladjusted“ (Expanded Edition)

Als Morrissey 2004 mit „You Are The Quarry“ ein grandioses Comeback feierte, war die Popkritik plötzlich wieder Feuer und Flamme für den Sänger. Aus dem Blick geriet dabei häufig, dass „Moz“, wie er von den Fans liebevoll genannt wird, nach der Auflösung von The Smiths seine musikalisch beste Zeit Anfang und Mitte der Neunziger verlebte.

Obwohl die Platten kommerziell nicht immer sehr erfolgreich waren, schrieb er während dieser Zeit nicht nur geniale Songs, die man auch heute noch bedenkenlos am Stück konsumieren und lieben kann, da fand er auch in den Gitarristen und Textern Alain Whyte und Boz Boorer kongeniale Partner für seine Ideen. Mit ihnen konnte er auch mal (wie auf „Southpaw Grammar“) richtig abrocken, was mit Johnny Marr, der lieber elektronische Musik machen wollte, so nicht immer möglich gewesen war.

Die siebenjährige Pause, die er sich nach Erscheinen von „Malajusted“, das von der Kritik zu unrecht verrissen wurde, selbstredend verordnete, war ja nicht bloß einem künstlerischen Blackout verschuldet, sondern Ergebnis einiger provokanter, zweideutiger und politisch inkorrekter Äußerungen und Texte, die er angeblich in der Öffentlichkeit oder bei Auftritten auf der Bühne von sich gab.

Weil er sich nie zu irgendwelchen Vorwürfen oder Verleumdungen öffentlich äußerte, weder zu Rassismus noch zu Pädophilie oder Homoerotik, wurde er bald darauf zur Zielscheibe öffentlicher Kritik. Ein Musikmagazin wie der NME, das Moz davor nahezu hymnisch verehrt hatte, boykottierte ihn sogar deswegen. Weshalb der Sänger angesichts des öffentlichen Klimas, das die Presse verbreitete, es alsbald vorzog, seinem Heimatland den Rücken zuzukehren und nach Los Angeles zu flüchten.

Auch hier fällt es wieder nur schwer, irgendeinen Song auszuwählen. Die beste Sammlung bietet das Album „Suedehead“, als bestes Soloalbum gilt zu recht „Vauxhall and I“. Aber das ist auch Geschmackssache. Wir finden, als leidenschaftlicher Fan des Mozzers, wie wir sogleich und gerne zugeben, dass man bedenkenlos zu jedem Album greifen kann, gleich ob zu „Viva Hate“ oder „Bona Drag“ noch aus den Achtzigern oder zu „Your Arsenal“ oder „Malajusted“. Immer wird man von Morrissey bestens bedient.

Ausgewählt haben wir „Lost“ aus „Maladjusted“, auch wegen der großen Gefühle und dem zum Dandy und Exzentriker Morrissey bestens passenden Text:

„Jet trails in the sky/Leave one word behind/A hand bangs into sand a name/And we all understand/Everybody's Lost/But they're pretending they're not/Lost/Oh, Lost/So if I see you/And I tell you/I've watched you/Don't make fun of me later/Cause I'm just Lost.“

Nullerjahre:

LCD SoundsystemOn Repeat von 2005 auf „LCD Soundsystem“

Neben der Wiederkehr des Garagen-Rocks waren die Nullerjahre auch geprägt von einer Runderneuerung von House und Dance. Trendsetter diesbezüglich war der Produzent und DJ James Murphy, der mit seinem Projekt LCD Soundsystem eine kongeniale Fusion von Rock und Dance, House und P(F)unk anrührte, etwas, was in gewisser Weise auch die Chemical Brothers und The Prodigy schon den Neunzigern versucht haben. Murphy und seine Mitstreiter spulten nicht nur die zuvor am Laptop komponierten Beats ab, sondern platzierten auch wieder echte Drums, Gitarren und die dazugehörigen Musiker mit auf die Bühne.

Insgesamt drei bzw., wenn man das von Nike in Auftrag gegebene „Jogging-Album“ mit dazu rechnet, vier Alben hat Murphy allein in der zweiten Hälfte der Nullerjahre produziert. Mit „This Is Happening“, das einige Beobachter zu den besten des vergangenen Jahres zählen, aber sein unwiderruflich letztes. Fortan will er, nach eigenem Bekunden und nachdem er die vierzig überschritten hat, nicht mehr wie Mick Jagger oder Joe Cocker auf den Bühnen herumturnen, sondern sich ausschließlich um sein Elektro-Labelprojekt DFA kümmern.

