Videospiele als Kunst

... und Zensur als kulturelle Eigenheit

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Sind Videospiele Kunst? Diese Frage ist vor allem in Deutschland juristisch bedeutsam. Das liegt am hierzulande ungewöhnlich strengen Jugendschutz. Zumindest in der Theorie gewährleistet Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes die Freiheit der Kunst nämlich "vorbehaltlos", was heißen soll, dass es "im Gegensatz zu Presse- und Meinungsfreiheit [...] keine ausdrückliche Beschränkung durch allgemeine Gesetze oder den Jugendschutz" gibt, sondern stattdessen "in jedem Einzelfall eine Grundrechtsabwägung mit anderen Schutzgütern erfolgen" muss.

Wahrscheinlich auch aus diesem Grund veranstaltet die Spielefirma Ubisoft in der Münchener Galerie Weltraum vom 4. bis zum 17. April eine Ausstellung, die der Presse vorab im Haus der Kunst präsentiert wurde. Sie enthält 32 am Computer entstandene und auf Leinwand übertragene Konzeptzeichnungen aus der Videospielreihe Assassin's Creed, die Ubisoft "Originalgrafiken" nennt. Die in den neuen Kontext gestellten Bilder sollen "einen vollkommen neuen Blick auf Charaktere, Gebäude und Landschaften" erlauben, mit dem "Videospiele [dann] vollkommen anders wahrgenommen" werden.

Haus der Kunst. Foto: Andreas Praefcke. Lizenz: CC-BY 3.0.

Zu diesem Zweck hat Ubisoft seinen Art Director Mohamed Gambouz eingeflogen, der die Bilder erklärt. Auf den deutschen Jugendschutz und die rechtliche Bedeutung des Kunstbegriffs in der Bundesrepublik angesprochen, meint der in Casablanca ausgebildete und in Montreal lebende Künstler, dass er durchaus schon Bekanntschaft damit machte, und nennt eine Szene, in der auf Pfähle gesteckte Köpfe entfernt werden mussten. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit - was der Fiktion, der Jugendschutz würde nicht dazu führen, dass Erwachsenen etwas vorenthalten wird, durchaus widerspricht. Nach Gambouz' Einschätzung haben Deutschland und Japan die weltweit mit Abstand am schärfsten Zensurvorschriften. Er wolle sich darüber aber nicht beschweren, sondern toleriere die kulturellen Eigenheiten in den beiden Ländern.

Gambouz koordiniert die künstlerische Arbeit in fünf Ubisoft-Studios in Frankreich, Rumänien, Kanada und Singapur. Dafür gibt er den dortigen Mitarbeitern Anweisungen, schickt ihnen Fotos oder Zeichnungen und kritisiert ihre Werke. Auf die Frage, inwieweit seine Tätigkeit mit der des Regisseurs beim Film vergleichbar ist, den man Mitte des letzten Jahrhunderts als auteur entdeckte, meint der marokkanische Kunsthochschulabsolvent, dies treffe zwar grundsätzlich zu, gelte aber nur für das grafische Design der Spiele, weil es für den Ton oder das Gameplay eigene Koordinatoren gebe.

Dass man über die Personen, die die Bilder, Töne und Handlungsoptionen von Computerspielen entwerfen, bisher recht wenig weiß, erinnert an die Frühzeit des Films, als der Zuschauer beim Werkgenuss ebenfalls nicht die Namen von Beitragenden zu Gesicht bekam. Daran ist auch das sehr umfassende Immaterialgüterrecht schuld, das häufig eher Produktionen behindert als Anreize für solche zu schaffen. Die Spieleindustrie scheint diesbezüglich gerade in einer Zwickmühle zu stecken: Einerseits würde es dem besseren Schutz vor Zensur dienen, wenn sie Individualautoren stärker in den Vordergrund kehrt, andererseits könnte sie so in Situationen kommen, in denen individuell wahrgenommene Verbotsrechte ehemaliger Mitarbeiter die Weiterentwicklung von Spielereihen behindern.

Dass Ubisoft ein wirtschaftliches Interesse daran hat, darzulegen, dass Computerspiele Kunst sind, führt freilich nicht automatisch dazu, dass das Gegenteil wahr wäre, wie dies etwa der nun mit einer Spieleentwicklungs-Professur am Worchester Polytechnic Institute in Massachusetts ausgestattete ehemalige Infocom- und Lucas-Arts-Mitarbeiter Brian Moriarty postuliert. Er argumentiert vulgäradornitisch, dass Spiele keine Kunst sein könnten, weil sie hergestellt werden, um sich zu verkaufen und weil sie einen Gebrauchswert hätten. Stattdessen, so der Professor mit dem literaturgeschichtlich interessanten Namen, seien sie Kitsch, was sich auch darin zeigen würde, dass sie den Betrachter nicht "herausfordern" oder sich ironisch interpretieren lassen würden. Kunst dagegen müsse nicht gefallen, sondern Aufmerksamkeit erregen.

Letzteres passt ganz ausgezeichnet auf Manhunt, aber heute nur mehr sehr bedingt auf beispielsweise Paul Gauguin, der der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Nachfolgebilder der röhrenden Hirsche lieferte. Zudem gäbe es, wenn man Moriartys Definition ernst nähme, praktisch überhaupt keine Kunst (außer vielleicht Art Brut und die Prinzhornsammlung). Die Venus von Willendorf etwa war mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu ihrem Entstehungszeitpunkt vor allem eine Masturbationsvorlage, was auch für zahlreiche andere historische Meisterwerke gilt. Sie alle wurden für Geld gefertigt und hatten einen Gebrauchszweck, der auch im Prestigeerwerb oder der religiösen Beeindruckung bestehen konnte.

Die Dichte von Werken wird jedoch häufig erst offenbar, nachdem eine gewisse Zeit vergangen ist. Mit neuen Medien verhält es sich dabei wie mit einer frisch gefüllten Goldpfanne: Am Anfang wirkt sie auf viele Beobachter wie ein Haufen Dreck und erst mit der Zeit schwemmt sich das leichtere Material aus und die schwereren Bestandteile werden sichtbar.

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