Lage in Fukushima immer dramatischer

Die Strahlung im Meer lag schon vor der offiziellen Einleitung verstrahlten Wassers mehrere Millionen Mal über dem Grenzwert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der japanische Fernsehsender NHK berichtet, dass der gesetzliche Höchstwert von radioaktivem Jod-131 vor dem Atomkraftwerk Fukushima 7,5millionenfach über dem Grenzwert gelegen habe. NHK beruft sich dabei auf Messungen der Betreiberfirma Tepco. Da die Proben schon am Samstag genommen wurden, kann diese sehr extreme Verseuchung des Meerwassers nichts mit der Entscheidung vom Montag zu tun haben, radioaktiv verseuchtes Wasser ins Meer zu leiten.

Die einst angegebene Verstrahlung, als Tepco von Wasser im Reaktor sprach, das eine "zehnmillionenfach erhöhte Strahlung aufweise" (Lage in den Fukushima-Reaktoren gerät immer weiter außer Kontrolle), könnte sich nun doch noch als die korrekte Messung herausstellen. Schließlich verdünnt sich das verseuchte Wasser aus dem Reaktor im Meer. Dass die Horror-Messungen später als angebliche Messfehler verharmlost wurden, könnte sich nun als Fehler oder als politische Entscheidung zur Beruhigung der Bevölkerung herausstellen. Die Verseuchung des Meers wird auch dadurch nicht besser, dass Tepco seit Montag schon 3,4 Millionen Liter angeblich schwach radioaktiv verseuchtes Wasser in den Pazifik geleitet hat. Wie die Nachrichtenagentur Kyodo meldet, sollen es insgesamt 11,5 Millionen Liter werden. Inzwischen wurden Caesium-Werte in Fischen entdeckt, die den Grenzwert von 50 Becquerel überschreiten.

Der Industrieminister Banri Kaieda erklärte zu der Verklappung radioaktiven Wassers, es handele sich um eine Notmaßnahme, die nicht wieder vorkommen soll: ''Wir würden das gerne zum letzten Mal machen.'' Der Kraftwerksbetreiber Tepco will angeblich Platz in den Tanks schaffen, um stärker kontaminiertes Wasser speichern zu können. Die Beschwichtigungen, dass von den Einleitungen und der extremen Verstrahlung des Meerwassers keinerlei unmittelbare Gefahr für die Umwelt und die Menschen ausgehe, ist eigentlich nur noch zynisch. Es ist die übliche Beschwichtigungsstrategie, um Panik zu vermeiden. Die südkoreanische Regierung hatte sich besorgt gezeigt und will zumindest unabhängige Messungen vor Ort durchführen. Jetzt meldet Tepco, dass das Leck in Reaktor angeblich irgendwie kleiner geworden sei, was man anhand von Fotos vom austretenden Wasserstrahl belegt.

Offensichtlich soll davon abgelenkt werden, dass die Lage immer weiter außer Kontrolle gerät. Am Wochenende wurde die Öffentlichkeit mit "dem Riss" beschäftigt, aus dem angeblich stark verstrahltes Wasser aus dem Reaktor ins Meer gelange. Da allerdings auch das Grundwasser schon stark verstrahlt war, durfte man davon ausgehen, dass auch das nur ein Ablenkungsmanöver war. Dass, wie vermutet, extreme Strahlung wohl aus dem Reaktorkern 2 oder den Reaktorkernen 1 und 3 oder dem Abklingbecken 4 an anderen Stellen in die Umwelt freigesetzt wird, davon muss man nun ausgehen. Denn die Versuche, den Riss in Reaktor 2 abzudichten, sind fehlgeschlagen. Eingefärbtes Wasser, das in den Reaktor geleitet wurde, sickerte allerdings nicht durch den Riss nach außen. Es muss also im Reaktor 2 an anderen Stellen austreten.

Inzwischen hat auch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA offiziell ihre Meinung geändert. Angesichts der Tatsache, dass der Regierung und den Betreibern seit mindestens einem Jahr die gravierenden Probleme in den Fukushima-Reaktoren bekannt waren (Gefahr einer Kernschmelze in Fukushima war seit einem Jahr bekannt), spricht auch der japanische IAEA-Chef Yukiya Amano nun von unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen. "Rückblickend betrachtet waren die Maßnahmen des Betreibers nicht ausreichend, um diesen Unfall zu verhindern", sagte der Japaner in Wien auf die Frage, ob der Unfall von Fukushima vermeidbar gewesen wäre. So hat nun auch der Chef UN-Behörde einen Schwenk vollzogen, denn bisher hatte er Tepco noch verteidigt und von kaum kontrollierbaren Naturkräften gesprochen, die für die Katastrophe verantwortlich seien.

Dabei waren die Probleme bekannt. Immer wieder ist es auch bei schwächeren Erdbeben zu Störfällen in japanischen Atomkraftwerken und auch in Fukushima gekommen. Dass die Notkühlung am Fukushima-Reaktortyp nicht wirklich funktioniert, ist sogar seit Jahrzehnten bekannt. So ist auch die neue Einschätzung von Amano weiter beschönigend, der damit davon ablenkt, dass er seiner Aufgabe nicht nachgekommen ist. Er müsste dringend abgesetzt werden. Dieses Vorgehen der IAEA bestärkt viele in ihrer Einschätzung, dass die Behörde keine Kontrollfunktion hat, sondern eher eine Lobbyorganisation der Atomindustrie ist. Dass die Übergänge fließend sind, ist bekannt. So war zum Beispiel der Direktor der Wartungsabteilung von Fukushima, Takeyuki Inagaki, vor dieser Tätigkeit auch in der IAEA tätig.