Der Kitsch entdeckt die Probleme

Die Probleme in Groschenromanen waren bisher meist exotisch und überkandidelt, was sich langsam ändert - in einem Roman wagte der Cora-Verlag sogar den Sprung ins kalte Wasser

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Blick zurück (ohne Zorn)

In den 70ern waren die Handlungen der Liebesromane (auch Kitschromane genannt) noch einfach strukturiert, was die Rollenverteilung anging. Die meist in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene junge Frau verliebte sich in den zumindest stärker als sie begüterten Ehemann, es kam zu diversen Irrungen und Wirrungen und schließlich gab es ein glückliches Ende - meist eine Verlobung. Die Hochzeit wurde eher selten als Ende genutzt.

In den 80ern und 90ern veränderte sich die Konstellation zunehmend. Die Frauen waren nun nicht mehr ausnahmslos jung und unerfahren, sondern ca 22-25 Jahre alt, erfolgreich und natürlich bildhübsch. Da sie aber selbst einem Beruf nachgingen und insofern auch eigenes Geld hatten, von der Welt um sie herum etwas mitbekamen und auch eigenen Willen entwickelten, bedurfte es neuer Problemstellungen. Kurz gesagt: die Liebesromanbranche kam nicht umhin, die Emanzipation der Frau zu bedenken.

Von nun an tummelten sich Anwältinnen, Chefsekretärinnen, Models, reiche Erbinnen, die die Firma des Vaters übernahmen, erfolgreiche Schriftstellerinnen, Ärztinnen und dergleichen mehr in den Romanen. Nur stellte sich die Frage, wonach sich diese Frauen sehnen sollten, waren sie doch schlichtweg in einer günstigen Position für eine Partnerschaft und nicht darauf angewiesen, verzweifelt nach "dem Einen" zu suchen. Die Lösung lag in alten Jugendlieben, die unvergessen waren sowie in Bedrohungssituationen, aus denen der Retter in der Not heraushalf. Dabei agierten die Retter noch größtenteils als Kavalier, der selbstlos die "Dame in Not" rettete und dabei ihr Herz gewann.

Doch spätestens seit 2000 wich diese Konstellation dem "Macho nutzt Notlage aus"-Schema. Zynische, rachsüchtige, arrogante und sexbesessene Männer nutzen Notfallsituationen nicht nur aus, sie schufen sie auch oft genug erst. Die Familie, die hier als Fortführung der "Blutlinie" gesehen wurde, rückte in den Vordergrund, unehelich zur Welt gekommene Kinder waren Erpressungsgrund Nummer Eins in den Geschichten, in denen die superreichen und mächtigen Männer die Frau lediglich als Anhängsel des eigenen Nachwuchs duldeten und daher mit entführten, wenn die Frau nicht selbst auf Grund des Beschützerinstinktes freiwillig mitkam.

Mit dem "Twilight"-Boom kam auch die Keuschheit bis zur Ehe zu neuen Ehren, der wilde Schurke aus dem Orient feierte fröhliche Wiederauferstehung, Prinzen und Scheiche tummelten sich in den Geschichten, die zunehmend auch die Zwangsheirat als Grundlage hatten. "Hauptsache verheiratet" heißt denn auch eine Serie, die letztendlich davon lebt, dass zwei Menschen aus welchen Gründen auch immer heiraten, sich vornehmlich hassen und entsprechend behandeln, dann aber doch merken, dass sie sich lieben und natürlich glücklich werden. Bis zu diesem Glück ist es jedoch ein langer Weg, der aus verbalen, teilweise auch körperlichen Misshandlungen, Demütigungen, teils erzwungenem Sex und ähnlichem mehr besteht. Emotionale Krüppel waren die Protagonisten dieser Geschichten.

Probleme aus dem Märchenbuch

Die Probleme, die z.B. die Heirat erst notwendig machten, waren größtenteils wie aus dem Märchenbuch entnommen. Schwerkranke Mütter oder Schwestern, deren Betreuung oder Operation gezahlt werden mussten und andere hochdramatische Vorkommnisse mussten her um verständlich zu machen, warum die Frau sich einem egozentrischen und oft brutalen Macho auslieferte. Die umgekehrte Konstellation fand sich nirgends, denn sie hätte ja das Frauenbild, das den Geschichten zugrundeliegt, ad absurdum geführt.

