Bezahlen, was nichts kostet

Die taz hat hat eine Kampagne zum freiwilligen Bezahlen ihres Webangebots gestartet

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Wie Onlinejournalismus finanzierbar ist, wie Informationsqualität und freie Zugänglichkeit im Netz unter einen Hut zu bringen sind, wie frei fließender Content seine Urheber ernähren kann - diese Fragen sind auch nach mehr als einem Jahrzehnt des Webjournalismus nicht schlüssig beantwortet. Kaum eine der Nachrichtenseiten der großen Zeitungsverlage könnte ohne massive Subventionierung durch das Mutterschiff überleben, weshalb etwa die New York Times unlängst eine Paywall hochgezogen hat und viele andere Verlage ebenfalls über Bezahlschranken nachdenken.

Wie das Flagschiff der US-Presse mit dieser restriktiven Politik künftig fährt, ist für die Branche von großem Interesse - doch fast ebenso interessant könnte das Anti-Paywall-Experiment werden, das Deutschlands kleinste überregionale Zeitung, die taz, am vergangenen Wochenende gestartet hat. Mit der Kampagne taz zahl ich fordert sie zum freiwilligen Bezahlen des Webangebots von taz.de auf.

Anders als bei früheren Rettungskampagnen der "tageszeitung" steht das Unternehmen heute zwar nicht mehr am finanziellen Abgrund - der durch eine Genossenschaft von 10.500 Mitgliedern getragene taz-Verlag hat in den letzten zwei Jahren sogar kleine Gewinne erzielt -, doch wie bei anderen Verlagen verursacht die kostenlose Bereitstellung der Zeitungsinhalte deutlich höhere Kosten als die Erlöse, die durch Online-Anzeigen hereinkommen.

Der Aufbau einer Online-Redaktion und der Relaunch von taz.de haben seit 2007 zwar zu einem starken Zuwachs der Zugriffe geführt (im März 2011 wurden von IVW 6 Mio. Besuche und 17, 1 Mio Seitenaufrufe registriert), auch das Anzeigenvolumen ist stark gewachsen, dennoch wird durch die Online-Werbung nur knapp die Hälfte der Kosten von taz.de eingespielt. Deshalb wurde schon im vergangenen Frühjahr das von Pirate-Bay-Gründer Peter Sunde erfundene Mikro-Bezahlsystem "flattr" für freiwilliges Bezahlen auf taz.de eingerichtet; mit durchaus gutem Erfolg, wegen der noch bescheidenen Größe der flattr-community aber auch mit bescheidenen Einnahmen. Die zwischen 1.000 und 1.500 Euro pro Monat liegenden flattr-Erlöse der taz mögen für einen einzelnen Blogger hervorragend sein, für einen Zeitungsverlag der täglich über 100 neuen Artikel ins Netz stellt, sind es nur Peanuts.

Weil aber die Philosophie des freiwilligen Bezahlens der Tradition des Hauses durchaus entspricht - schon die Gründung der taz Ende der 70er Jahre war community-basiert, 1.000 LeserInnen hatten ein Jahresabo "ihrer" noch nicht existierenden Tageszeitung vorausbezahlt -, wurde nach Wegen gesucht, die flattr-Idee auch weniger "nerdigen" Leserkreisen nahe zu bringen. Mit einem "taz zahl ich"-Button unter jedem Artikel, über den mit wenigen Klicks und auch per Handy ein Kleinbetrag bezahlt werden kann.

Die Bilanz nach dem Start des Experiments kann sich sehen lassen: in den ersten 4 Tagen spendeten 931 Leserinen und Leser 4.600 Euro. Der Appell für ein faires Bezahlmodell stößt also weder auf taube Ohren, noch wird er, wie die positiven Kommentare im Twitter-Gästebuch der Kampagne zeigen als schnorrende Trinkgeld-Ökonomie abgetan. Die User von taz.de scheinen verstanden zu haben, dass journalistische Qualität, publizistische Unabhängigkeit und freie digitale Zugänglichkeit unterstützt werden müssen - sie zahlen für etwas, damit es auch weiterhin nichts kostet.

Noch ist es zu früh, um von einem Erfolg des Modells zu sprechen, doch schon wenn sich die "Quote" der ersten Tage stabilisiert - ca. 0,5 % der Besucher hinterlassen eine freiwillige Zahlung -, wäre viel erreicht. Ebenfalls offen ist, inwieweit das Modell auch auf andere Verlage und Webangebote übertragbar ist. Da sich die taz schon seit jeher - und eingedenk der Marxschen Weisheit "Die erste Freiheit der Presse ist es, kein Gewerbe zu sein" - mehr auf solidarische als auf kommerzielle Finanzierungsmethoden verlassen hat, verfügt sie in Sachen "Crowdfunding" sicher über einen gewissen Heimvorteil. Keine schlechten Voraussetzungen jedenfalls, einen dritten Weg zu probieren, jenseits von Paywalls und Gebührenzwang ebenso wie von 0815-Journalismus im Gratis-Internet.

Dass es wichtig und wünschenswert wäre, im Netz eine Kultur des freiwilligen Bezahlens zu etablieren und damit freie und unabhängige Berichterstattung zu sichern, daran kann eigentlich kein Zweifel bestehen.

Der Autor, von 1980-1991 taz-Kultur-Redakteur, berät die taz seit 2006 bei ihrer Online-Entwicklung.