Ereignisbeben

Mit "MotorStorm: Apocalypse" legt Sony den vierten Teil der Offroad-Racing-Games vor - und zieht ihn gleich wieder zurück

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Noch ist MotorStorm: Apocalypse nicht erhältlich: Nachdem sich die Veröffentlichung des Spiels mit der Erdbeben- und Flutwellen-Katastrophe in Japan überschnitten hat und man den Inhalt des Spiels allzu "nah" an den Ereignissen sah, hielt man die Auslieferung zurück. Einzig die Pressemuster und einige wenige reguläre Exemplare in Videotheken-Leihversionen sind derzeit erhältlich.

Einiges hat sich zu den beiden PS3- und dem einen PSP-Vorgänger in "MotorStorm: Apocalypse" geändert. Wo in den vorherigen Teilen nur im Prolog andeutungsweise eine erzählerische Rahmung des Rennspiels stattfand (etwa in Pacific Rift, in dem man Hubschrauber zur Insel fliegen sah, die die Gefährte transportierten und im Hintergrund allenfalls die "hard facts" zu hören bekam), da finden sich bei "MotorStorm: Apocalypse" nun Cut-Scenes zwischen den einzelnen Rennepisoden. Und diese sorgen durch ihre grafische Gestaltung auch gleich noch dafür, dem Spiel seinen "realistischen Schrecken" zu nehmen: Im Borderlands-Cell-Shading-Style bekommt der Spieler eine Reihe Draufgänger zu Gesicht, die als Fahrerinnen und Fahrer in die Rennen geschickt werden. Zudem wird er in diesen Zwischensequenzen von den Gefahren und Möglichkeiten des Spielablaufs unterrichtet.

Und die haben es in sich! Das Setting von "MotorStorm: Apocalypse" ist nämlich keineswegs für Autorennen geeignet. Es befindet sich in einer fiktiven Stadt, die von der Skyline und ihrer Lage am Ozean vielleicht San Francisco sein könnte. Gerade dafür spricht auch, dass diese Stadt durch ein Erdbeben zerstört wurde - beziehungsweise gerade zerstört wird! In dieser zu großen Teil eingebrochenen, teilweise brennenden und von Nachbeben regelmäßig erschütterten Stadt befinden sich die verschiedenen Rennparcours.

Flucht nach vorn, oben, unten oder direkt hindurch

Bereits das erste Level führt die schier unglaublichen Settings in zahlreichen Facetten vor Augen: Von den beinahe verlassenen Vororten über die Hafengebiete mit gestrandeten und gekenterten Schiffen bis ins Stadtinnere hat man sich von Level zu Level vorzukämpfen bzw. -fahren. Während man eines der verschiedenen Fahrzeuge, das man zuvor zugewiesen bekommt, als einer der erste drei durchs Ziel bringen muss, geschieht eine Menge um einen herum.

So stürzen Häuser, Kräne und anderes direkt vor einem zusammen und man muss sich den Weg durch die brennenden Trümmer suchen. Brücken, über die man rast, wanken und brechen zusammen, so dass man auf Strukturen von ihnen, die eigentlich gar nicht als Fahrbahn gedacht sind, seinen Weg fortsetzen muss. In einem Level hat man sich ausschließlich über die Dächer und umgekippten Wände zusammengebrochener Wolkenkratzer fortzubewegen. Abstürze in die Tiefe, Kollisionen mit Trümmern und natürlich die nicht gerade rücksichtsvolle Fahrweise der Gegner sorgen schon nach den ersten beiden noch als Einführung gedachten Parcours dafür, dass das Spiel nicht so leicht durchzuspielen ist - und das, obwohl die Steuerung der Vorgänger übernommen wurde, und man sich deshalb eigentlich schon beinahe heimisch in den jeweiligen Boliden fühlen kann.

Death Race 2011

Die Umweltkatastrophe, die Rennkonkurrenten und die "neue" Stadtarchitektur sind allerdings nicht die einzigen Gefahren, die während des Rennens warten. In der Stadt, wird man in einer Cut-Scene vorgewarnt, halten sich trotz der Evakuierungsbemühungen der Behörden immer noch Menschen auf. Ob diese als "Crazies" bezeichneten Stadtbewohner alles gewalttätige, wahnsinnige Plünderer sind (wie behauptet wird), oder vielleicht auch ein paar verwirrten Anwohner darunter sind, ist unklar. Fest steht jedoch, dass man von den "Crazies" mit Molotow-Cocktails beworfen und sogar angesprungen wird. (In letzterem Fall hält sich solch ein Passant dann auch schon mal am durch die Trümmer rasenden Wagen fest und muss abgeschüttelt werden.) In einigen Levels beschießen sie vorbei fliegende Hubschrauber, die dann brennend auf die Fahrstrecke stürzen.

Dass diese Passanten beim Rennen leicht unter die Räder kommen können, versteht sich von selbst. "MotorStorm: Apocalypse" inszeniert solche "Unfälle mit Personenschaden" dann auch genauso selbstverständlich wie die anderen Karambolagen, die während des Spiels passieren. Oft in Zeitlupe, die eine Detailansicht des Geschehens ermöglicht. Nicht zuletzt dieser beinahe schon fetischistische Blick auf die Gewalt im Straßenverkehr (der ja immer schon dafür gesorgt hat, dass solche Spiele Probleme bekommen - wir erinnern und an den Eklat um das Spiel Death Race Ende der 70er-Jahre!) dürfte ein Grund für Sony gewesen sein, das Spiel trotz seiner Fiktionalisierung in den Cut-Scenes noch zurück zu halten.

Besuchen Sie Japan - solange es noch steht

Der andere ist die offen zugegebene "Luzidität": "MotorStorm: Apocalypse" erscheint mit seinem Setting in Zeiten des japanischen Erd- und Seebebens und der daraus folgenden Katastrophe einfach zu "nah", als dass eine derart spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema möglich wäre. Ein - zumal von Menschen noch sporadisch bewohntes - urbanes Katastrophengebiet zum Handlungsort für ein Rennen zu machen, wäre in der Realität blanker Zynismus. Im Spiel, scheint die Befürchtung, kommt dieser Zynismus als Gedankenexperiment ebenfalls zum Tragen und könnte ein Ereignisbeben durch allzu vorwurfsvolle Presse nach sich ziehen.

Daher wartet das Spiel noch auf seine Veröffentlichung. Und die tut - trotz allem Sarkasmus, der in "MotorStorm: Apocalypse" zum spielerischen Ausdruck kommt - not! Nicht nur, weil das Spiel durch Grafik, Sound und natürlich Setting das bislang beste der Reihe ist (daran können nicht einmal die oft albernen, zumindest aber überflüssigen Cut-Scenes etwas ändern - sie sind zur "Entschärfung" wohl aber nötig), sondern auch, weil es eben tatsächlich die kulturelle Auseinandersetzung mit solchen Naturkatastrophen auf eine ganz eigene Weise lanciert. "MotorStorm: Apocalypse" steht damit eher in der Tradition von Spielen wie "S.T.A.L.K.E.R.", als mit - wenngleich motivisch sehr ähnlichen Produkten wie "Fuel oder Split Second. Aber auch "S.T.A.L.K.E.R." ist erst 21 Jahre nach Tschernobyl erschienen. Eine so lange Pietätspufferzone wird "MotorStorm: Apocalypse" wohl nicht benötigen - es sei denn in einem der späteren Level hätte man auch nuklear-havariertes Gebiet zu durchfahren.

Ereignisbeben (9 Bilder)

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.