Wenn "Verrückte" in Europa regieren

Spätestens an Griechenland ist deutlich geworden, dass die Droh- und Strafpolitik krachend an die Wand fährt

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Heute wurde im deutschen Bundestag über die Nothilfe für Portugal und über weitere Milliarden debattiert, die Griechenland erhalten soll. Die Bundesregierung hielt die Nothilfe in Höhe von 78 Milliarden Euro für Portugal für "vertretbar und richtig". Über die genauen Auflagen, die dem Land gemacht werden sollen, schwieg man sich aber aus. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble beschwor, das Land strebe "ehrgeizige, aber machbare" Sparmaßnahmen an. Nach Einschätzung der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) könne die Tragfähigkeit der portugiesischen Staatsverschuldung durch das geplante strikte finanz- und wirtschaftspolitische Reformprogramm wiederhergestellt werden.

Anhaltspunkte für seine Einschätzung lieferte er nicht, dass mit dem geplanten Aderlass in Portugal nun eine wirkliche Stabilisierung in Europa auch nur eintreten könnte. Schließlich hat Schäuble in der gleichen Rede auch neue Hilfen für Griechenland in Aussicht gestellt, die er mit den Kollegen auf dem Geheimtreffen schon am Wochenende abgesprochen hat (Schnelle Umschuldung oder neue 25 Milliarden und spätere Umschuldung). Denn in Griechenland reichen die bisherigen 110 Milliarden Euro nicht aus und offenbar sind weitere 60 Milliarden Euro nötig, um die wohl unvermeidbare Umschuldung noch etwas hinauszuschieben. Dass das hoch verschuldete Land an einem Schuldenschnitt wirklich vorbeikommen wird, ist kaum zu vermuten, nachdem man es mit den drastischen Sparmaßnahmen immer tiefer in die Rezession getrieben hat.

Erneut hat Schäuble betont, dass das Geld "nicht ohne klare Konditionen" fließen werde, womit weitere absurde Sparzwänge gemeint sind. Dass die Sparpakete ungefähr so wirken, wie wenn man Benzin in ein Feuer gießt, hatten schon im vergangenen Jahr die Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman und Joseph Stiglitz dargelegt. Krugman wurde sogar drastisch und meinte, es seien "Verrückte an der Macht". Er hält es für eine "sehr große Dummheit", jetzt die Staatsausgaben herunterzufahren, weil die wirtschaftliche Lage noch zu labil sei, weshalb das Bremsen der Gesamtnachfrage mit den Sparplänen die Erholung belaste. "Es ist unglaublich, dass das passiert, obwohl die Arbeitslosigkeit in den Euroländern weiter zunimmt."

Dass in einem Land wie Griechenland, mit einer Verschuldung von inzwischen fast 150% im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung, etwas passieren musste, war klar. Denn ein Haushaltsdefizit von mehr als 15% (2009) ist nicht gesund. Doch warum wurden zum Beispiel nicht auch die hohen Rüstungsausgaben zurückgefahren, die zur ökonomischen Stabilisierung Griechenland nichts, aber zum Aufschwung in Deutschland viel beitragen. Mit immer neuen Sparplänen, da sind sich Top-Ökonomen weitgehend einig, werde das Land dagegen immer tiefer in der Misere geschickt.

Auf Crash-Kurs durch Sparmaßnahmen

So kritisieren in der Financial Times Deutschland (FTD) führende Wirtschaftswissenschaftler den Crash-Kurs, den vor allem Berlin vorgibt. "Bisher waren die Programme zu stark auf Austerität und zu wenig auf Wachstum ausgerichtet", erklärte Dani Rodrik, Starökonom an der Harvard University in Boston. Zunächst müsse wieder für Wachstum gesorgt werden. Ansonsten droht die gefährliche Spirale, dass Steuerausfälle und steigende Sozialleistungen bei hohen Zinslasten immer krassere Sparpakete nach sich zögen. Die machen aber immer weniger Sinn. So nimmt der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft schon das Wort "Depression" in den Mund: "Das Fazit der Zwischenkriegszeit ist, dass in einer Depression ein zu scharfer Konsolidierungskurs die Wirtschaft eines Landes zerstören kann." Auch Dennis Snower meint, dass die Sparauflagen die Wirtschaft in Griechenland erdrückten.

Es macht eben keinen Sinn, wenn neue Nothilfen mit immer neuen Sparzwängen verbunden werden, nur weil sich das in Deutschland populistisch gut verkaufen lässt, anstatt die dringend notwendige Entschuldung durchzuführen. Das könnte als Merkel-Crash in die Geschichtsbücher eingehen, wenn nicht schnell eine Kurskorrektur vorgenommen wird. Braucht es nach dem Super-Gau in Fukushima auch die befürchtete Kernschmelze an den Finanzmärkten, die sogar im IWF einige schon befürchten, bevor man in Berlin auch in der Finanzpolitik umzudenken beginnt?