Die Frau in den Liebesromanen ist nicht nur attraktiv und größtenteils jung, sie ist zudem auch loyal bis zur Selbstaufgabe, immer bereit sich für die Familie aufzuopfern, insbesondere für ihr Kind, und in ihrer (verborgenen) Liebe zu unendlicher Geduld fähig, was die negativen Seiten des Partners angeht. Zynisch betrachtet sind diese Romane von einer Glorifizierung der häuslichen Gewalt nicht mehr weit entfernt, wenn auch Vergewaltigung bzw. Zwang zum Sex genauso wie diverse Handgreiflichkeiten stets kitschig-verbrämt beschrieben werden.

Erst in den letzten Jahren finden sich in den Romanen auch selbstbewusste Frauen, die dem kategorischen "jetzt wird geheiratet" ein ebenso kategorisches "Nein" entgegensetzen und in einer fast schon ironischen Passage in "Sinnliche Erpressung aus Liebe" lässt der Autor die Protagonistin, die sich, um den von ihr verhassten Vater zu retten (sie versprach der todkranken Mutter, auf ihn aufzupassen), für zwei Wochen lang einem Mann als Geliebte ausliefert, die frauenfeindliche Situation zusammenfassen:

Bilde Dir bloß nichts ein! ... Es würde mir nicht im Traum einfallen, dich oder einen anderen zu heiraten! Ich bin nur wegen meines Vaters hier! Du und er, ihr seid aus dem gleichen Holz geschnitzt. Er hat mich buchstäblich angefleht, nett zu dir zu sein ... ein Mann, der seine eigene Tochter an seinen Chef verkupptelt. Und der zögert natürlich keine Sekunde, das eiskalt auszunutzen ...

Jaqueline Baird - Sinnliche Erpressung aus Liebe

Auch werden Probleme eingebunden, die vormals eher tabu waren. Homosexualität ist weiter eine Randerscheinung, doch in In den Armen des Fremden wird die Problematik der Legasthenie ins Zentrum der Geschichte gerückt, da Kitty Biedermann, die fast die Firma ihres Vaters in den Ruin getrieben hat, an eben dieser Legasthenie leidet, sich jedoch niemandem anzuvertrauen traut:

Erst auf dem College habe ich es langsam begriffen: Ich konnte nicht besser lesen als ein Erstklässler. Und ich würde niemals meinen Abschluss schaffen. Wie gesagt: Erst im College!

Emily McKay - In den Armen des Fremden

Noch überraschender war allerdings, dass sich in der Romana-Reihe der Cora-Verlag an ein Thema herantraute, das bisher eher ein gesellschaftliches und mediales No-Go ist: Häusliche Gewalt gegenüber Männern. Häusliche Gewalt wird ja zu 99% als Gewalt gegenüber Frauen und Kindern angesehen, aggressive, gewalttätige Frauen spielen in Berichterstattung und Fiktion kaum eine Rolle. "Randerscheinung, unwichtig" lautet die banale Erwiderung auf einen Satz wie "Es gibt auch Frauen, die zuschlagen.". Durch diese recht zynische Haltung wird das Thema auch weiter Randthema bleiben und insofern bleiben die Männer mit dem Problem doppelt allein gelassen da sie höchstens zum Amüsement taugen (Die Frau mit dem Nudelholz etc.).

In So heiß küsst nur ein Italiener ist es die unzufriedene und eifersüchtige Ehefrau Marcella, die ihrem Mann das Leben zur Hölle macht. Von verbaler Gewalt bis hin zur körperlichen Gewalt ist es nicht weit. Für ihren Mann, einen stolzen Italiener, ist dies doppelt grausam. Zum einen hat er Angst vor seiner eigenen Frau, zum anderen schämt er sich dafür, will nicht zurückschlagen und wird dadurch immer stärker zum Opfer. Die blauen Flecken, die er davonträgt, entschuldigt er schamhaft mit kleinen Unfällen mit dem Motorrad, von seiner großen Liebe wendet er sich ab weil er Angst hat, auch sie würde durch Marcella bedroht werden. Scham und Stolz werden somit, wie er am Schluss selbst zugibt, zu einer Mixtur, die es der Frau einfach macht, weiter gewalttätig zu sein:

Wenn irgendjemand wüsste, dass meine Frau mich misshandelt hat, würde ich meines Lebens nicht mehr froh. [...]Die Situation mit Marcella geriet immer mehr außer Kontrolle, ich fühlte mich hilflos und nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun. Außerdem hinderten mich ein Stolz und mein Schamgefühl daran, die Dinge klarer zu sehen, und ich wollte meine und ihre Familie nicht beunruhigen.

Jennie Adams - So heißt küsst nur ein Italiener

Es ist erstaunlich, dass gerade die eher sanfte Version der Cora-Romane, Romana, sich dieses Themas angenommen hat und man darf gespannt sein, welche Problematiken in der nächsten Zeit in die Geschichten einfließen werden.

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