Drachen-Parallelwelt

Ein zwielichtiger Erzähler

Dragon Age II von Electronic Arts für PC, PS3 und Xbox 360

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Fortsetzungen haben es umso schwerer, je beliebter der erste Teil war. Das gilt für Spiele ebenso wie für Filme oder die zweite CD einer aufstrebenden Band. Dragon Age: Origins von Bioware wurde vor eineinhalb Jahren als neue Referenz für Rollenspiele gefeiert. Die größte Schwäche war seinerzeit die Konsolenportierung, da sich das System schlecht für eine reine Steuerung via Gamepad eignete. Dragon Age II verringert die strategische Tiefe zugunsten eines stärker Action-getriebenen Spielverlaufs.

Varric ist ein schmieriger, egoistischer Dieb mit deutlichem Hang zur Übertreibung. Ausgerechnet er erzählt die Geschichte des Protagonisten von „Dragon Age II“. Seine Erzählung beginnt während der Ereignisse von „Dragon Age: Origins“. Die Familie Hawke ist auf der Flucht vor den großen Schlachten und sucht Unterschlupf in der Stadt Kirkwall.

Bereits in den ersten Minuten zeigt „Dragon Age II“ von Electronic Arts, dass es anders konzipiert ist als der Vorgänger. Der Spieler wird förmlich ins Geschehen geworfen und sieht sich Feindeshorden gegenüber. Er befindet sich in der Erzählebene und folgt somit Varrics Übertreibungen. Nach dem ersten Gemetzel enttarnt jedoch die Zuhörerin Cassandra, die auf der Suche nach dem legendären Champion von Kirkwall ist, die Übertreibungen. Die folgenden Kämpfe sind überschaubarer und glaubhafter, zumal der genannte Champion, der die Hauptfigur der Geschichte ist, in der Vergangenheit der Erzählebene ein einfacher Mensch war.

Anders als in „Dragon Age: Origins“ sind die Auswahlmöglichkeiten bei der Gestaltung des Hauptcharakters deutlich limitierter. Der Prolog des ersten Teils gehörte zu dessen Highlights: Die Wahl des Spielers bezüglich der Herkunft des Protagonisten hatte gänzlich unterschiedliche Einstiegsszenarien zur Folge. In „Dragon Age II“ darf der Spieler lediglich das Geschlecht der menschlichen Figur bestimmen und zwischen den drei Klassen Krieger, Dieb und Magier wählen. Die optischen Gestaltungsmöglichkeiten sind ähnlich wie die von Online-Rollenspielen.

Die Klassenwahl hat keine entscheidende Auswirkung aufs Spielgeschehen, da der Protagonist zahlreiche Nebencharaktere kennen lernt, von denen ihn stets drei begleiten. Auch sie fallen jeweils in eine der drei Klassen und bringen zusätzlich exklusive Fähigkeiten mit.

Die vorgegebene Herkunft der Hauptfigur liegt vor allem darin begründet, dass sich die Geschichte um den Werdegang des Champions dreht . Während der erste Teil den Helden zunächst am Rande des Geschehens in die Schlachten schickte, ist der Aufstieg des Protagonisten der rote Faden in den Geschehnissen von Kirkwall. Um ihn drehen sich Varrics Erzählungen.

Damit verbunden ist auch eine deutlich stärkere räumliche Limitierung. Die Stadt wird nach dem Prolog nicht nur zum zentralen Ausgangspunkt, sondern zum Setting für die Abenteuer. Anfangs zieht der Protagonist mit seiner Familie in eine schäbige Unterkunft im Armenviertel. Von dort erkundet er zunächst Kirkwall und lernt mit den ersten Quests die meisten Nebencharaktere kennen, die ihn daraufhin begleiten.

Das Annehmen von Aufgaben erfolgt auf dieselbe Art wie bei den meisten Rollenspielen: In den verschiedenen Regionen trifft der Abenteurer auf Personen, die jemanden suchen, verfolgt werden oder von dämonischen Umtrieben gehört haben – kurz: Ein Held muss her. Wie üblich gibt es Quests, die den zentralen Handlungsfaden erzählen und für das Weiterkommen unabdingbar sind und weit mehr optionale Aufgaben, die dem Helden Erfahrung, Geld und Ausrüstung bringen.

