Atomtransporte durch Deutschland

Der weltweite Handel mit radioaktiven Materialien und sonstigem AKW-Zubehör wie Uranhexafluorid (UF6) und abgebrannten Brennstäben floriert wie eh und je

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Radioaktive Strahlungen habe z. T. eine Halbwertzeit von Jahrtausenden, das kollektive Gedächtnis hingegen scheint ein sehr kurzfristiges Verfallsdatum zu haben: Knapp einen Monat nach dem atomaren Super-Gau in Fukushima, und noch während Betreibergesellschaft und Behörden verzweifelt versuchen, den nuklearen Vulkanausbruch auch nur ansatzweise unter Kontrolle zu bekommen, werden weiterhin radioaktive Materialien munter über die Weltmeere geschippert. Derzeit ist das russische Frachtschiff Kapitän Kuroptev von St. Petersburg nach Antwerpen mit Zwischenstopp in Hamburg unterwegs. Was genau es geladen hat ist erst im Nachhinein "aus Gründen der Sicherung" anhand der Transportgenehmigungen beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Erfahrung zu bringen, Möglichkeiten gibt es mehrere.

Erteilt wurde eine Genehmigung für maximal 10 Transporte von maximal 5.000 kg Uranhexafluorid (UF6) von Moskau zu dem Brennelementehersteller Advance Nuclear Fuels (ANF) in Lingen. Des Weiteren wurden höchstens 12 Transporte mit insgesamt 92 unbestrahlten Brennelementen der Firma OJSC Mashinostroitelny Zavod in Elektrostal/Russland, ebenfalls adressiert an die ANF, erlaubt. Beide Genehmigungen liefen zwar am 31.3.2011 aus, doch möglicherweise beantragte die russische Transportfirma unterdessen eine Verlängerung.

Die Kapitän Kuroptev ist das Ersatzschiff für die Kholmogory, die in der Vergangenheit ebenso wie die Kapitän Mironow mehrfach in Hamburg vor Anker ging, um Zubehör für Atomkraftwerke wie das hoch toxische UF6 oder abgebrannte Brennelemente abzuladen. Diese wurden im Hamburger Hafen umgeschlagen und per LKW ins niedersächsische Lingen oder in die Schweiz transportiert.

Die Kholmogory hatte ungefähr zu dem Zeitpunkt, wo der Super-GAU in Japan stattfand, einen technischen Schaden und ist seitdem offenbar nicht einsatzbereit. Deshalb verzögerte sich vermutlich der Atomtransport, das Schiff war bereits Mitte vergangener Woche in Hamburg erwartet worden. Die Kapitän Kuroptev lag nach dem Start in St. Petersburg einige Tage im finnischen Meerbusen vor Anker. Anti-AKW-Gruppen vermuten, dass der Stopp notwendig war, um die Verlängerung der Transportgenehmigung zu bekommen.

Außer den unterdessen abgelaufenen sind vom BfA zwei weitere Genehmigungen für insgesamt maximal 45 Transporte diverser Frachtgüter erteilt worden, davon 30 mögliche Fuhren aus Elektrostal in das AKW Gundremmingen im schwäbischen Landkreis Günzburg in Bayern und 15 von Elektrostal an das AKW Beznau in Döttingen (Schweiz). Fünf Transporte nach Gundremmingen und einer in die Schweiz erfolgten bereits.

Die hoch toxische Fracht hat eine weite Reise zu überstehen. Elektrostal liegt ca. 58 km östlich von Moskau, und ca. 650 km südöstlich von St. Petersburg. Diese Strecke im russischen Binnenland wird per Bahn oder LKW zurückgelegt, in St. Petersburg wird das Gefahrengut auf die Frachter verladen. Diese passieren auf mehr als 1.500 km den Finnischen Meerbusen zwischen Finnland und Estland, durchqueren quasi die gesamte Ostsee mit den Anrainerstaaten Schweden, Dänemark, Lettland, Litauen und Polen, werden in Holtenau der Kieler Förde in den etwa 100 km langen und 162 m breiten Nord-Ostsee-Kanal geschleust, schippern bis zu dessen Ende, wo sie in Brunsbüttel in die Elbe geschleust werden und legen nach noch einmal knapp 100 km schließlich im Containerterminal Burchardkai in HH-Waltershof an der Norderelbe an.

