5 Gialli von Sergio Martino - Teil 2

Dein Laster ist das Blut auf dem nackten Busen von Edwige Fenech, und viele Leichen gibt es auch

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Teil 1: Von der Säge des Teufels zur Schere der Zensoren

Im vergangenen Jahrzehnt hat der Giallo eine Neubewertung erfahren - nicht so sehr bei uns, wo der Jugendschutz die Schmuddelkinder von gestern noch heute in der Porno- und Gewaltverherrlichungsecke gefangen hält und damit auch die Diskussion abtötet, aber doch in anderen Ländern. Viel dazu beigetragen hat Quentin Tarantino, der ein Schlaglicht auf das unterschätzte und lange vernachlässigte Genre wirft, indem er Giallo-Zitate in seine Filme einbaut und auch die Quellen nennt, statt zu klauen. 2004 würdigten die Filmfestspiele von Venedig den Giallo mit einer eigenen Reihe. Peter Bondanella, Autor mehrerer Standardwerke zum italienischen Kino, widmet dem Genre in seiner 2009 erschienenen History of Italian Cinema eines von 17 Kapiteln ("Mystery, Gore, and Mayhem"). Beides wäre wenige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen. Früher oder später wird man auch im Land der Dichter und Denker begreifen, dass der Giallo eine künstlerische Ausdrucksform ist und keine ansteckende Krankheit, die man unter Quarantäne halten muss. Besagte Dichter und Denker - Schiller, Kleist und Goethe - hätten das übrigens sofort gemerkt.

Gelb für Sex & Crime

Für Italiener ist giallo (gelb) ein anderes Wort für Thriller. Schuld daran ist der Verlag Mondadori, der in den späten 1920ern Liebesromane in blauen Umschlägen veröffentlichte. Als Mondadori 1929 eine Krimireihe startete, sollte auch sie sofort an der Farbe zu erkennen sein. Für das Gelb entschied man sich vielleicht wegen der "Yellowbacks", die Routledge seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Großbritannien druckte und die als Reiselektüre auch auf dem europäischen Kontinent weit verbreitet waren: (vermeintlich) leicht verdauliche Unterhaltungsliteratur, meistens - aber nicht immer - gelb eingebunden, damit der Kunde in der Bahnhofsbuchhandlung gleich wusste, nach was er greifen musste, um einen Kriminal- oder einen Sensationsroman zu erhalten. Auf dem Umschlag gab es eine verheißungsvolle Illustration, gern mit einer Frau in Not, die zum Kauf anregen sollte.

Auch andere britische Verlage verwendeten bei ihren Krimis das Gelb als Signalfarbe. Hodder & Stoughton vertrieben die Kriminalromane von Edgar Wallace als "Yellow Jackets". Die sehr lesenswerten Psychothriller von John Bingham (väterlicher Freund von John le Carré in gemeinsamen Tagen beim Geheimdienst) wurden in den 1950ern und 1960ern von Victor Gollancz verlegt, der sich schmeichelte, ein hochklassigeres Sortiment zu führen als Hodder. Während also die Wallace-Thriller in gelben Umschlägen erschienen, mit einer Illustration und einem roten Kreis (das ging auf den Roman The Crimson Circle zurück), hatten Binghams Bücher einen roten Einband und einen gelben Schutzumschlag - allerdings ohne Illustrationen, weil Gollancz ein angesehenes Verlagshaus leiten wollte.

Da sensationell aufgemachte Bilder (und Bilder überhaupt) in einer Schriftkultur wie der unseren eher das Gegenteil suggerierten, gab es an ihrer Stelle viel Text. An den Vorurteilen dem Bild gegenüber hat sich bis heute erstaunlich wenig geändert, auch wenn sie nicht mehr so offen formuliert werden wie früher. Man kann das zum Beispiel daran erkennen, mit welcher Selbstverständlichkeit im öffentlichen Diskurs davon ausgegangen wird, dass visuelle Medien eine potentiell schädlichere Wirkung auf den Konsumenten haben als das Buch, obwohl das wissenschaftlich nie nachgewiesen wurde (man steht immer nur kurz davor, es nachweisen zu können, und das mindestens, seit es das Kino gibt).