Nach Griechenland nun auch die übliche IWF-Rosskur in Portugal anzuwenden, wird das Land ebenfalls tief in der Misere versenken. Man sollte das Land, bei dessen gezielten Abschuss man in Berlin, Paris und Brüssel tatenlos zugesehen hat (Mit dem Absturz Portugals drängt die Euro-Krise auf Tagesordnung des EU-Gipfels), nun nicht mit unbezahlbaren Zinsen von bis zu 6% abstrafen, sondern effektiv solidarisch handeln. Die sollen damit sogar noch höher ausfallen, als die für die Griechenland Nothilfe 1.0. Es wäre fatal diesen katastrophalen Kurs fortzusetzen, nur weil sich die schwarz-gelbe Koalition bei ihrem Schlingerkurs zur Nothilfe völlig verfahren hat, in dem sie auch schon auf üble Propaganda gesetzt hat. Ex-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) wurde gerade entlassen, der Griechenland einst sogar jede Nothilfe verweigern wollte und vor gut einem Jahr deutlich zur Verschlimmerung der Lage beigetragen hat.

"Es ist atemberaubend, wie wenig einige deutsche Politiker gelernt haben. Mittlerweile müsste eigentlich auch dem letzten Verfechter der Droh- und Strafpolitik klar sein, dass diese Strategie im Fall Griechenland krachend gescheitert ist", schreibt die FTD aber trotzdem heute in einem Leitartikel. Das Finanzblatt weist darauf hin, dass der Sparkurs dazu geführt hat, dass die Wirtschaft Griechenlands schon 2010 um 4,5% geschrumpft ist. Es brauche nun "Entschlossenheit der europäischen Partner", um die negative Spekulationsspirale an den Finanzmärkten zu durchbrechen, wozu eine "Demonstration der Stärke" angemahnt wird.

Im Teufelskreis

Dass man nun auch Portugal auf den griechischen Weg schicken will, ist dagegen die Fortführung des Rezepts für ein Desaster. Denn statt das Land seinen sinnvollen ausgewogenen Sparkurs fortführen zu lassen, der wenigstens noch ein geringes Wachstum garantiert hatte, ging Europa vor unsinnigen Einstufungen der Ratingagenturen in die Knie, anstatt die Agenturen in die Schranken zu weisen. So wurde auch Ländern wie eben Portugal ein drakonischer Sparkurs aufgezwungen, deren Verschuldung noch Ende 2009 unter dem EU-Durchschnitt lag. Das Ergebnis liegt auf der Hand, die Rezession hat nun auch dieses Land im Griff. Mit ihr steigt aber die Verschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sogar, wenn es gar kein Haushaltsdefizit gibt. Das ist angesichts der in die Höhe getriebenen Zinsen nun natürlich ohnehin völlig unmöglich.

Das Ergebnis des Crash-Kurses wird sein, dass sich die Lage in Portugal ebenfalls noch deutlich verschlimmern wird, deren Banken mit Kreditausfällen (auch wegen steigender Zinsen, Arbeitslosigkeit und Inflation) auf den irischen Absturzweg gehen, womit dann wieder neue Milliarden fließen müssen. Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet Gregor Gysi für die Linke im Bundestag auf den "Teufelskreis" hinwies, mit dem nach Griechenland nun auch Portugal versenkt werden soll. Als einzige Partei lehnte die Linke deshalb dieses unsolidarische "Rettungspaket" ab. Gysi verlangte nicht nur niedrige Zinsen für Griechenland, Irland und Portugal, sondern auch die immer noch ausstehende Regulierung der Finanzmärkte.

Auf dem Crash-Kurs von Merkel führt aber auch am Absturz Spanien kein Weg vorbei - und damit würde wohl der Euro als Projekt scheitern, denn dann würde es auch für Italien und Belgien eng (Ist die Euro-Krise plötzlich vorbei?). Das Land, dessen Verschuldung noch immer deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt, wird schon präventiv von den sozialdemokratischen Führern ruiniert. Die meinen nämlich, die Forderungen Brüssels und der Ratingagenturen schon präventiv übererfüllen zu müssen. Ökonomische Stagnation und fünf Millionen Arbeitslose (fast 21%) sind schon jetzt das fatale Ergebnis einer Politik, die es damit aber gerade geschafft hat, das Defizit um 0,9 Prozentpunkte auf 9,2% zu senken.

Überzeugend ist das nicht. Die Daten machen klar, was passiert, wenn das Land wirklich versucht, sein Defizit auf diesem Weg massiv zu verringern. Schon jetzt wird einer ganzen Generation die Zukunft geraubt, denn schon fast 50% der jungen Menschen sind ohne Job. Hunderttausende verlieren neben ihrem Job auch noch ihre Wohnung und sind auf Schwarzarbeit, Betteln oder Diebstahl angewiesen. Das wird ebenfalls fatale Auswirkungen für das Land für viele Jahre zeitigen.