Greenpeace hat einen Energie-Plan

Umweltschützer legen minutiösen Plan für die Energiewende vor

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Der Ausstieg aus Kernenergie und Kohleverstromung ist teuer, macht die Stromversorgung unsicher und ist auch gar nicht zu schaffen - die Argumente aus den Wirtschaftsflügeln von Union und FDP sowie der industrienahen Verbände sollen für Unsicherheit in der Bevölkerung sorgen. Die drohende Energiewende, die sich in Form eines möglichen grünen Kanzlers am fernen Wahlhorizont abzeichnet, dürfte in mancher Vorstandsetage auf die Stimmung drücken. Dass der Umstieg auf erneuerbare Energien bis 2050 möglich ist, will Greenpeace mit einer neuen Untersuchung beweisen.

Dass dieser Umstieg möglich ist, gilt unter Sachverständigen schon lange als gesichert. Sowohl das Umweltbundesamt als auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen haben eigene Untersuchungen vorgelegt, die die Machbarkeit beweisen. Doch mit dem von Greenpeace vorgelegten Papier wird erstmals aus der grauen Theorie ein praktisch lesbarer Handlungsleitfaden.

Andree Böhling, Energieexperte von Greenpeace, stellt den "Plan" vor. Bild: S. Duwe

Beginnend bei der aktuellen Situation der Energieproduktion in Deutschland listen die Umweltschützer in ihrer Publikation mit dem alternativlos klingendem Titel Der Plan genau auf, wann welches Kraftwerk abgeschaltet werden kann - und was im Gegenzug gebaut werden muss. Gleichzeitig legt Greenpeace eine Berechnung vor, die zeigt, dass trotz des Atomausstiegs genug Erzeugungskapazität bereitsteht beziehungsweise zugebaut werden kann, um auch ältere Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen.

Greenpeace hat dabei sowohl die derzeit im Bau befindlichen Kohlekraftwerke berücksichtigt, als auch den weiteren Ausbau vor allem der Solar- und Windenergie. Verglichen mit dem Zuwachs bei den Erzeugungskapazitäten im Bereich der Erneuerbaren Energien, den die Organisation bis 2020 auf 57.600 Megawatt beziffert, spielt die Kohle aber mit lediglich 2.400 Megawatt an neuen Erzeugungskapazitäten bis 2020 eine deutlich untergeordnete Rolle. CCS spielt in dem Konzept keine Rolle, wie Greenpeace betonte. Diese Technologie sei nicht notwendig, verursache hohe Kosten und beinhalte ein Risiko, erklärte der Energieexperte von Greenpeace, Andree Böhling.

Auf einer Pressekonferenz erläuterte Böhling den Fahrplan hin zur Energiewende. Bis zum Jahr 2015 ist demnach ein Ausstieg aus der Kernenergie "mit Augenmaß" zu machen. Die sieben ältesten Atomkraftwerke könnten demnach problemlos vom Netz genommen werden, und auch für Krümmel und Neckarwestheim 2 könne dieses Jahr die endgültige Stilllegung erfolgen. Selbst an windstillen Tagen und Nächten könnte dann noch die Jahresspitzenlast gedeckt werden, ohne dass Stromimporte aus dem Ausland notwendig würden. Bis 2015 könnten dann jährlich weitere zwei Atomkraftwerke vom Netz gehen, zuletzt Isar 2 und Emsland. Neben dem Zubau von Windrädern und Solaranlagen sollen vor allem Gaskraftwerke zugebaut werden, die Greenpeace, neben Energieeffizienz, als wirkliche Bürcke zu den Erneuerbaren Energien betrachtet.

Phase zwei des Greenpeace-Plans läutet das Ende der großen Kohlekraftwerke ein und beginnt direkt nach dem Atomausstieg im Jahr 2016. Bis 2030 soll sich kein Kohlekraftwerk mehr am Netz befinden, welches nicht mit Kraft-Wärme-Kopplung arbeitet. 2040 ist dann auch im letzten Kohlekraftwerk der Ofen aus. Das alles, so betont Greenpeace, funktioniert im Schnitt angeblich ohne steigende Stromkosten, in manchen Jahren prognostizieren die Umweltschützer sogar sinkende Preise. Grund hierfür sind die Einsparungen bei den Brennstoffkosten. Bis zum Jahr 2050 könnte dann auch das Ende der Gas-Brücke erreicht sein. Neben positiven Umwelteffekten wie um 90 Prozent gesenkten Klimagas-Emissionen sieht Greenpeace auch positive Effekte für die Wirtschaft. In 40 Jahren könnten eine Million Menschen im Bereich der Erneuerbaren Energien arbeiten, so die Prognose. Auch die Energieimporte würden deutlich verringert - um 95 Prozent. Auch die Volkswirtschaft würde profitieren - mit einem Plus von 300 Milliarden Euro bis 2030, wie Böhling erläuterte.

Michael Sterner vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik. Bild: S. Duwe

Netzausbau und Speicherkapazitäten

Für die Energiewende wird jedoch ein weiterer Netzausbau nötig - allerdings ist der Bedarf deutlich kleiner, als oftmals in den Medien genannt, so Michael Sterner vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik. Statt 3.500 Kilometer neue Trassen zu bauen, würden 1.500 bis 1.700 Kilometer ausreichen, so der Wissenschaftler. Sterner betonte, dass der Netzausbau in geringerem Umfang nötig wird, je eher sich Regionen selbst versorgen können. Würden Windräder verstärkt auf dem Land anstatt vor der Küste gebaut, müsste das Netz weniger stark ausgebaut werden. Ganz wegfallen kann die umstrittene Nord-Süd-Trasse seiner Ansicht nach nicht - aber sie könnte kleiner ausfallen, wenn der Süden Deutschlands eigene Erzeugungskapazitäten aufbauen würde. Rechnerisch gebe es in Bayern das Potential, den gesamten Energiebedarf mit Windkraft zu decken - auf zwei Prozent der Landesfläche. Wenn dann noch Gaskraftwerke hinzukommen, würde sich Bayern auch nach dem Atomausstieg weitestgehend unabhängig von Stromimporten machen.

Gleichzeitig müsse allerdings die Speicherkapazität für Energie ausgebaut werden. Verlaufe der Netzausbau ideal, würden bis 2020 laut Sterner noch kaum Speicher benötigt. Im Jahr 2050 müssten allerdings 20 Prozent des Strombedarfs gepuffert werden. Elektroautos sind für den Wissenschaftler allerdings kein ernstzunehmender Speicher. Wären alle Autos in Deutschland elektrifiziert und gleichzeitig am Netz, so könnten sie lediglich Strom für zehn Stunden zur Verfügung stellen, rechnet er vor. Allerdings könne Windenergie künftig in Methangas umgewandelt, zwischengespeichert und bei Bedarf in speziellen Kraftwerken zur Energiegewinnung genutzt werden. Die bisherig vorhandenen Speicherkapazitäten für Gas reichen dafür problemlos aus - reif für den Einsatz ist die Technik allerdings noch nicht.

Erdverkabelung zur Verbesserung der Akzeptanz beim Leitungsneubau hält Greenpeace lediglich in siedlungsnahen Gebieten für denkbar, so Böhling. Sterner betonte, dass die Akzeptanz vor allem über die Information der Bevölkerung hergestellt werden müsse. Prinzipiell könnten aber alle Kabel, die eine Spannung von bis zu 110 Kilovolt führen, unter die Erde gelegt werden - wobei dies durch die Bodenerwärmung ebenfalls Umwelteffekte hätte, die beachtet werden müssten. Zudem seien die Kosten bis zu achtmal höher als bei Überlandkabel.