Vielleicht hat er damit auch Recht, zumal die musikalischen Möglichkeiten des Projekts ausgereizt scheinen. Musikalisch nimmt die Mixtur starke Anleihen bei den Talking Heads, deren eingängige Rhythmen Murphy mit krachenden Beats, Synthies und Hi-Hats zum sogenannten „Electroclash“ aufgepumpt und veredelt hat.

Der von uns ausgewählte Song „On Repeat“ vom Debütalbum beispielsweise erinnert sehr an deren mittlere Phase, an „I Zimbra“ oder an jene Songs, wie sie auf dem Album „Remain In Light“ versammelt sind. Wenn wir uns recht entsinnen, dann zählte auch Karl Lagerfeld das Soundsystem zu seinen Lieblingsbands, was beweist, dass der exzentrische Modemacher durchaus und auch noch im hohen Alter einen exzellenten Musikgeschmack besitzt.

Alben des Monats April:

Der März ist wahrlich ein guter Monat. Nicht nur, weil die Jungs und Mädels wieder mehr Haut zeigen, die Autohäuser ihre neuen (Cabrio)Produkte anpreisen und die Märzenbecher in den Gärten sprießen. Nein, der Frühling bringt es mit sich, dass sich auch auf dem Popmarkt viel Gutes tut.

Daran kann sogar eine vor sich hinsiechende Musikindustrie nichts ändern, wie man an der unseligen Zombie-Veranstaltung, der „Echo-Verleihung“, zuletzt wieder gesehen hat, mit Preisträgern wie Lena, Unheilig oder einem vor dreizehn Jahren verstorbenen Künstler, dessen Namen man sofort wieder vergessen hat.

Es wird Zeit, dass Popkünstler und Popbands endlich den Majors den Rücken kehren und auf Direktvermarktung umsteigen. Radiohead hat gezeigt, wie’s funktioniert. Die technischen Voraussetzungen und Kommunikationsmöglichkeiten dazu sind längst da. Und die diversen Fanzines und Magazine, Blogs und sozialen Netzwerken werden gern mitziehen oder das Übrige dafür tun.

So ist in diesem Monat gar von drei Alben des Monats zu künden, einem Newcomer, einem Comeback und einem Altbewährten, zwischen denen wir uns nicht so richtig zu entscheiden vermochten, weil sie unserer Meinung nach allesamt dieses Prädikat verdienen.

1) The StrokesAngles

Zugegeben, die große Begeisterung, die die meisten Popkritiker beim Debüt der Strokes vor zehn Jahren erfasst hat, konnten wir weder teilen noch ganz verstehen. Zu spröde klangen Songs und Album in unseren Ohren. Auch nach mehrmaligem Hören hat uns das nicht gleich vom Hocker gehauen. Mehr angetan waren wir damals vom BRMC aus San Francisco. Vielleicht auch, weil unser geografisches Herz musikalisch eher an der West- als an der Eastcoast hängt.

Andererseits war „Is This It“ natürlich auch ein Wachwacher und Türöffner für andere. Ohne das schnöselig-lässige Auftreten der Strokes, das modisch von engen Jeans, Turnschuhen und abgewetzten Lederjacken begleitet wurde, wäre weder ein Revival des Garagen-Rocks noch der Erfolg anderer The-Bands möglich gewesen. Schon deswegen würden wir es nicht wagen, Abträgliches über die Band zu verbreiten.

Nach zwei nur halbwegs gelungenen Nachfolgern und zwischenzeitlichen Soloprojekten von Albert Hammond jr. und Julian Casablanca (sehr gelungen übrigens), haben die fünf New Yorker sich zehn Jahre später doch wieder zusammengerauft und diesmal ein wirklich überzeugendes Album auf den Markt geworfen. Auf den zehn Songs findet man alles, was man an der Band mögen muss, den nölend-greinenden Singsang von Julian Casablanca, das wunderbar fiepende Zusammenspiel der Gitarren von Nick Valensi und Albert Hammond jr. sowie die druckvollen Drums von Fabrizio Moretti.

Überragend dabei sind vor allem die ersten drei Songs. Einen solch krachenden Auftakt bot in den letzten Jahren kaum ein Album. Daraus stammt auch unser Anspieltipp „Under Cover of Darkness“, der mit Recht wochenlang Nummer eins der „Campuscharts“ war.

2) Buffalo TomSkins

Lange Zeit hatte man nichts mehr von Buffalo Tom gehört. „Three Easy Pieces“, das letzte Album stammt noch aus dem Jahr 2007. Bereits diese Neuproduktion überraschte, hatte die Band davor doch eine fast zehn Jahre währende Pause eingelegt. Die meisten Beobachter waren deshalb der Meinung, dass sie sich aufgelöst hatte. Längst verfolgten Bill Janowitz, Gitarrist und Sänger, wie auch Chris Colbourn, Bassist und Sänger, eigene Pläne.

