Gaddafi mischt Salzburger Festspiele auf

Organisatoren laden den Globalisierungskritiker Jean Ziegler wegen angeblicher Verbindungen zu Libyen aus. Glaubenskampf um Indizien

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Der Libyen-Krieg hat Europa erreicht. Seit Tagen beschäftigt Feuilletons in Österreich, der Schweiz und auch in Deutschland die Ausladung des Schweizer Globalisierungskritikers Jean Ziegler von den jährlich stattfindenden Salzburger Festspielen. Der Buchautor und UN-Funktionär war erst ein- und wenig später wieder ausgeladen worden, weil ihm eine Nähe zur Führung von Oberst Muammar al-Gaddafi bescheinigt wurde. Von wem, das ist nicht vollends klar. Der Geschasste selbst sieht unter anderem Schweizer Großunternehmen hinter dem dubiosen Angriff und will dennoch in Salzburg auftreten. Eingeladen haben ihn nun Menschenrechtsgruppen und die oppositionellen Grünen. Damit ist klar, dass der Eklat um die Ausladung die Festspiele überschatten wird.

In erheblicher Erklärungsnot befindet sich nun nicht der Attackierte, sondern Salzburgs Landeshauptfrau (Ministerpräsidentin) Gabi Burgstaller von der sozialdemokratischen SPÖ. Sie hatte Ziegler als Gast für die Auftaktrede der diesjährigen Festspiele in der Mozart-Stadt wegen dessen "Einsatzes für die Hungernden" eingeladen. Erst bei der Rücksprache mit den Organisatoren der Festspiele sei sie auf eine angebliche Nähe des Schweizers zum Libyer Gaddafi hingewiesen worden. "Ich bin dann darauf aufmerksam gemacht worden, dass es Vorwürfe gegen ihn gibt", sagte Burgstaller gegenüber dem ORF, und verfällt bei den weiteren Ausführungen in Konjunktive: So habe es geheißen, "dass er das Gaddafi-Regime unterstützt hätte, einen Menschenrechtspreis von Gaddafi unterstützt hätte".

Die Version Zieglers, von Nichtregierungsorganisationen und der linken Opposition ist konkreter: Weil die Festspiele von Schweizer Großkonzernen wie Nestlé und Großbanken wie Credit Suisse und UBS finanziert werden, habe man diesen Sponsoren keine Kritik zumuten wollen. Ziegler sieht zudem die US-israelische Lobbyorganisation UN Watch hinter den Angriffen. Sie habe ihm einen kritischen Bericht zu der Ernährungslage im von Israel blockierten Gaza-Streifen nicht verziehen. Nach der Ausladung berichtete UN Watch über den "Sieg" gegen Ziegler.

Landeshauptfrau: Ziegler und Festspiele schützen

Die regionale Presse hat sich weitgehend zugunsten Zieglers positioniert. Schon am 5. März hatte die Süddeutsche Zeitung mit dem Soziologen ein Interview geführt, in dem er sich in seltener Deutlichkeit von den libyschen Staatschef distanzierte. Im aktuellen Skandal legte das Blatt nach. Tatsächlich habe Ziegler die Gaddafi-Führung "weit differenzierter als andere beurteilt, sich aber auch immer distanziert", so Autor Michael Frank.

Der österreichische Standard nutzt den Eklat indes zur Frontalattacke auf die SPÖ-Frau Burgstaller. Diese habe sich mit der Einladung Zieglers dem innerparteilich bedeutsamen linken Klientel anbiedern wollen. Als die Angriffe des Westens gegen Libyen begannen, habe sie jedoch "kalte Füße gekriegt". Das Resümee: "Der Vorgang ist ein weiterer Beleg für das Elend der österreichischen Spitzenpolitik."

Die Verantwortliche versucht sich indes in Schadensbegrenzung. Sie habe lediglich vermeiden wollen, dass angesichts des Krieges in Libyen die Person Jean Zieglers ins Zentrum der Debatte gerate, verteidigte sich die Sozialdemokratin. Es wäre "nicht fair", wenn man eine Debatte und Zieglers Verhältnis zu Gaddafi provozieren würde. Und schließlich, so Landeshauptfrau Burgstaller, "muss ich auch die Festspiele vor solchen Diskussionen schützen".

Indizienstreit um Libyen-Verbindungen

Nun könnte die ganze Sache als Provinzposse abgetan werden. Doch die Medienaufmerksamkeit im Dreiländereck erklärt sich aus dem politischen Konflikt. Denn Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler gehört der konservativen ÖVP an und hatte auf die Ausladung Zieglers gedrängt. Auch Rabl-Stadler, so heißt es in der Süddeutschen Zeitung, habe das Argument einer "Nähe" des Gastredners zu Gaddafi wiederholt. Ziegler selbst bezeichnet diese Anwürfe schlichtweg als "Lüge". Er sei vor gut zwei Jahrzehnten in Tripolis zu Gast gewesen. Später habe er einen "Menschenrechtspreis" der Gaddafi-Führung angeboten bekommen, diesen jedoch abgelehnt. Seine Kritiker legen indes kopierte Listen vor, in denen sein Name aufgeführt ist.

Dabei führt nach Zieglers Meinung in dem Disput in erster Linie eine Spur zu den Sponsoren. Rabl-Stadler habe sich in der Woche vor der Ausladung in New York mit dem Präsidenten des Verwaltungsrates des Schweizer Lebensmittelkonzerns Nestlé, Peter Brabeck-Letmethe, getroffen. Offenbar sei dabei entschieden worden, dass man sich die Stimmung "nicht mit einer 30-minütigen Rede über Hunger und die Mitverantwortung von Lebensmittelkonzernen vermiesen lassen" möchte. Die Konzernsponsoren kämen ja schließlich auch nicht aus Liebe zur Kunst nach Salzburg, so Ziegler im Interview mit der österreichischen Nachrichtenagentur APA: "Die bekommen Logenplätze und lukrieren (österr: Gewinn erzielen) in Salzburg ihre zahlungskräftigen Kunden."

Die These, er sei Träger eines Al-Gaddafi-Menschenrechtspreises, sei von der in der Schweiz ansässigen Organisation UN Watch gestreut worden, einer Gründung des American Jewish Commitees. Diese "erzkonservative Likud-Organisation" habe ihm einen Bericht über Hunger im Gaza-Streifen nie verziehen, sagt Ziegler. UN Watch hatte zuvor erklärt, dass die in Zürich, New York und Beirut ansässige Stiftung Nord Süd XXI, der Ziegler führend angehört, den Gaddafi-Preis ausrichtet. Doch Ziegler verteidigt die 1989 gegründete NGO gegen die Anwürfe. Die Stiftung "Nord Süd XXI" sei "die einzige Nichtregierungsorganisation der südlichen Hemisphäre", so Ziegler, als er von Schweizer Fernsehen mit den Indizien konfrontiert wurde.

Der Eklat wird, das ist schon jetzt klar, die Festspiele politisch überschatten. Nach der Ausladung durch Landeshauptfrau Burgstaller wird Ziegler nun auf Einladung der Grünen und zahlreicher Nichtregierungsorganisationen in Salzburg über den "Aufstand des Gewissens" sprechen. Der Landesprecher der Öko-Partei, Cyriak Schwaighofer, wirft Burgstaller vor, "vor den Konzernen in die Knie gegangen" zu sein. Und Ziegler? Er habe sich den Termin fest im Kalender behalten. Die Ausladung bedauert er dennoch: "Ich glaube, es hätte das Salzburger Publikum schon interessiert, dass alle drei Sekunden ein Kind an Hunger stirbt."