Geld, "bärtige, religiöse Männer" und viele weiße Flecken

Libyen: Unklare Strategie der Nato, unklare Verhältnisse bei den Rebellen

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Es ist noch immer keine klare Strategie, mit der die NATO in Libyen agiert. In Rom wurde finanzielle Hilfe für die Rebellen beschlossen, aber die Truppen Muammar Gaddafis werden weiterhin nur halbherzig angegriffen. In den Medien werden die Freiheitskämpfer von Bengasi glorifiziert, aber die NATO-Staaten scheinen von der Opposition nicht sehr überzeugt zu sein.

Der libysche Finanzminister hatte ganz recht. Schon vor zwei Wochen erklärte Abdulhafid Zlitni auf einer Pressekonferenz:

Unsere Gelder, die eingefroren wurden, kann man nicht so einfach verwenden. Es ist kaum vorstellbar, dass die Banken das Vermögen freigeben werden. Denn dafür gibt es keine rechtliche Grundlage.

Er reagierte damit auf die Äußerungen einiger europäischer Außenminister auf der Konferenz der "Libyen Kontaktgruppe" Mitte April in Katar: Teile der eingefrorenen Gelder des libyschen Staates sollen Rebellen zukommen. Insgesamt sind rund 120 Milliarden Dollar weltweit blockiert.

"Das eingefrorene Vermögen gehört den Libyern und nicht Colonel Gaddafi", sagte damals Italiens Außenminister Franco Frattini, der es für humanitäre und tägliche Nöte einsetzen will. "Die Menschen brauchen Nahrungsmittel und müssen Gehälter bezahlen." Auch der deutsche Amtskollege, Guido Westerwelle, meinte, "das Geld sollte zu den wirklichen Besitzern, dem libyschen Volk, transferiert werden".

Aus "legalen Gründen" schwierig

Aber so einfach ging es dann doch nicht, wie es sich die Herren dachten. Banken können nicht einfach fremdes Geld freigeben. "Das Vermögen gehört offiziell immer noch uns, dem libyschen Staat und seinen Institutionen", versicherte Finanzminister Zlitni. Und sollten es Banken wagen, Gelder freizugeben, würde man alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um den "Missbrauch" der staatlichen Guthaben zu verhindern. "Wir haben langjährige Erfahrung", sagte Zlitni lachend. "Schon unter Ronald Reagan wurden unsere Auslandskonten in den 1980er Jahren eingefroren."

Das Geld habe schon damals niemanden benutzen können und nach Prozessen mit den Banken hätte es sogar alle zustehenden Zinsen gegeben. "Diesmal wird es nicht anders sein", sagt der Minister zuversichtlich. "Und Waffen an die Rebellen geht überhaupt nicht", fügt er erzürnt zu. Ein Thema, das auch von den Konferenzteilnehmern in Katar diskutiert worden war.

Am Donnerstag beschloss die internationale Staatengemeinschaft (22 Länder) der Gaddafi-Gegner in Rom einen internationalen Hilfsfond für die Rebellen . Nach eigenen Angaben brauchen sie dringend 3 Milliarden Dollar, um nicht Pleite zu gehen.

Woher die Gelder dieses Fonds kommen, der in wenigen Wochen operativ sein will, ist bisher noch unklar. Aus eigener Tasche wollen nur Katar (400 - 500 Millionen Dollar) und Kuwait (180 Millionen Dollar) bezahlen. Die anderen Länder versprachen erneut Zahlungen von den eingefrorenen Konten. Wobei der italienische Außenminister Frattini diesmal zugab, dass dies aus "legalen Gründen schwierig ist".

Die juristischen Hürden wollen die USA umgehen. Wie Hillary Clinton ankündigte, wird man ein Gesetz erlassen, dass den Zugriff auf die libyschen Staatsgelder ermöglicht. Allerdings ist nur eine verhältnismäßig kleine Summe im Gespräch. Nur 130 Millionen Dollar sollen von den in den USA insgesamt eingefrorenen 30 Milliarden Dollar abgezwackt werden.

Verhandelt mit alten Figuren des Gaddafi-Regimes

Geschenkt wird der Übergangsregierung aber nichts. Jeder Dollar aus dem Fond, der nach Bengasi geschickt wird, ist nur ein Kredit und muss zurückbezahlt werden. Eine Finanzhilfe, mit der die "Libyen Kontaktgruppe" die Rebellen langfristig an sich bindet. Mit Generosität, die man als Unterstützung im Kampf für Freiheit und Demokratie vermuten könnte, hat das nichts zu tun.

Die Haltung des Anti-Gaddafi-Bündnis ist zum Teil zu verstehen. In den Medien werden die Rebellen glorifiziert: All die Mechaniker, Geschäftsinhaber, Jugendlichen, die mit der Waffe in die Hand den bösen Diktator Gaddafi stürzen wollen und dafür auch bereit sind, zu sterben. Die Realität sieht allerdings etwas anders aus. Die "Libyen Kontaktgruppe" trifft und verhandelt mit alten Figuren des Gaddafi-Regimes, die seit Beginn des Aufstandes plötzlich zu Demokraten geworden sind.

