Warum das reichste Land der Welt eine linkssozialistische Finanzministerin hat

Was ist eigentlich Wirtschaft? Teil 1

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Das Gefühl, übers Ohr gehauen zu werden, stellt sich im Wirtschaftsleben täglich ein. Das ist natürlich: Wenn man ständig den größtmöglichen persönlichen Vorteil anstrebt, ist Enttäuschung vorprogrammiert.

Geiz ist allenfalls so lange geil, wie man nicht selbst das Opfer von Geizexzessen wird. Als Pendler in deutschen Großstädten. Als Schüler in überbelegten und nach Pisse stinkenden Kinderaufbewahrungsanstalten. Als Bewohner liebloser Betonwüsten mit null Sozialkapital. Als Kunde in der freudlosen Servicewüste der zu Dumpinglöhnen beschäftigten Kundenbetreuer. Als jeden Ersten zwangsvollstreckte(r) Mitarbeiter(in) im ständigen Hü und Hott des Strategiewechsels von Männern, die unablässig die Unruhe der Restrukturierung verbreiten.

Und wenn wir uns tatsächlich als Konkurrenten in einem ständigen Wettbewerb befinden, dann gehen wir daraus nicht als Sieger, sondern mehrheitlich als Verlierer hervor. Auf die Dauer sind deshalb Wettbewerb wie Wirtschaft ermüdend.

In Norwegen werden die knappen Güter knapp

Wirtschaft, so wird es seit Generationen gelehrt, ist der Kampf um knappe Güter. In einer friedlichen Überflussgesellschaft aber herrscht an diesen ein derartiger Mangel, dass Knappheit - und mit ihr Not und Überlebenskampf - nicht mehr als Begründung des rat race der Märkte herhalten können.

Es gibt einige europäische Länder, die sich deshalb von der Religion des Mangels - und damit von der kriegerischen Wurzel der Wirtschaft als survival of the fittest verabschiedet haben. Wir erfahren aus diesen Ländern wenig. Das reichste Land Europas, wohl der Welt, ist seit langem Norwegen. Das Land steht für milliardenschwere Reeder, für Ölreichtum und Fischerei, für endlose Natur und Lachszucht ohne Antibiotika, Polarnacht und Hurtigruten.

Es gibt eine norwegische Redewendung, die das norwegische Lebensgefühl zutreffend ausdrückt: nå er vi hyggelig sammen. Nun sind wir fein zusammen.

Das Land ist schuldenfrei und legt seinen Reichtum in einem Staatsfonds an. Wenn man deutsche Ökonomen und ihre Predigten für Privatisierung, niedrige Steuern und Löhne hört, müsste man um Norwegen besorgt sein. Nirgendwo auf der Welt sind die Löhne und die Steuern höher un ist das Staatseigentum größer. Man leistet sich gleich 18 Minister, so für Religion und für Staatsverwaltung und Innovation.

Norwegen hat sich nicht für den Euro interessiert und verteidigt selbstbewusst seine exotische Währung. Die norwegische Krone hat sich seit 2001 gegenüber dem Euro kaum verändert und steht immer so zwischen 7 und 8 Kronen für einen Euro. Die Hausherrin der Finanzen dieses urkapitalistischen Kaufmannsstaates war 5 Jahre lang Kristin Halvorsen (2005-2009). Sie ist Vorsitzende einer Partei, die auf Deutsch als Sozialistische Linkspartei übersetzt wird. Für deutsche Verhältnisse, wo Steuern für Wohlhabende als Bestrafung von Leistungsträgern gelten, wäre das undenkbar.

2 Billionen Euro Verlust durch Subventionen - 380 Milliarden Euro Gewinn mit Staatsknete

Der christdemokratische Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble hat es mit Unterstützung der Kanzlerin und seiner liberalen Kabinettskollegen geschafft, die deutschen Staatsschulden in nur einem Jahr um unvorstellbare 310 Milliarden Euro zu erhöhen. Ein guter Marktwirtschaftler eben.

Seine linkssozialistische norwegische Kollegin dagegen hat mitten in der Finanzkrise unvorstellbare Rücklagen in Höhe von 380 Milliarden Euro gebildet. Kein Wunder: Sie muss weder Bankenhilfen, noch milliardenschwere Steuererleichterungen finanzieren, noch muss sie - wie Deutschland - allein mit 45 Milliarden Euro jährlich dafür sorgen, dass wohlhabende Beamte und Selbständige nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen müssen.

Auch seine Industrie muss das von Linkssozialistinnen verwaltete Norwegen nicht subventionieren. Die Einnahmen des norwegischen Volkes stammen nicht aus Privatisierungserlösen, sondern aus den Renditen des gut verwalteten Staatseigentums. So steht es als Ziel im Regierungsprogramm, "ein starkes öffentliches und nationalisiertes Eigentum bewahren, um wichtige politische Ziele zu erreichen und Profit und Einkommen in die Gemeinden zu bringen".

In Deutschland besteht Marktwirtschaft weitgehend darin, Gewinne als heiliges Privateigentum zu schützen, Verluste dagegen als Aufgabe der Steuerzahler zu sozialisieren. Eine Besteuerung von Vermögen, schrieb Deutschlands kluger Verwalter der Staatsfinanzen kürzlich angesichts der der dramatischen Staatsverschuldung, sei in Deutschland nicht möglich, denn: "Viele Vermögenswerte können problemlos im Ausland gehalten werden."

Auf der Webseite der Sozialistik Venstreparti erklärt die Partei ihre Haltung mit dem Zitat eines Augsburger Dichters:

Ändere die Welt, sie braucht es, lautet der Appell von Berthold Brecht. Die SV arbeitet für einen fundamentalen Wandel der Gesellschaft.

Das ist allerdings eine Übertreibung. Die kooperative norwegische Gesellschaft braucht keinen Wandel, sondern eher die Norwegen umgebenden Pleitestaaten.

In seiner Serie Was ist eigentlich Wirtschaft? sucht Alexander Dill vom Basel Institute of Commons and Economics eine zeitgemäße Definition von Wirtschaft nach Finanzkrise und Atom-GAU.