In den Neunzigern gehörte Buffalo Tom noch zu den positivsten Erscheinungen der sogenannten Alternativ-Rocker in den USA. Dort wurden sie beizeiten auch als inneramerikanische Antwort auf Grunge verstanden, der mit Nirvana und Pearl Jam aus Seattle über das Land bis nach Europa schwappte und die Jungs in Mode und Stil beeinflusste.

Hierzulande war Buffalo Tom meist nur Eingeweihten bekannt. Das ist vielleicht auch der Grund, warum man „Skins“, ihr achtes Album, bislang so wenig Beachtung geschenkt hat. Zu unrecht, wie wir schon nach dem ersten zaghaften Hineinhören feststellen mussten.

Natürlich erfinden die drei Musiker aus Boston das Rad nicht neu. Doch das, was sie machen, ist bodenständiger Rock, der völlig unprätentiös daherkommt und alles enthält, was der Liebhaber ungezwungenen Rocks mag: schöne Melodien, wunderbare Balladen, stampfende Gitarrenkracher, mehrstimmige Gesänge, große Emotionen – und das alles ohne Schnörkel und Firlefanz.

„Skins“ erscheint als Einfach-CD und als Doppel in einer Deleuxe-Version. Letztere lohnt sich, weil die dreizehn Stücke dort noch mal in einer akustischen, im Wohnzimmer aufgenommenen Demo-Version mitgeliefert werden. Diese geben manchem Song nicht nur noch einen zusätzlichen Reiz, sie lassen sie teilweise auch im neuen Licht erscheinen wie z. B. „Paper Knife“, unser persönlicher Favorit. Und die dazu mitgelieferten Hintergrundgeräusche, Knistern, Rauschen oder Kindergeschrei, erzeugen eine zusätzliche heimelige Atmosphäre. Unser Anspieltipp ist die Rockballade „Down“.

3) The Naked and FamousPassive Me, Aggressive You

Bleibt noch von einem famosen Debüt zu künden. Eigentlich hatten wir dafür die britische Band The Vaccines im Auge. Schon seit Wochen rührt der „NME“ dafür die Werbetrommel. Auch mit „What Did You Expect From The Vaccines“ ist man auf der sicheren Seite.

Doch dann wurden wir auf die Neuseeländer mit dem etwas seltsam anmutenden Namen The Naked and Famous aufmerksam. Zwar gingen auch ihnen viele Vorschusslorbeeren voraus. In ihrer Heimat sollen sie das große Ding sein, was bekanntlich Grund zum Grübeln gibt. Als wir aber die ersten Töne des Albums vernahmen, waren wir von dem ravenden Elektro-Pop, den die beiden Sänger Thom Powers und Alisa Xayalith stimmlich mit ihren Stimmen vorantreiben, sofort hellauf begeistert.

Warum die mittlerweile zum Quintett angewachsene Band mit MGMT, den Indie-Pop Helden der vergangenen Jahre, verglichen wird, erschließt sich uns weder nach dem ersten noch nach dem zweiten und dritten Anhören. Eventuell in den Songs zehn bis zwölf gegen Ende des Albums kann man Anklänge an die US-Erfolgsband hören. Aber ansonsten?

Gewiss klingt alles wieder irgendwie nach Retro, nach 80iger New Wave und wuchtigen Synthie-Punk, wie er in den Nullerjahren auch von The Rapture, Shitdisco oder dem oben gefeierten LCD Soundsystem aktualisiert worden ist. Doch der epische Aufbau der Songs, die wiederkehrenden und eingängigen Hooks und der schrill-aggressive Gesang der beiden Vokalisten, der mit viel Hall und verzerrenden Vocodern unterlegt wird, lassen das Tanzbein jucken und locken den Hörer unweigerlich auf die Tanzfläche.

Am besten gefällt uns „No Way“. Aber da wir dafür kein geeignetes Video gefunden haben, haben wir uns für „Girls Like You“ entschieden, dem letzten Song auf dem Album.

Übel des Monats: GrönemeyerSchiffsverkehr

Es ist mittlerweile Mode geworden, jedes neue Werk des Bochumer Songpoeten wie eine Verkündung oder gar Offenbarung zu empfinden. Vor allem seitdem er auf „Mensch“ von 2002 seine private Tragödie in öffentlicher Trauerarbeit und mit Weltschmerzattitüden verarbeitet hat, ist er zu einer Art Stil-Ikone des akut gefährdeten Betroffenheitsbürgers geworden, der gern überall und jederzeit nach Trost und Erbauung sucht angesichts der Schlechtigkeit der Welt und ihrer Verhältnisse. Da trifft es sich doch richtig gut, dass sich bei Herbies Stadionkonzerten ab Juni alle Gleichgesinnten bei den Händen fassen können, Feuerzeuge entzünden, gegen Atomlobby und Interventionisten wüten und so eine zusätzlichen Kirchentag einlegen und feiern können.

