Spitzel aller Länder

Polizeien zahlreicher Länder organisieren ihren Austausch verdeckter Ermittler bereits seit 2001. Deutschland hat grundlegende informelle Strukturen mitgestaltet

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Nachdem die Bundesregierung vor wenigen Wochen mit der nichtssagenden Antwort auf eine parlamentarischen Initiative zum "Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler sowie Vertrauenspersonen im innerstaatlichen, europäischen bzw. internationalen Kontext" aufwartete, kommt jetzt immerhin etwas Licht in die immer noch nebulöse grenzüberschreitende Spitzelzusammenarbeit: In ihrer gut zwei Monate dauernden Bearbeitung der Anfrage "Internationaler Austausch verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler und Vertrauenspersonen" wird erläutert, wie sich Polizeien der EU-Mitgliedsstaaten grenzüberschreitend zur gemeinsamen Spitzelei verabreden.

Der britische Polizeispitzel Mark Kennedy 2005 in Island

Die innerhalb der EU weit fortgeschrittene grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit basiert bislang unter anderem auf dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EU-Rh-Übk), das der EU-Ministerrat vor zehn Jahren angenommen hatte.

Ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA über die Rechtshilfe in Strafsachen enthält ebenfalls eine entsprechende, allgemeine Formulierung. Trotzdem bleiben zahlreiche Regelungen offen. Deshalb startete die deutsche EU-Präsidentschaft 2007 eine Initiative, um "rechtliche und tatsächliche Probleme" des internationalen Spitzeltauschs aus dem Weg zu räumen. Anvisiert waren nach einer Problemanalyse EU-weite gesetzgeberische Maßnahmen. Den Auftrag zur Ausarbeitung einer Entschließung des Rates hatte die frühere "Multidisziplinäre Gruppe Organisierte Kriminalität" erhalten, die jetzt in der "Arbeitsgruppe Allgemeine Angelegenheiten und Evaluationen" aufgegangen ist.

Bis jetzt ist allerdings keine Bewegung in die legislative Ausgestaltung der Spitzel-Zusammenarbeit gekommen (Mit falschen Papieren gegen "Euro-Anarchisten"). Nun wird offenkundig, dass die Zusammenarbeit hinter den Kulissen schon sehr viel länger praktiziert wird.

Zusammenarbeit auch mit Russland, Türkei und der Ukraine

Zuständig für die internationale Verständigung über "Einsatz und Austausch von verdeckten Ermittlern" ist die "European Cooperation Group on Undercover Activities" (ECG), an der von deutscher Seite als "zentrale Dienststellen für verdeckte Ermittler" das Bundeskriminalamt (BKA) und das Zollkriminalamt mitarbeiten. Ihr Ziel ist eine "Professionalisierung und Koordinierung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern". Als "Hauptthemenfelder" gelten die Bekämpfung "organisierter" und "politisch motivierter" Kriminalität.

Die ECG existiert laut Bundesregierung seit 2001, ihr Tagungsrhythmus ist einmal jährlich, Treffen werden jeweils in einem anderen ECG-Mitgliedstaat abgehalten. Ihr gehören fast alle EU-Länder an, angeblich mit Ausnahme von Griechenland, Irland, Luxemburg, Malta und Zypern. Internationale Organisationen wie Interpol oder Europol seien wie "privatrechtliche Organisationen" nicht beteiligt.

Doch die informelle Arbeitsgruppe ist längst nicht auf die EU beschränkt: Als weitere Mitglieder sind Albanien, Kroatien, Mazedonien, Norwegen, Russland, Schweiz, Serbien, Türkei und die Ukraine repräsentiert. Dabei ist die ECG laut Bundesregierung "bei keiner nationalen oder zwischenstaatlichen Institution/Behörde angegliedert" und somit der Europäischen Union nicht rechenschaftspflichtig. Sie kann also auch nicht vom EU-Parlament, sondern höchstens durch Parlamente der Mitgliedsstaaten kontrolliert werden. Bis zum Herbst letzten Jahres war ihre Existenz den Suchmaschine und damit vermutlich auch den Parlamentariern unbekannt.

Die "European Cooperation Group on Undercover Activities" trat erstmals in Polen zusammen, schon damals angelegt als informelle "Ost- und Westeuropa übergreifende Zusammenkunft". Ein Folgetreffen 2002 in Belgien verstetigte die Arbeitsgruppe. Weitere Treffen fanden in Tschechien (2003), Kroatien (2004), Ungarn ("2005), Deutschland (2006), Litauen (2007), Türkei (2008), Niederlande (2009) und Russland (2010) statt. Die Treffen dienen der "Darstellung der aktuellen nationalen Situation", auf der Tagesordnung stehen das "Aufzeigen rechtlicher, struktureller und organisatorischer Entwicklungen" und "Informationen zu Ausbildungsmaßnahmen".

Laut Bundesregierung steht angeblich keine "Koordinierung oder Verabredung grenzüberschreitender Einsätze" auf der Agenda. Das klingt verharmlosend, zumal es aus Berlin heißt, dass die "Erörterung der internationalen Zusammenarbeit" auch anhand von "Fallbeispielen" vorgenommen würde. Die innerhalb der Arbeitsgruppe entstehenden Kontakte dürften zudem für die jeweilige bi- oder multilaterale Verabredung zukünftiger Einsätze grundlegend sein.

Um das Zusammenspiel zwischen entsendendem und empfangendem Staat besser zu synchronisieren, hatte die ECG 2003 eine Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung einer rechtskräftigen Modell-Vereinbarung beauftragt. Einzelheiten wie die Erinnerung, dass ausländische Polizisten keine Straftaten begehen dürfen, werden jetzt in einem standardisierten, für den jeweiligen Einsatz bilateral abgeschlossenen "Memorandum of Understanding" (MoU) geregelt. Dieses "Papier zur "Festlegung gemeinsam erarbeiteter Grundsätze für die internationale Zusammenarbeit" wurde der ECG 2004 von Polizisten aus Deutschland, Großbritannien, Dänemark, Belgien, Rumänien und Finnland vorgelegt. Erörtert wird im MoU auch, wie eine Maßnahme im Falle ihres Auffliegens gegenüber der Öffentlichkeit gerechtfertigt werden soll oder ob Missionen von "Agents Provocateur" möglich sind.

Zuvor hatte die Bundesregierung bereits die Existenz einer "Cross-Border Surveillance Working Group" (CSW) bestätigt, an der auch Europol beteiligt ist. Ihre Tätigkeit bleibt indes in Dunkeln: In der Antwort auf eine frühere Anfrage zum grenzüberschreitenden Ausforschen privater Rechnersysteme wurde beschwichtigt, dass in der zweimal jährlich tagenden CSW "Fachvorträge zur grenzüberschreitenden Observation" gehalten werden, um eine "Optimierung von Arbeitsabläufen" zu erzielen. Neben den "operativen und taktischen Möglichkeiten" würden die "rechtlichen Rahmenbedingungen" verschiedener Länder vorgestellt.

Europol hingegen erläutert zur CSW, ihr Zweck sei die Entwicklung "sicherer und effektiver Überwachungstechniken". Dies wird jetzt auch von der Bundesregierung wiederholt und erklärt, es handele sich um eine "Plattform für Diskussionen".