Mustafa Mahmoud Jalil, der Vorsitzende der Übergangsregierung, war zuerst Richter und wurde 2007 zum Justizminister gemacht. In der Presse wird er zum großen Kritiker des Systems stilisiert, weil er 2007 aus Protest über die Inhaftierung politischer Gefangenen von seinem Ministeramt zurücktreten wollte. Nach 38 Jahren Dienst für das Regime ist ihm daraus kein Nachteil entstanden. Gaddafi setzte immer noch so viel Vertrauen in Jalil, dass er ihn im Februar dieses Jahres nach Bengasi schickte, um den Aufstand niederzuschlagen. Dort entschied sich dann der Justizminister die Seite zu wechseln.

Der Interimspremierminister der Rebellen, Mahmoud Jibril, arbeitete seit 2007 für Gaddafi und leitet das Nationale Gremium für Wirtschaftsentwicklung. Der Militärchef der Rebellen war bis vor drei Wochen Abdel-Fattah Younis , der ehemalige Innenminister und Jahrzehnte lang die rechte Hand Gaddafis. Younis war für die innere Sicherheit Libyens verantwortlich, unter seiner Verantwortung wurden Regime-Kritiker verhaftet, geschlagen, gefoltert und getötet.

Die Libysche Nationale Heilsfront und CIA

Für die USA war die Kehrtwendung des Weggefährten Gaddafis offensichtlich nicht genug. Younis wurde im April von Khalifa Haftar als neuer Militärchef der Rebellen ersetzt, was anfänglich zu Kompetenzstreitigkeiten führte.

Haftar lebte die letzen 24 Jahre in Virgina, USA. Nach dem Tschad-Krieg hatte er 1986 mit Col. Gaddafi gebrochen. Laut Informationen des kanadischen Gremiums für Flüchtlinge gründete Haftar danach, mit Unterstützung des CIA, seine eigene Miliz, die "Haftar-Truppe". 1987 trat er der "Libyschen Nationalen Heilsfront" (LNSF) bei und übernahm die Führung ihres militärischen Flügels der "Libyschen Nationalen Armee" (LNA).

Ziel war es, das Gaddafi-Regime zu bekämpfen und zu Fall zu bringen. Sowohl LNSF als auch LNA bekamen finanzielle, militärische und logistische Hilfe vom CIA. Ihre Mitglieder wurden in den USA trainiert und ausgebildet. Einige lebten, wie Haftar auch, im amerikanischen Exil. Der 67-jährige neue Feldkommandeur der Rebellen leugnet jede Beziehung zum CIA. Er gibt aber zu, "in den USA von den Sicherheitsbehörden vor allen Anschlägen Gaddafis geschützt gewesen zu sein".

Washington hat mit Haftar einen festen wie zuverlässigen Mann in führender Stellung bei den Rebellen, der sich noch keine großen Gedanken über die Zeit nach der Revolution macht.

Das einzige, was mich jetzt interessiert, ist der Kopf Gaddafis.

Trotzdem: Innerhalb der Rebellen gibt es noch viele weiße Flecken. Dazu gehören die Islamisten, auf die die US-Außenministerin Hillary Clinton mehrfach aufmerksam machte.

Viele der Al-Qaeda Aktivisten in Afghanistan und später im Irak, kamen aus Libyen und dem Ostteil des Landes, das jetzt das freie Libyen ist.

Ein Bericht des kanadischen Geheimdienstes von 2009, der erst Ende März dieses Jahres an die Öffentlichkeit kam, bestätigt das: "Im Osten Libyens ist die Bevölkerung wesentlich religiöser als im Rest des Landes." In dieser Gegend konzentrierten sich islamistische Tätigkeiten.

Sie ist ein Epizentrum des islamistischen Extremismus.

Etliche "militante islamistische Gruppen" hätten dort ihre Basis und die Imame in den Moscheen von Bengasi würden die Gläubigen auffordern, im Irak zu kämpfen.

"Gott ist groß" - das religiöse Moment

Von Fernsehbildern kennt man die Rebellen, die nach jedem abgefeuerten Schuss oder Rakete "Gott ist groß" rufen. Bengasi ist eine von Männern dominierte Stadt. Frauen haben im Alltag nichts in der Öffentlichkeit zu suchen. Die Gebetszeiten werden dort, wie im streng gläubigen Saudi-Arabien, fünf Mal am Tag eingehalten. Im von Gaddafi besetzten Tripoli ist das ganz anders. Frauen sind alleine auf der Strasse, gehen einkaufen, sind mit dem Auto unterwegs. Nur zum Freitagsgebet ist die libysche Hauptstadt wie ausgestorben.

Unter der Woche bleiben die Menschen in den Cafés gemütlich sitzen, ob der Muhezzin nun zum Gebet ruft oder auch nicht. Bei der Revolution in Tunesien gab es während der Proteste gegen das Regime nie ein Wort von Allah zu hören. Selbst in Ägypten, in dem der Islam im Alltagsleben eine größere Rolle einnimmt, spielte das religiöse Moment beim Sturz Präsident Hosni Mubaraks eine völlig untergeordnete Rolle.

