Timothy Geithner als Retter von Irlands Gläubigern

Während einer Telefonkonferenz im letzten November hätte der US-Finanzminister einen "Haircut" von zwei Dritteln auf nachrangige Anleihen verhindert und damit den Banken geholfen

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Morgan Kelly, ein irische Wirtschaftshistoriker, der durch seine zutreffenden Voraussagen der irischen Immobilien- und Finanzkrise in Irland mittlerweile fast als "Seher" gilt, berichtet in einem seiner seltenen Kommentare von einer hochkarätigen Telefonkonferenz, die vergangenen November stattgefunden haben soll. Thema war die Schuldenregulierung und beteiligt waren demnach die G7-Finanzminister sowie Vertreter von EZB, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF).

Kelly zufolge soll der IWF unterstützt vom britischen Regierungschef George Osborne dabei vorgeschlagen haben, die Halter von rund 30 Milliarden Euro an nachrangigen Bank-Anleihen durch einen "Haircut" von im Schnitt zwei Drittel an den Verlusten zu beteiligen. Den Plan verhindert habe ein Einspruch von US-Finanzminster Geithner, der schon durch die Zahlung von 13 Milliarden Dollar des verstaatlichten US-Versicherungsgiganten AIG an Goldman Sachs bewiesen habe, dass er die Banken gegenüber den Steuerzahlern klar bevorzugt.

Laut dem irischen Inepenent hat das US-Finanzministerium diese Aussage inzwischen zwar als "inakkurat" bezeichnet, das Dementi kam allerdings einer Bestätigung sehr nahe. So erklärte der Sprecher, dass auch die EZB und die Europäische Kommission den Anleihezeichner der Irischen Banken keinen Abzug aufbürden wollten, und ja diese in der Angelegenheit das Sagen gehabt hätten, nicht die USA, die nur als Beobachter dabei gewesen seien.

Kelly zufolge sei es ursprünglich auch Irlands Strategie gewesen, den "Bail-out" so lange aufzuschieben bis auch Portugal bzw. Spanien unter ihren Schulden zusammenkrachen, um bessere Konditionen herauszuschinden. Denn während es sich bei diesen um ein Problem der Staatsbudgets, bei Irland jedoch um ein Problem der Banken handelte, sollte so vermieden werden, die Bankschulden vollständig den irischen Steuerzahlern umzuhängen. Als die europäischen Finanzminister ihren irischen Kollegen Brian Lenihan also dazu drängten, das Bailout anzunehmen, um die Panik nicht auf Portugal und Spanien übergreifen zu lassen, hatte der anfangs bekanntlich mit der Begründung abgelehnt, Irland sei bis nächsten Sommer ausfinanziert und benötige vorläufig ohnehin keine weiteren Kredite. Nur wenn der Bailout auf Kosten der Bankgläubiger ginge, wie es dem Plan des IWF entsprach, würde Irland einem Bailout zustimmen.

Dem stellte sich jedoch die EZB entgegen, die sich Sorgen um die Stabilität des europäischen Bankensystems machte und zudem selbst über hohe Bestände an irischen Anleihen verfügte. Daraufhin sei laut Kelly der irische Notenbankchef Patrick Honohan dem Regierungschef in den Rücken gefallen, der laut Kelly in seiner Funktion als EZB-Ratsmitglied voll die Interessen der internationalen Gläubiger vertreten hatte und nun öffentlich von einem gewaltigen Finanzbedarf Irlands sprach. Als nun auch Geithner, der als US-Finanzminister den größten Kapitalanteil am IWF vertritt, gegen die Haircuts auftrat, hätte der IWF nicht mehr gewagt, für einen solchen einzutreten. Wenige Tage später wurde also ein "Rettungspaket" finalisiert, von dem einige Verhandlungsteilnehmer laut Kelly damals schon privat zugaben, dass eine Pleite Irlands dadurch kaum vermieden werde. "Es ist, als würde die Bank of England verlangen, die Stadt Newcastle würde für die Schulden von Northern Rock geradestehen", meint Kelly.