In der Mitte der südlichen Ostsee verläuft eine der wichtigsten Seeschifffahrtslinien der Welt, die Kadetrinne, die wegen Schiffsunglücken immer wieder in die Schlagzeilen gerät. Der Nord-Ostseekanal ist die meist befahrene künstliche Seeschifffahrtsstraße der Erde. Im Hamburger Hafen wird die Fracht auf LKWs verladen und etwa 350 km über die A1 in Richtung Lingen transportiert, durch die Bundesländer Hamburg, Bremen und Niedersachsen (Hamburg - internationale Drehscheibe im Atomgeschäft, Immer mehr Atomtransporte).

Oder die Fracht wird, wie im Januar dieses Jahres, in das mehr als 700 km entfernte AKW in der Schweiz transportiert. Also zusätzlich durch die Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg und weiter über die Schweizer Grenze bis zum Kanton Solothurn, wobei z. B. die Stadt Basel passiert werden musste.

Atomkraftgegner wiesen wiederholt auf die Gefahren dieser Transporte hin: "Bei der Freisetzung von Uranhexafluorid z. B. durch einen Verkehrsunfall oder eine Schiffshavarie bilden sich durch die Verbindung mit der Luftfeuchtigkeit giftige Fluorverbindungen, die schwere Verletzungen der Atemwege verursachen. Je nach Witterungsbedingungen könnten bis in ca.600 Metern Entfernung von Unfallort tödliche Konzentrationen auftreten", erläuterte Fritz Storim, Physiker bei der atomkritischen Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS) Bremen, gegenüber Telepolis.

Forderung nach einem Stopp aller Atomtransporte in Hamburg und Bremen

Anti-AKW-Gruppen wie auch die Linkspartei setzen sich in Bremen und Hamburg für einen sofortigen Stopp aller Atomtransporte ein (Atomtransporte in der Kritik). Die Fraktion der Linken in der Bremischen Bürgerschaft gab kürzlich ein Gutachten bei der Anwaltskanzlei Göhmann in Auftrag, das ergab, dass es durchaus möglich wäre, die Transporte über die Bremischen Häfen zu untersagen. Allerdings könnte es passieren, dass die Betreibergesellschaft der AKWs versuchen, den freien Handel auf europäischer Ebene juristisch durchzusetzen. Ein Rechtsstreit, in dem dann Marktfreiheit versus Gesundheitsschutz verhandelt werden müsste. Derartige juristische Auseinandersetzungen habe es bis jetzt noch nicht gegeben, betonten die Göhmann-Anwälte Rainer Kulenkampff und Stefan Ripke, so dass das Ergebnis offen sei und eventuell sogar Aussicht auf Erfolg bestünde.

Fazit des energiepolitischen Sprechers der Bremer Linksfraktion Klaus Rainer Rupp: "Mit dem Gutachten haben wir juristisch prüfen lassen, unter welchen Bedingungen wir eine haltbare Grenze ziehen und die Teilentwidmung unserer Häfen für radioaktive Güter durchsetzen können. Die Quintessenz lautet: Es geht, man muss es eben wollen. Das heißt für den Senat dann aber auch, in Kauf zu nehmen, dass man sich mit der Atomindustrie anlegt."

Diesen Streit müssten in Bremen wie in Hamburg mit Jens Böhrnsen und Olaf Scholz zwei sozialdemokratische Bürgermeister ausfechten. Deren Parteifreund, der ehemalige Umweltminister Siegmar Gabriel, wurde nach dem Super-Gau in Fukushima nicht müde zu betonen, dass problemlos alle bundesdeutschen AKWs abgeschaltet werden könnten. Die Teilentwidmung der Häfen in Bremen und Hamburg für die Transporte radioaktiver Materialien ist die Nagelprobe für die Sozialdemokraten, wie ernst es ihnen tatsächlich mit dem sofortigen Atomausstieg ist.