"Das sind meine Akten"

Bilanz nach fünf Jahren Informationsfreiheitsgesetz

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Das am 1. Januar 2006 in Kraft getretene Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gibt Bürgern einen Rechtsanspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden. Das Erfragen von Auskünften respektive Akteneinsicht muss nach IFG nicht begründet werden, die Antragsstellung kann formlos schriftlich, mündlich oder telefonisch gestellt werden. Für den durch eine Anfrage entstehenden Aufwand können Behörden Gebühren von bis 500 € erheben.

Am letzten Tag der diesjährigen re:publica zogen der Bundesbeauftragte für Datenschutz Peter Schaar, der Journalist Matthias Spielkamp, Christian Humborg (Geschäftsführer der deutschen Dependence von Transparency International) sowie der Leiter der Greenpeace Rechercheabteilung Manfred Redelfs eine wenig euphorische Bilanz. Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) sei weder in den Amtsstuben noch, noch bei den Bürgern angekommen, so unwidersprochen Peter Schaar, seit 2006 auch Bundesbeauftragter für die Informationsfreiheit: Pro Jahr würden durchschnittlich nur 1.500 Anträge auf Informationszugang gestellt. Jährlich erreichen Schaar circa 150 bis 200 Beschwerden über den Behördenumgang mit Anfragen. Etwas mehr als die Hälfte der Anfragen werden seiner Ansicht nach vollständig erfüllt und nur in etwas mehr als 20% der Fälle entstehen größere Probleme bei der Auskunftserteilung – letztlich gebe es aber keine belastbaren Statistiken.

Als kritisch wurden von den Diskutanten die zahlreichen Ausnahmeregelungen des IFG beschrieben: Unterlagen zu Gesetzgebungsverfahren etwa, den Spielwiesen des Lobbyismus, müssen nicht zugänglich gemacht werden. Auch unter Berufung auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden regelmäßig Anfragen abgewehrt, daher werden zum Beispiel Informationen zu Vergabeverfahren meist nicht freigegeben. Schaar beklagte zudem, das Handling des IFG im Verwaltungsalltag diskreditiere den Datenschutz: Immer wieder werden Auskunftsanfragen fälschlicherweise unter Verweis auf Datenschutzgründe abgelehnt, so geschehen bei einer Anfrage an das Bundesverkehrsministerium über Fluggesellschaften, die wegen Sicherheitsmängeln mit Bußgeldern belegt wurden. Später verstieg sich das Ministerium auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, um die Herausgabe der Namen der betroffenen Unternehmen zu verhindern.

Redelfs beklagte langatmige Abläufe: Eine seiner Anfragen zu Agrarsubventionen endete in einem dreijährigen Gerichtsverfahren. Auch bei weniger brisanten Ersuchen vergeht viel Zeit bis die Informationen bereitgestellt werden: Angefragte Behörden nutzen die ihnen zustehende Dreißigtagesfrist zur Bearbeitung der Anfragen, oft schließt sich die Einholung von Stellungnahmen oder Anhörung betroffener Firmen an sowie schlimmstenfalls die juristische Auseinandersetzung – wertvolle Zeit verstreicht, während der nicht selten die erstrittenen Informationen wertlos werden.

Auf eine neue Strategie der Informationsvermeidung in Verwaltungen verwies Humborg: Anfragen würden teils wegen fehlender Protokolle als unbeantwortbar deklariert. Eine Strategie, die, wenn sie um sich greift, die Regelhaftigkeit sowie die externe und auch interne Überprüfbarkeit von Verwaltungshandeln unmöglich machen würde. Zusätzlich verwies Humborg auf das Fehlen von Informationszugangsregelungen auf kommunaler Ebene und immerhin noch in fünf Bundesländern, darunter auch Baden-Württemberg, wo der Regierungswechsel bei entsprechendem Wollen aber innerhalb eines Jahres ein Informationsfreiheitsgesetz bescheren könne.

Schaar konstatierte zwar insgesamt eine Verbesserung, insgesamt sei der Informationszugang aber immer noch zu schlecht. Redelfs führte dies unter anderem auf die hartnäckige Verwaltungskultur der Geheimhaltung zurück, in vielen Behörden herrschte bei den Bearbeitern der Anfragen noch die Mentalität "Das sind meine Akten". Zugleich räumte er ein, dass sich eine neue Mentalität bei nur 1.500 Anfragen pro Jahr auch schlecht ausbilden könne. Erschwert werden nach Spielkamp sowohl die Akzeptanz des IFG in den Behörden, als auch dessen Bekanntheit in der Bevölkerung durch das fehlende Bekenntnis der Regierung zum Anspruch auf Informationszugang.

Push statt Pull

Um dem IFG Breitenwirkung zu verschaffen, regte Humborg die Schaffung einer deutschen Variante der britischen Plattform whatdotheyknow.com an, über die in Großbritannien zwei Drittel aller Informationsanfragen an die Verwaltung gestellt werden. Zusätzlich können Informationssuchende in whatdotheyknow.com Auskünfte auf Anfragen anderer Personen recherchieren oder sich in Foren Rat holen.

Hoffnungen setzen die Diskutanten in die Adaption von Open Data durch deutsche Behörden, womit der Pull-Ansatz des IFG durch einen Push-Ansatz ergänzt würde und Informationszugang zu einer Bringschuld der Behörden würde. Dies erforderte aber einen für die Behörden bislang ungewohnten und bewussten Umgang mit elektronischen Formaten. Die übliche Praxis auch komplexe Daten wie Tabellen oder Grafiken in PDF-Dateien oder anderen proprietären Formaten bereitzustellen, erschwere den Re-Use und die Auswertung der Daten erheblich.

Redelfs versprach sich von einer Vereinheitlichung der unterschiedlichen Informationszugangsregelungen eine Effizienzsteigerung und größere Habitualisierung in der Verwaltung im Umgang mit Anfragen. Derzeit mache eine Vielzahl von Regelungen, die unterschiedliche Behörden betreffen, jede Anfrage zu einer Ausnahme. Umweltinformationsgesetze des Bundes und der Länder, Verbraucherinformationsgesetz, Informationsfreiheitsgesetze der Länder und des Bundes müssten harmonisiert werden. Schaar ging noch einen Schritt weiter und forderte die verfassungsrechtliche Verankerung des Rechts auf Informationszugang. Würde dieser Anspruch ein Grundrecht, könnten etwa Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einem Auskunftsanliegen nicht mehr entgegenstehen.

Versöhnlich stimmte Humborgs Einschätzung, wonach sich in der Rechtsprechung ein Umdenken anbahnt. In einem noch nicht rechtskräftigen Urteil verfügte etwa das Verwaltungsgericht Berlin, das Bundeskanzleramt sei verpflichtet, die Gästeliste eines von der Bundeskanzlerin veranstalteten Geburtstagsessen für den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Josef Ackermann, offenzulegen. Den zuvor noch in ähnlichen Fällen akzeptierten Ausnahmetatbestand, die Auskunftserteilung berühre Regierungshandeln, verwarf das Gericht. Die Tragweite des Urteils erschließt sich aus der Zuständigkeit des Gerichts, in die auch die Bundesministerien in Berlin fallen.