Der Bailout hätte in seiner Brutalität zudem alleine den Sinn gehabt, große Länder wie Spanien davon abzuschrecken, einen EU/IWF-Bailout anzustreben. Denn selbst wenn die Rettungsaktion plangemäß verlaufe, würden die direkten Schulden Irlands 2014 den Betrag von 190 Milliarden Euro überschreiten, dazu kommen noch 45 Milliarden der Bankenholding und weitere 35 Mrd. Euro für die Bankenrekapitalisierung sowie alle Verluste, die die Irische Nationalbank auf ihre Notfallhilfen noch einfahren sollte. Kelly rechnet insgesamt mit mindestens 250 Mrd. Euro, also mehr als 120.000 Euro pro Arbeitnehmer oder 60 Prozent mehr als das irische Sozialprodukt.

Die EZB applaudierte dennoch und lieh Irland genug Geld, um sicher zu stellen, dass die Banken, die die Irischen Banken finanziert hatten, ihre Kredite wiedersahen. Nun befinde sich die EZB jedoch in der Situation, dass die Banken, die an Irland Geld verliehen hatten, dennoch das meiste davon verlieren werden, wodurch das irische Bankenproblem ein Teil der europäischen Staatsschuldenkrise werde. Denn Kelly zufolge sei der wahrscheinlichste Ausgang, dass den deutschen und französischen Banken nun etwa zwei Jahre Zeit gegeben werde, um entsprechende Reserven aufzubauen, die insolventen Staaten dann aber doch in einen Staatsbankrott gezwungen werden.

Während ein Staatsbankrott für Länder wie Griechenland aber fast der Normalzustand sei – tatsächlich war Griechenland während 50 der vergangenen 200 Jahre insolvent -, lebte Irland lange von seiner Reputation, ein sicherer Ort für Geschäfte zu sein, weshalb eine Staatspleite katastrophale Folgen haben würde. Um die irischen Staatsschulden mit einer Pleite auf ein nachhaltig stabiles Niveau zu senken, müssten die Gläubiger noch dazu mehr oder weniger leer ausgehen. Nur liegen die irischen Staatsschulden inzwischen vor allem bei irischen Banken und Versicherungen, so dass die Schulden zuerst von den Banken zum Staat, dann aber wieder zurück zu den Banken wandern würden. Diese könnten die Verluste aber keinesfalls alleine verkraften, so dass Irland zu einer Art von Protektorat der EU unter Kontrolle der EZB würde, laut Kelly also so etwas wie "die Antwort Europas auf Porto Rico".

Dem könne Irland nur entgehen wenn es sich vom ursprünglichen Rettungsplan verabschiede, wozu es sich von den Banken trennen und sofort das eigene Budget ausbalancieren müsste. Das sei möglich, weil die irischen Banken die krisenbedingten Kapitalabflüsse bislang stets durch Finanzierungen durch die Irische Nationalbank und die EZB ersetzt hatten und der EZB inzwischen rund 160 Mrd. Euro schulden. Laut dem ursprünglichen Plan sollten diese Schulden durch den Abverkauf der bestehenden Kreditportfolios getilgt werden, allerdings erwiesen sich diese Kredite als unverkäuflich, weshalb die EZB nun die "grundsätzliche ökonomische Wahrheit" kennenlernen werde: "Wer 160 Mrd. Euro an insolvente Banken verleiht, die von einem insolventen Staat garantiert werden, wird bald nicht mehr der Kreditgeber, sondern der Eigentümer der Banken sein."

Verabschiedet sich Irland aber von den eigenen Banken, könnte der Schuldenstand sofort auf erträgliche rund 110 Mrd. Euro reduziert werden, wobei die EZB fast nichts dagegen unternehmen könne, ohne eine katastrophale Panik an den europäischen Finanzmärkten auszulösen. Allerdings könnte die EU daraufhin die Finanzierung Irlands einstellen, weshalb das Staatsbudget sofort ausgeglichen werden müsse, wofür Kelly auch für ihn selbst unangenehme Schritte empfiehlt, denn es mache "keinen Sinn, Schulden zu machen um älteren öffentlichen Bediensteten wie mir doppelt so viel Gehalt zu zahlen, wie unsere europäischen Partner. Nur wenn die Neuverschuldung der Regierung auf Null zurückgesetzt wird, könnte Irland sich der Macht der Kredithaie entziehen". Demgegenüber bestehe die aktuelle Position der Regierung darin, mit einer Schüssel in der Hand am Boden zu liegen und um EU-Spenden zu betteln.