Höhere kriminelle Energie?

Silvana Koch-Mehrin ließ sich in ihrer Doktorarbeit möglicherweise nicht nur von der Leichtigkeit des Copy&Paste verführen

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Letzte Woche wurde der Verdacht laut, dass nicht nur der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor von und zu Guttenberg, sondern auch die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin Teile ihrer Doktorarbeit aus anderen Texten übernahm, ohne diese entsprechend zu kennzeichnen. Erhoben wurde dieser Vorwurf (zu dem sich die Betroffene selbst bis jetzt nicht äußern will) von Crowd-Korrektoren im Wiki VroniPlag. Waren es damals noch 12 Seiten, auf denen die Plagiatsjäger fremde Formulierungen zu erkennen glaubten, so sind es heute bereits 56 der (ohne Literaturverzeichnis) insgesamt 201 Textseiten umfassenden Arbeit.

Teilweise handelt es sich dabei um fehlende Fußnoten paraphrasierter Stellen, teilweise aber auch um längere Abschnitte, die sich fast unverändert im 1985 erschienenen Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte und anderen Werken wiederfinden. Besonders bemerkenswert ist, dass es unter den kritisierten Passagen auch solche gibt, deren mutmaßliche Originale gar nicht in elektronischer Form vorliegen. Trifft der Übernahmevorwurf zu, dann muss jemand diese Stellen mit relativ viel Aufwand abgetippt oder eingescannt haben. Und der Verdacht liegt nahe, dass es sich dabei entweder um Silvana-Koch Mehrin selbst oder um einen Ghostwriter handelt - denn wer sonst sollte sich diese Mühe machen und der damaligen Doktorandin dann die Ergebnisse zukommen lassen?

Wäre dem tatsächlich so, dann hätte Silvana Koch-Mehrin möglicherweise ein größeres strafrechtliches Problem als andere Personen, die wegen Urheberrechtsverletzungen in akademischen Arbeiten zu einer Strafe in Höhe von 90 Tagessätzen verurteilt wurden, weil sie der Versuchung des einfachen Übernehmens mittels Copy&Paste nicht widerstehen konnten. Denn je aufwendiger ein Täter vorgeht, desto höher schätzt ein Gericht seine so genannte "kriminelle Energie" ein, die großen Einfluss auf das Strafmaß hat, das bei Urheberrechtsverstößen bis zu drei Jahren Haft reicht.

Die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft Heidelberg kündigte jedoch an, vor der Aufnahme eigener Ermittlungen zu den Vorwürfen das Ergebnis einer Prüfung der Universität abzuwarten - was insofern bemerkenswert ist, als bei weit weniger gravierenden Urheberrechtsvorwürfen sehr schnell Hausdurchsuchungen angeordnet werden, die bei Karl-Theodor von und zu Guttenberg und Silvana Koch-Mehrin bis jetzt ausblieben, was den beiden viel Zeit gab, eventuell belastendes Beweismaterial mittels Eraser verschwinden zu lassen.

Pikant ist der Fall aber auch deshalb, weil die FDP-Politikerin kurz nach ihrer Promotion eine Unternehmensberatung gründete, die 2003 Partner einer anderen Firma wurde, welche nach eigenen Angaben in Brüssel erfolgreich Lobbyarbeit für die Immaterialgüterrechteinhaberindustrie machte. Und in ihren Wahlkämpfen nutzte das FDP-Bundesvorstandsmitglied den (nun mit einem Fragezeichen versehenen) Doktortitel ausgiebig als Werbezusatz.

In diesem Zusammenhang wird eine bislang nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehende Eigenschaft ihrer Arbeit interessant: Sowohl Guttenberg als auch Koch-Mehrin promovierten über europapolitische Themen. Beide vergleichen in ihren Doktorarbeiten ein zum Herstellungszeitpunkt aktuelles politisches Vorhaben mit einem historischen: Guttenberg die amerikanische Verfassung mit dem EU-Verfassungsvertrag und Koch-Mehrin die von 1865 bis 1926 bestehende Lateinische Münzunion mit der Europäischen Währungsunion.

Und sowohl der Jurist als auch die Wirtschaftshistorikerin kommen in ihren Doktorarbeiten zu bemerkenswert unkritischen Urteilen hinsichtlich der beiden jüngeren Vorhaben, über die sie und ihre Parteien maßgeblich mit entschieden. Die intensive Auseinandersetzung mit diesen Sachverhalten, die die Doktorarbeiten dem Wähler suggerierten, scheint zumindest im Fall Guttenberg nur sehr bedingt stattgefunden zu haben. Allerdings hätte eine ausführlichere Beschäftigung in einer politischen Kultur, die Europa wie eine Religion pflegt, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu Ergebnissen geführt, die der Parteikarriere eher hinderlich gewesen wären.

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