Mädels ans Maschinengewehr

Die Bundeswehr führt nach Ende der Wehrpflicht einen verzweifelten Kampf um neuen Nachwuchs - der Mädchenzukunft "Girls' Day" kommt da gelegen

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Heute ist es wieder so weit: junge Mädchen besuchen Betriebe und Unternehmen um Einblicke in "klassische Männer-Berufe" zu bekommen. Organisiert wird der seit 2001 durchgeführte Mädchen-Zukunftstag Girls' Day vom "Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V.", das aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie des Europäischen Sozialfonds und der Europäischen Union finanziert wird. Aktionspartner sind unter anderem die Bundesagentur für Arbeit, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Einer der größten Nutznießer des "Girls' Day" ist aber die um Nachwuchs ringende deutsche Armee.

Wo es für die Werber der Bundeswehr immer schwerer wird, neuen Nachwuchs zu finden, geraten besonders bisher in der Armee unterrepräsentierte Gruppen ins Visier: Neben Menschen ohne deutschen Pass will die Bundeswehr daher in Zukunft besonders auch Frauen für den Dienst an der Waffe gewinnen. Seit mindestens 2003 nimmt die Bundeswehr am jährlichen "Girls' Day“ teil - mittlerweile ist die Armee einer der größten Veranstalter bei dem Event. Über 6.300 Mädchen nahmen etwa beim Mädchen-Zukunftstag 2010 an bundesweit rund 190 Veranstaltungen der Bundeswehr teil.

Auch in diesem Jahr werden die Streitkräfte im ähnlichen Maße aktiv sein. Um einem Konflikt mit den Eltern der jungen Schülerinnen zuvor zu kommen, hat sich die Bundeswehr schon vor Jahren die Selbstverpflichtung auferlegt, nur Mädchen der 9. und 10. Jahrgangsstufe - also ab einem Alter von mindestens 14 Jahren - zu ihren Veranstaltungen zuzulassen. Wie viel diese Selbstverpflichtung allerdings wert ist, dokumentiert die Bundeswehr höchstselbst: 2006 besuchten Mädchen im Alter von 11 bis 15 Jahren die Gebirgsjägerbrigade 23. Die Marineschule Mürwik besuchten ein Jahr später 43 Mädchen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren. Im Rahmen des „Girls' Day 2008“ beim Marinefliegergeschwader 3 "Graf Zeppelin" im niedersächsischen Nordholz waren Schülerinnen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren anwesend.

2009 verbrachten Mädchen im Alter zwischen 10 und 17 Jahren einen Tag bei der Panzerbrigade 21 "Lipperland" in Augustdorf zwischen Bielefeld und Paderborn. Das Aufklärungsgeschwader "Immelmann" in Schleswig Holstein besuchten beim „Girls' Day 2010“ junge Mädchen, die zwischen 13 und 17 Jahren alt waren. Und 2011?

Die Schutzpflicht des Staates

„Wir haben mit der Bundeswehr noch einmal Rücksprache gehalten und unterstützen diese in ihrer Selbstverpflichtung, Girls' Day-Angebote nur für Mädchen, ab der 9. Klasse anzubieten“, so Carmen Ruffer, Pressesprecherin des den „Girls' Day“ veranstaltenden „Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V.“, nach Hinweis auf die scheinbar systematische Nichteinhaltung der Bundeswehr-Selbstverpflichtung in den vergangen Jahren.

Bei einigen Bundeswehr-Gliederungen scheint die Vereinbarung jedoch immer noch nicht angekommen zu sein: „Am 14. April laden wir Schülerinnen aus der Region Thüringen im Alter zwischen 10 und 16 Jahren an den Standort Bad Frankenhausen ein", informiert der Presseoffizier des Bundeswehr-Logistikbataillons 131 kürzlich gegenüber der Thüringer-Allgemeinen-Zeitung zum „Girls’ Day 2011“. Auch die Technische Schule der Luftwaffe 3, das Transporthubschrauberregiment 10 „Lüneburger Heide“, das Sanitätszentrum Faßberg und der Standortservice Faßberg will am Mädchen-Zukunftstag 2011 ihre Türen für Schülerinnen ab der 7. Jahrgangsstufe öffnen.

Auch die Bundeswehr-Wochenzeitung „aktuell“ greift den „Girls' Day 2011“ in der Ausgabe vom 4. April in einer Meldung auf:

Am 14. April erhalten an vielen Standorten interessierte Mädchen ab der Klassenstufe 5 wieder einen Einblick in bundeswehrtypische Berufsbilder. Ob Infanteriesoldatin, Luftfahrzeugmechanikerin, Sprechfunkerin, Feldjägerin, Rettungsassistentin oder Verwaltungsfachangestellte, alle Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche der Bundeswehr bieten abwechslungsreiche und praxisorientierte Veranstaltungen.

Kurzum: die Bundeswehr hintergeht die Initiatoren des „Girls’Day“, die dies aber auch ohne Murren hinnehmen. Ein Ausschluss der Bundeswehr vom Mädchen-Zukunftstag sei auch gar nicht möglich, so Pressesprecherin Carme Ruffer: „Alle Einrichtungen des Bundes sind durch die Aktionspartner des Girls' Day zur Beteiligung aufgerufen.“ Immerhin wird der Veranstaltungstag von zwei Bundesministerien finanziell gefördert, da soll auch ein konkreter Nutzen entstehen.

Doch selbst wenn sich die Armee an ihre Selbstverpflichtung nur noch Mädchen ab einem Alter von frühestens 14 Jahren bei ihren „Girls’Day“-Veranstaltungen zuzulassen halten würde, stehen die Werbemaßnahmen in der Kritik. Das internationale Kinderhilfswerk „terre des hommes“ kritisiert die Werbung Minderjähriger beim Mädchen-Zukunftstag:

Es handelt sich um eine Verletzung der Kinderrechte und der Schutzpflichten des Staates gegenüber diesen Kindern, die schwerwiegende Folgen haben kann

Wolf-Christian Ramm, Pressesprecher von „terre des hommes Deutschland e.V.

Eben diese Schutzpflicht wird vom Staat selber ausgehebelt, um genügend Nachwuchs für weltweite Militärinterventionen zu bekommen.

Zwar halten auch die Girls’Day-Initiatoren vom „Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V.“ die Anliegen der Kinderrechtsorganisationen auf Schutz der Kinder vor Armee-Werbung nach eigenen Angaben für wichtig, Konsequenzen werden aber nicht gezogen.

„Am Girls' Day darf keine Rekrutierung stattfinden, die UN-Kinderrechtskonventionen sind einzuhalten“, so Carmen Ruffer. Währenddessen sucht auf der offiziellen Girls' Day-Website das Panzerpionierbataillon 1 aus Holzminden Teilnehmerinnen für ihre "Girls' Day"-Veranstaltung, bei der über die beruflichen Möglichkeiten informiert werden soll und auch eine „Dynamische Waffenschau“ eingeplant ist.

Das Jagdgeschwader 74 aus Neuburg an der Donau plant die Vorstellung des Waffensystems „Eurofighter“ sowie Wehrdienstberatungen und die Marine informiert über „vielseitige und spannende Karriereperspektive für junge Frauen“ und stellt ein U-Boot zur Besichtigung bereit:

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