Geothermie: Ohne neue Bohrungen geht es nicht

Für die Renaissance des Atomausstiegs könnte die Erdwärme einen wichtigen Beitrag leisten

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Die internationale Geothermiebranche versammelt sich in stürmischen Zeiten: Nach Fukushima soll die Energieversorgung beschleunigt auf die Erneuerbaren umgestellt werden. Die Erdwärme kann weltweit einen großen Beitrag leisten. In Deutschland (Comeback der erneuerbaren Wärme) könnte der beschleunigte Ausbau sogar den Bedarf neuer Trassen und Stromspeicher verringern. Zuvor müssten aber gesellschaftliche und technische Hürden überwunden werden.

Eigentlich ist das südbadische Freiburg die Stadt der Sonne. Doch diese Woche versammeln sich hier Forscher und Unternehmer, die tief im Untergrund Energie fördern wollen. Die Erdwärme soll ihr Schattendasein unter den erneuerbaren Energien beenden (Die Zukunft der Geothermie ist in der Diskussion). Die Zeiten dafür sind nicht schlecht, denn die Renaissance des Atomausstiegs erfordert, schnell zu klimafreundlicher Energietechnik zu wechseln.

Die Branche versucht sich selbst Mut zu machen auf dem internationalen Geothermiekongress, denn die vor ihr stehende Aufgabe ist immens: Die erneuerbaren Energien könnten bis 2050 rund 77 Prozent der globalen Primärenergie bereitstellen - das prognostiziert ein 900 Seiten starker Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). In Deutschland ließen sich immerhin fünf Prozent des Stroms aus geothermischen Kraftwerken erzeugen, sagte ein Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung schon 2003 voraus.

Das ist selbst aus der vorteilhaften Sicht Deutschlands viel, dem Musterland für die schnelle Einführung erneuerbarer Energien. "Seit 2006 wird die Geothermie von Wind- und Solarenergie abgehängt", analysiert Ladislaus Rybach das Dilemma. Der weißhaarige Schweizer ist eine Instanz in der Geothermieszene, der schon weltweit Erdwärmevorhaben betreute und heute zu den Direktoren der International Geothermal Association gehört.

Vereinfachte Darstellung es Prinzips einer Geothermieanlage nach dem Dublettenverfahren. Je nach Temperatur kann die Energie zur Stromerzeugung oder als Fern- bzw. Prozesswärme genutzt werden. Bild: BGR

Die enorme Dynamik beim Ausbau aller anderen regenerativen Energieträger wurde in Deutschland durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Gang gesetzt. Im Kern regelt es, mit welcher Vergütung jede eingespeiste Kilowattstunde Ökostrom bedacht wird - und wie schnell dieser Bonus über die Jahre bis hin zur Marktreife abnimmt.

Im gleichen Maß muss jede Energietechnik also billiger werden. Während Solar-, Bio- und landgebundene Windenergie diese gesetzlich verordnete Lernkurve beschreiten, machte die Geothermie kaum Fortschritte, nur wenige Anlagen gingen in den letzten Jahren ans Netz: viel zu wenig, um Kosten zu senken.

Proteste gegen Geothermie-Projekte

"Was es jetzt braucht, sind Lösungen", ruft deshalb Roland Wyss von der Schweizer Vereinigung für Geothermie mit energischer Stimme in den Saal. Denn bisher wurde überall viel zu wenig gebohrt. Das sei ein Fehler, denn die Geologie ist kompliziert. Wie genau die Gesteine in der Tiefe reagieren, ob sie heißes Wasser führen oder durchleiten können, lässt sich heute nur schwer vorhersagen. Zwar werde vor jeder Bohrung mit geophysikalischen Methoden exploriert. Doch nur wenn viel mehr gebohrt wird, können die Anlagen sicherer und günstiger werden. "Wir müssen dahin kommen, die Techniken vor Ort auszuprobieren", fordert Wyss. "Wir brauchen nicht mehr Forschung, sondern wir brauchen Projekte."

Forschungskraftwerk in Soultz-sous-Foret: Die Branche wünscht sich mehr Kraftwerke dieser Art, um den Untergrund besser verstehen zu können. Bild: Karl Urban, CC-BY-SA 3.0 DE

Diese Forderung stößt seit Jahren Widerstand. Nachdem 2006 in Basel die Erde bebte (Menschengemachtes Erdbeben bei Basel), sank das Ansehen der sauberen Geothermie. Damals entstanden Sachschäden in Millionenhöhe in der Stadt. Ein spürbares, doch deutlich schwächeres Beben erschütterte 2009 auch das pfälzische Landau. Danach formierten sich besonders in Rheinland-Pfalz Bürgerinitiativen gegen die Geothermie. Deshalb untersuchen derzeit Forscher, wie solche Erschütterungen zukünftig verhindert werden können. An den Forschungsprojekten GEISER und MAGS etwa beteiligen sich Forscher aus ganz Europa. Sie werden frühere Bohrungen aus, um festzustellen, unter welchen Bedingungen spürbare Beben auftreten konnten. Erste Ergebnisse erwartet Thomas Kohl vom Karlsruher Institut für Technologie Ende 2011.

Politik macht Druck

Für das Bundesumweltministerium gehört die Geothermie weiter zu den wichtigsten Energieträgern und sollte mit den anderen Erneuerbaren Schritt halten. Es plant, die Einspeisevergütung für geothermischen Strom auf 25 Cent pro Kilowattstunde anzuheben, die zweithöchste Förderung nach der Fotovoltaik. Doch weil kaum Anlagen am Netz sind, fällt ihr absoluter Beitrag dennoch kaum ins Gewicht. Im Gegenzug soll die Vergütung am 2018 um fünf Prozent pro Jahr abnehmen - statt einem Prozent ab 2010, wie bisher geplant. Zusätzliche Kredite aus dem Marktanreizprogramm sollen das Fündigkeitsrisiko der Bohrungen verringern.

Kommt die Erdwärmenutzung in den nächsten Jahren in Schwung, könnte das die Energiewende erleichtern. Denn eines der größten technischen Probleme ist der unstetig eingespeiste Strom aus Windrädern und Solaranlagen. Die Geothermie ist dagegen eine grundlastfähige Energie - sie steht wie Kohlekraftwerke 90 Prozent des Jahres zur Verfügung. Ladislaus Rybach immerhin möchte daran glauben: "Wir müssen nur sehen, wie dieser Schatz gehoben werden kann ohne negative Auswirkungen, um die Akzeptanz sicher zu stellen."