Seltsame Informationspolitik des Weißen Hauses

Die Szene ist um die Welt gegangen, auf der US-Präsident Obama und andere Regierungsmitglieder die Tötungsmission von Bin Laden in Pakistan mitverfolgen, niemand aber bislang weiß, was sie wirklich gesehen haben. Bild: Weißes Haus/Pete Souza

Berichte über die Tötung Bin Ladens werden zurückgenommen und lassen Zweifel entstehen, vieles wird sowieso verschleiert, Beweise für die Identität der im Meer entsorgten Leiche werden zurückgehalten

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Die US-Regierung hat eingeräumt - und damit ersten Berichten widersprochen -, dass Osama bin Laden unbewaffnet war und auch seine Frau nicht als Schutz verwendet hatte. Obgleich die Navy SEALs höchstwahrscheinlich den Auftrag hatten, Bin Laden zu töten, versucht man die gezielte Tötung des Unbewaffneten weiter zu verschleiern.

Bin Laden habe auch ohne Waffe Widerstand geleistet, erklärte Jay Carney, der Sprecher des Weißen Hauses. Man sei davon ausgegangen, dass er sich gegen eine Festnahme wehren würde. Überhaupt sei während der gesamten 40-minütigen Operation Widerstand geleistet worden. Es habe eine "Menge anderer bewaffneter Menschen im Gebäude" gegeben, sagte Carney, sprach allerdings konkret nur von zwei weiteren Familien. Die zwei Männer von diesen wurden getötet, ebenso eine Frau, zudem ein Sohn von Bin Laden.

Carney betonte auch, dass US-Präsiden Obama, Außenministerin Clinton, Verteidigungsminister Gates und die anderen Regierungsvertreter im Situation Room lediglich Beobachter der Operation in Echtzeit waren, aber angeblich nicht eingreifen oder Anweisungen geben konnten. Liest man die Ausführungen von CIA-Chef Panetta, dann kommen daran Zweifel auf. Er spricht von einer "live-time intelligence information" und davon, dass er während der Mission mit dem Befehlshaber vor Ort in direktem Kontakt stand. Allerdings bestreitet er, dass sie Echtzeit-Bilder gesehen hätten. Daher hätten sie auch nicht beobachten können, wie Bin Laden getötet wurde. Und der CIA-Chef macht auch klar, dass Bin Laden hätte tun können, was er wollte, er wäre auf jeden Fall erschossen worden:

The authority here was to kill bin Laden. And obviously, under the rules of engagement, if he had in fact thrown up his hands, surrendered and didn't appear to be representing any kind of threat, then they were to capture him. But they had full authority to kill him.

Wie viele andere Kämpfer möglicherweise geflohen sind und wie viele Frauen und Kinder während des Überfalls im Haus waren, darüber machte er keine Angaben. Es wird von mehr als 20 Kindern und 9 Frauen berichtet. Angeblich befinden sich eine Frau und 8 Kinder Bin Ladens in den Händen der pakistanischen Sicherheitskräfte. Die Rede ist auch, dass die US-Soldaten nicht nur die Leiche Bin Ladens, sondern auch weitere Gefangene mitgenommen hätten. Die Rede ist von einem Sohn Bin Ladens, möglicherweise handelte es sich auch um die Leiche des erschossenen Sohns. Frauen und Kinder seien zwar gefesselt worden, hätten aber nicht mitgenommen werden können, weil ein Hubschrauber defekt war und zerstört wurde.

Man müsste eigentlich nicht auf Fotos oder Gentests verweisen, um den Tod von bin Laden zu bezeugen, sondern könnte sich auf die Aussagen der überlebenden Mitglieder der Bin-Laden-Familie stützen, was bislang aber offenbar keine Rolle zu spielen scheint. Möglicherweise geschieht dies deswegen nicht, weil dann unangenehme Informationen zu Tage kommen oder die Familienmitglieder auch Lügen erzählen könnten, die den USA schaden. So soll die 12jährige Tochter Bin Ladens berichtet haben, ihr Vater sei zuerst gefangen genommen und dann vor den Augen der Familie erst ermordet worden. Pakistanische Sicherheitskräfte würden auch die Darstellung der US-Regierung zurückweisen, dass es einen längeren Schusswechsel gegeben habe. Es sei von den Bewohnern des Hauses kein Schuss auf die Hubschrauber und die Soldaten abgefeuert worden, soll ein Angehöriger der pakistanischen Sicherheitskräfte gesagt haben.

Warum die US-Führung so viele Details im Unklaren lässt, sich auch mit den Beweisen für en Tod Bin Ladens schwer tut, ist kaum nachvollziehbar. Angeblich hat es sich um eine lange vorbereitete Operation gehandelt und man hätte reichlich Gelegenheit gehabt, sich zu überlegen, welche Informationen man wie der Öffentlichkeit zukommen lässt. Die widersprüchlichen Aussagen, das Zögern, ob man nun ein Foto des toten und angeblich durch den Kopfschuss stark entstellten Bin Laden veröffentlichen soll oder nicht, und die demonstrierte Unsicherheit, wie man dessen Identität beglaubigen soll, schüren nicht nur die üblichen Verschwörungstheorien, sondern lassen vermuten, dass die Operation entweder doch überstürzt eingeleitet wurde oder dass etwas schief gegangen ist. Angeblich gibt es im Weißen Haus auch Uneinigkeit innerhalb der Regierung, ob man ein Foto veröffentlichen soll. Vor allem Gates und Clinton sollen sich dagegen aussprechen.

Zudem muss die Obama-Regierung noch mit einer weiteren unklaren Situation zurechtkommen. Zunächst hieß es, dass wichtige Informationen, die zur Entdeckung des Boten und schließlich des Hauses von Bin Laden geführt hatten, durch die Folterung von Gefangenen bzw. die neuamerikanisch so genannten "harten Verhörmethoden" wie Waterboarding erzielt worden seien. Verbreitet haben dies gerne konservative Medien wie FoxNews und Politiker, da damit noch einmal die Einführung der Folter in Guantanamo und anderswo durch die Bush-Regierung als sinnvoll gerechtfertigt werden könnte. Obama wollte zwar mit diesen Praktiken aufhören, scheiterte aber schon daran, Guantanamo überhaupt schließen zu können.

Der Sicherheitsberater von Barack Obama, John Brennan, wies jedenfalls Gerüchte zurück, dass Waterboarding zu entscheidenden Hinweisen für das Aufspüren Bin Ladens geführt habe. In einem Interview mit MSNBC sagte Brennan gestern, dass dies seines Wissens nicht der Fall gewesen sei, sondern dass die Informationen aus zahlreichen Quellen stammten und erst durch die Zusammenführung seitens der Geheimdienste zur erfolgreichen Operation beigetragen hätten.