Zur Vorstellung seines dreizehnten Albums „Schiffsverkehrs“ lud Grönemeyer sinnigerweise und passend zum Titel seines Albums die Journaille denn auch zu einer Spreefahrt durch Berlin-Mitte. Glaubt man den Berichten der „Kreuzfahrer“, dann fanden sich an die 200 Leute und Journalisten daraufhin auf einen Spreedampfer ein, um seinen „Neustart“ bzw. gar seine „Neuerfindung“, so der Sänger gegenüber Florian Illies in „Der Zeit“, zu begehen. Vielleicht hatten sich der Sänger und seine Plattenfirma EMI daran erinnert, dass der Merve Verlag das im letzten Sommer auch schon mal mit dem Philosophen Michel Serres probiert und damit einigen Erfolg eingeheimst hat.

Traut man den Berichten, so war der Ausflug insgesamt aber nicht so die große Nummer. Die Hausmannskost, die den Gästen serviert wurde, Berliner Buletten mit Senf und Bier, haben die Berichterstatter anscheinend auch auf die elf neuen Songs bezogen, die während der Mahlzeit aus riesigen Lautsprecherboxen lärmten. Auf dem „falschen Dampfer“ wähnte sich der „Tagesspiegel“, auf einer „orientierungslosen Kreuzfahrt“ gar der Focus. Und das waren noch die freundlichsten Bewertungen. Zumindest gab es hinterher etliche andere, wie Alex Rühle in der SZ, die an dem Schmalspuralbum herummäkelten.

Offensichtlich hatte so mancher Gast bei dem maritimen Ausflug in dem Bochumer Songbarden, der sich gern auch mal als Rocker gibt, den Freddy des Ruhrpotts entdeckt. Wer sich nämlich die elf Songs zu Gemüte führt, muss in der Tat gestehen, dass es für mehr als die Hälfte der Songs besser gewesen wäre, wenn sie das Wohnzimmer des Sängers nicht verlassen hätten.

Grönemeyer ist ja noch zu ertragen, wenn er sein ureigenes Terrain beackert, das Balladensingen. Aber auch da werden die drei oder vier Songs mit Cellos, Streichern und ganzen Orchesterchören unnötig aufgepumpt. Wendet er sich aber, was wiederholt geschieht, druckvollen und abrupt wuchtigen Deutschrock zu, verhebt er sich und scheitert buchstäblich mit Pauken und Gitarren.

Bedeutungsschwer waren seine Songs ja immer. Diesmal kommen die Moll-Töne nicht nur düster, sondern meist auch noch bedrohlich daher. Schon auf dem Opener und Titelsong meint man sich an Kapitän Ahab erinnert, den Walfänger auf der „Pequod“, und hat schon nach den ersten Klängen das Bedürfnis, so rasch wie möglich von Grönemeyers Schiff zu kommen. Und bedeutungsschwanger waren seine Texte bekanntlich auch. Man spürt und fühlt förmlich die Last, die „Herbie“ trägt, aber auch die Qual, die es ihm bereitet, seine Botschaften aus den Stimmbändern herauszupressen.

Auf dem neuen Album vermisst man trotz der in Anspruch genommenen „Verkehrsregeln“ zudem eine klare Linie. Das Album wirkt nicht nur beliebig, mal klaut er bei Rammstein, dann wieder bei Gunter Gabriel, es klingt auch seltsam hohl und unfertig. Kryptisch näselt sich Grönemeyer am Klavier und Mikrofon durch die Songs. Was er uns eigentlich sagen will, bleibt weitgehend sein Geheimnis. Der Code, der das entschlüsselt, fehlt. Dafür braucht es manchmal schon den einen oder anderen Derridisten.

Für den Normalsterblichen, nicht für den Fan, ist das zumeist, wie der Sänger auf „Fernweh“, unserem Anspieltipp, vorausschauend intoniert, „ohne Sinn und Zweck“. Beliebig und zusammenhanglos wird hier munter und mitunter sogar peinlich vor sich hingereimt, sodass der Zuhörer bisweilen entnervt die Segel streicht. „Melancholie/Wenn ich einen Stern seh’/Monotonie/Ist wie ein Schuss ins Knie/Und weiter bringt sie einem nie“. Alles klar? „Pfff!“