Jeder Quest erzählt seine eigene Geschichte. Die meisten davon sind, wie man es von Bioware gewohnt ist, in sich interessant. Gerade die Nebencharaktere werden durch spezielle Aufgaben lebendig, die sich um die einzelnen Begleiter drehen. Die kleinen Erzählungen und Abenteuer am Rande sind oft spannender als der zentrale Plot. Die Quests bestehen typischerweise aus mehreren Teilen, die an unterschiedlichen Orten spielen. Überall lauern zahlreiche Gegner und am Ende der Erzählungen steht häufig ein mehr oder weniger epischer Bosskampf.

Die meisten Auseinandersetzungen sind auf normalem Schwierigkeitsgrad sehr einfach. Recht schnell wird deutlich, dass Bioware mehr auf Action setzt als auf Strategie. Konsolenspieler werden dafür dankbar sein, aber PC-Gamer den Tiefgang des ersten Teils vermissen. Angenehm ist auf allen Plattformen, dass die einzelnen Charaktere sich im Kampf deutlich flüssiger bewegen.

Der Spieler steuert jeweils einen Charakter, den er jederzeit wechseln kann. Die anderen Gruppenmitglieder agieren wie schon im ersten Teil nach vorher festgelegten Verhaltensmustern. So lautet beispielsweise eine typische Regel für den Magier, dass er seinen Mitstreiter heilt, sobald dessen Lebensenergie unter einen Schwellenwert sinkt. Ein Krieger sollte regelmäßig die Aufmerksamkeit der Gegner auf sich lenken.

Der Spieler darf das Geschehen jederzeit anhalten und den Charakteren spezifische Befehle mitgeben. Auf diese Weise kann er beispielsweise alle Angriffe auf einen Gegner konzentrieren oder einen Magier aus der Mitte des Getümmels heraus bewegen. Die meisten Kämpfe erfordern jedoch kaum ein Eingreifen. Sie sind so einfach, dass die durch Regeln gesteuerten Aktionen für die drei nicht gesteuerten Charaktere ausreichen. Die taktische Vorgehensweise ist nahezu ausschließlich auf Bosskämpfe beschränkt. Wer mehr Herausforderung sucht, darf den Schwierigkeitsregler in den Optionen verschieben.

Eine gewisse Planung im Vorfeld ist freilich insgesamt erforderlich. Die Basis ist ein gut ausbalanciertes Team. Dafür gelten dieselben Regeln wie für Online-Rollenspiele: Ein Verteidiger und ein Heiler sind ein Muss, dazu sollte natürlich auch jemand dabei sein, der vernünftig austeilt.

Auch die Charakterentwicklung gehört zur guten Vorbereitung. Sie ist ausgefeilter als im ersten Teil. So gibt es beispielsweise für Magier nach wie vor verschiedene Grundgebiete wie Elementar- und Heilzauber, die einzelnen Disziplinen erlauben aber eine flexiblere Entwicklung. Gleichzeitig ist das Fähigkeitssystem übersichtlicher. Die Ausrüstung ist allerdings eher simpel gehalten. Normale Rüstungsgegenstände kann nur der Protagonist verwenden, was aufgrund der unterschiedlichen Klassen mindestens Zweidrittel der gefundenen Rüstungsteile unbrauchbar macht.

Die spielerische und inhaltliche Entwicklung der Nebencharaktere ist einer der interessantesten Aspekte. Diverse Side Quests erzählen Geschichten und bringen dem Spieler so die Mitstreiter inhaltlich näher. Anfangs hat die Hauptfigur zu den meisten anderen ein neutrales Verhältnis, das sich aber durch diverse Aktionen verändert. Je nachdem auf welche Seite er sich beispielsweise im gesellschaftlichen Konflikt zwischen Magiern und Templern stellt, macht er sich die einen Begleiter zum Freund und verschlechtert das Verhältnis zu den anderen. Auf die Geschenke, mit denen sich der Held in „Dragon Age: Origins“ die Freundschaft der anderen erkaufen konnte, verzichtet Bioware diesmal.