In der Hafenstadt Misrata halten die Rebellen nun schon mehr als zwei Monate den Angriffen der Gaddafi-Truppen stand. Die in den Medien so oft kolportierten "Mechaniker, Lehrer und Studenten, ohne jegliche militärische Ausbildung", wären dazu nicht in der Lage.

Das müssen kampferprobte Männer sein, die den Gaddafi-Truppen Paroli bieten. Und diese Sorte von kriegserfahrenen Freischärlern gibt es tatsächlich unter den Rebellen: Ein Reporter der US-Zeitschrift The New Yorker beobachtete einige "bärtige, religiöse Männer", die höchst diszipliniert in vorderster Linie kämpften.

Ein "enthusiastisch aussehender Mann" habe sich ihm gegenüber freimütig als Dschihadist und ehemaliger Irak-Veteran vorgestellt. Mit der Al-Qaida von Osama Bin Laden mögen diese Männer eher wenig zu tun haben, obwohl die libyschen Behörden das Gegenteil beteuern. "Al Qaida ist von Tag zu Tag mehr in den Krieg in Libyen involviert", erklärte Regierungssprecher Moussa Ibrahim mehrfach. "Wir haben erfahren, dass der bekannte Al Qaida Führer, Abdelhakim al-Hasadi, mit 25 Kämpfern in einem Boot nach Misrata gefahren ist."

Radikale Islamisten

Al-Hasadi, der als Sicherheitschef der Rebellenstadt Darnah gilt, kämpfte fünf Jahre lang in Afghanistan, bis er 2002 verhaftet wurde. Nach seiner Auslieferung an Libyen saß er sechs Jahre im Gefängnis. Er ist einer von vielen radikalen Islamisten, die in Libyen aus der Haft als "resozialisiert" entlassen wurden. Im März 2010 und Januar 2011 kamen die letzten inhaftierten Dschihadisten frei: 293 Mitglieder der Libyschen Islamischen Kampftruppe (LIFG).

"Der Großteil von ihnen stammt aus Bengasi", wie Heba Fatima Morayef von Human Rights Watch (HRW) in Kairo bestätigte. Die LIFG war 1995 von Afghanistanveteranen gegründet worden und hatte zum Ziel, das Regime Gaddafis zu stürzen. Seit 2001 stand die Organisation auf der Terrorliste der UNO. 2008 trat LIFG dem nordafrikanischem Terrornetzwerk Al-Qaida im Maghreb (AQIM) bei, deren aktivstes Mitglied die algerische "Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat" (GPSC) ist.

Nur ein Jahr nach dem Beitritt der LIFG starteten Verhandlungen mit den libyschen Sicherheitsbehörden - auf Initiative des Gaddafi-Sohns, Saif al-Islam und seiner Stiftung. 2009 gab die LIFG dann die Abspaltung von Al Qaida bekannt und nannte den Kampf gegen den libyschen Diktator überraschenderweise "unislamisch und falsch".

Dafür kamen die gefangenen Dschihadisten Schritt für Schritt frei. Ein weiterer bekannter Islamist auf Seiten der Rebellen war Abdul Monem Mouktar Mohammed. Ebenfalls ein alter Afghanistankämpfer, der unter dem Schutz der Taliban lebte und Osama Bin Laden traf. Mouktar Mohammed führte letzten Freitag einen Rebellen-Konvoi von 200 Wagen westlich der Stadt Ajdabiya an. Als sie in einen Hinterhalt der Gaddafi-Truppen gerieten, traf Mouktar Mohammed eine Kugel in die Brust, danach zerstörte eine Panzerabwehrakete das Auto.

Ein anderer bekannter Fall ist Abu Sufian Ibrahim Ahmed Hamuda bin Qumu. Laut geheimen Papieren der US-Regierung von 2005, die jetzt veröffentlicht wurden, war er ein Häftling im US-Hochsicherheitsgefängnis Guantanamo auf Kuba. Nach dem 11. September 2101 hatte man den als "mittleres bis hohes Risiko" eingestuften Islamisten in Pakistan verhaftet. Bin Qumu hatte in den 1990er Jahren in Afghanistan gekämpft und galt als ein Mitglied der LIFG.

Nach seiner Verhaftung wurde er an die libysche Regierung ausgeliefert, die den "Gefangenen als gefährlichen Mann, immer bereit zu Attentaten" bezeichnete, wie aus den US-Dokumenten hervorgeht. Damals arbeitete Washington mit dem Gaddafi-Regime im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus eng zusammen. Wie andere LIFG-Mitglieder wurde auch Bin Qumu 2007 von den libyschen Behörden auf freiem Fuß gesetzt.

Heute befehligt er in seiner im Osten Libyens gelegenen Heimatstadt Darnah eine zwielichtige Bande von Freischärlern, die als Darnah-Brigade bekannt ist. Nach Angaben der Rebellenarmee in Bengasi soll es mindestens 20 militante Islamisten geben, die Führungspositionen an der Front einnehmen. Zudem hunderte von Islamisten, die sich am Kampf gegen Gaddafi-Truppen beteiligten oder noch abwartend beiseite stünden.