Anders als im Vorgänger hat ein negatives Verhältnis durchaus auch Vorteile. So hat jeder Nebencharakter spezielle Fähigkeiten, von denen er jeweils eine nur bei einem freundschaftlichem und eine bei einem rivalisierenden Verhältnis zum Protagonisten erlernt.

Die Dialoge sind lebendiger als im ersten Teil. Bioware hat die Gesprächsführung an das eigene „Mass Effect 2“ angelehnt. Icons geben einen Überblick über die emotionale Richtung der Antwort, also ob der Charakter eher tröstend, aggressiv oder zynisch reagiert. Der Protagonist ist diesmal voll synchronisiert, was anfangs gewöhnungsbedürftig ist. Da der Charakter aber nicht einfach den Kurztext aus dem Dialogmenü nachplappert, sondern zumindest im englischen Original mit dem passenden Unterton ausformuliert, ist die Synchronisation ein Gewinn. Während der Erkundungen unterhalten sich die Gruppenmitglieder im Hintergrund, was die Atmosphäre zusätzlich belebt. Gelegentlich gibt es sogar eine Prise Humor – so gibt es unter den Briefen, die eigentlich Aufträge beinhalten, Spam-Post wie: „Flag flying half-mast? Does your soldier not stand to attention? Does your dwarf shy away from the Deep Roads?...“

Optisch sind die Umgebungen leider relativ eintönig. Das gesamte Geschehen spielt sich innerhalb der Stadt und an einigen wiederkehrenden Bereichen in deren Umkreis ab. Daher besucht die Gruppe auch dieselben Gebiete häufiger. Die Innenbereiche sind linear aufgebaut und lassen dem Spieler wenig Gelegenheit zum Erkunden. Hinzu kommt, dass dieselben Höhlen und Gebäude mehrfach auftreten und sich lediglich durch unterschiedlich versperrte Bereiche unterscheiden. Die Umgebung ist in einzelne Zonen aufgeteilt, die nicht direkt, sondern über eine zentrale Karte miteinander verbunden sind, was das Gefühl einer einheitlichen, großen Spielwelt zerstört.

Die Grafik ist detaillierter als in „Dragon Age: Origins“, kann aber auf keiner Plattform mit aktuellen optischen Glanzstücken mithalten. Störender als das mangelnde Ausreizen aktueller Grafikkarten ist die oft sterile Umgebung – vor allem innerhalb der Dungeons. Die Soundkulisse ist dagegen sehr lebendig.

Unter dem Strich ist „Dragon Age II“ ein gutes Spiel, aber eine schlechte Fortsetzung. Biowares Titel ist auch für Neulinge gut zugänglich und spielt sich insgesamt locker. Die taktische Tiefe des Vorgängers bleibt dabei allerdings auf der Strecke. Auch kann die Geschichte nicht mit dem epischen „Dragon Age: Origins“ mithalten. Bioware hatte schon immer eine Liebe zu Side Quests. Im neuesten Spiel sind die Randgeschichten und Nebenfiguren extrem gut ausgearbeitet und deutlich interessanter als die wenig packende zentrale Geschichte und der Hauptcharakter.

Aufgrund der großen Unterschiede zum Vorgänger verwundert es wenig, dass in den Foren die kritischen und enttäuschten Gamer die Oberhand haben. Der spielerische Unterschied ist nicht ganz so groß wie seinerzeit zwischen „Ultima-Underwold“ und der klassischen "Ultima"-Serie von Origin Systems. Mit der römischen „II“ im Titel haben die Hersteller jedoch Erwartungen geweckt, die sie nicht erfüllen. Damit enttäuschen sie Fans des Vorgängers und schrecken gleichzeitig schon im Vorfeld die Spieler ab, die mit dem klassischen, anspruchsvollen Rollenspiel weniger anfangen konnten, und die Bioware mit dem leichteren Zugang und dem schnelleren, Action-reicheren Spielverlauf hinzu gewinnen will. Das ist besonders schade, da „Dragon Age II“ für sich gesehen ein schönes Rollenspiel ist, das allerdings mehr auf den Mainstream als auf Core-Gamer zugeschnitten ist.

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