Die Gialli von Mondadori hatten (und haben) eine Illustration auf dem Umschlag wie früher die Yellowbacks von Routledge. In der Reihe erschienen Krimis aus der amerikanischen Tough-Guy-Schule, von Dashiell Hammett oder James M. Cain, genauso wie die Whodunits von Agatha Christie und Dorothy Sayers’ Romane mit Lord Peter Wimsey. Der am häufigsten gedruckte Autor war Edgar Wallace. Vermutlich, weil die Reihe so populär war, verzichteten Mussolinis Faschisten darauf, sie zu verbieten. Andererseits ließen sie keine Gelegenheit aus, vor dem Verfall der Sitten durch die Lektüre der Gialli zu warnen. Hier sollte man kurz Luft holen und das einwirken lassen: Die Repräsentanten eines diktatorischen sowie durch und durch korrupten Unrechtsregimes empörten sich über Kriminalromane, weil deren Einfluss angeblich zur Verrohung der Leserschaft und zu verbrecherischem Verhalten führte.

Die Film-Gialli im engeren Sinne sind primär ein Phänomen der 1960er und 1970er. Sie sind eine Mischung aus Thriller, Whodunit und Horrorfilm, mit viel Gewalt, oft (aber keineswegs ausschließlich) gegen spärlich bekleidete junge Frauen, mit zumeist unfähigen Polizisten, vielen falschen Fährten und mit Mördern mit Maske, Hut und schwarzen Handschuhen. Der Einfluss von Edgar Wallace auf den Giallo ist beträchtlich - der Romane und der Mondadori-Titelbilder ebenso wie der deutschen Filmreihe der Rialto. Die besten Wallace-Bücher erzählen wüste Geschichten, sind Eskapismus mit viel Sex & Crime und vermitteln doch, gerade durch die Überzeichnung, einen genaueren Eindruck von den gesellschaftlichen Verhältnissen als vieles aus der Hochkultur. In The Avenger etwa schickt ein selbst ernannter Rächer die Köpfe seiner Opfer in einer Schachtel an die Polizei, einer von den Verdächtigen hält sich als Diener einen Orang-Utan, der die Heldin entführen will, und zwischendurch wird noch ein Film gedreht. Wenn man bedenkt, was im 20. Jahrhundert alles passiert ist, wirkt das gar nicht mehr so übertrieben.

Solche Romane haben nicht nur Bert Brecht fasziniert, einen begeisterten Wallace-Leser. Wenn Brecht über den Faschismus schrieb, machte er gern Anleihen bei Wallace und Kollegen. Und wer den Ur-Giallo finden möchte, könnte es mit Luchino Viscontis Ossessione (Besessenheit, 1943) und Michelangelo Antonionis Cronaca di un amore (Chronik einer Liebe, 1950) versuchen. Das ist bemerkenswert. Zwei der bedeutendsten italienischen Regisseure setzen sich in ihrem jeweils ersten Spielfilm auf indirekte Weise mit dem Faschismus in ihrer Heimat auseinander, und sie tun es in Form von Kriminalgeschichten mit Giallo-Elementen. Damit will ich einen Regisseur wie Sergio Martino nicht auf eine Stufe mit Antonioni und Visconti stellen. Aber wenn diese Erstlingswerke in herkömmlichen Filmgeschichten als frühe, zu vernachlässigende Schritte auf dem Weg zur Kunst abgetan werden oder - umgekehrt - der Krimi nur erwähnt wird, weil Visconti und Antonioni zu Beginn ihrer Karriere einen gedreht haben, ist das zu einfach.

Blut und Busen

Fangen wir mit einer typischen Martino-Szene an. Eine italienische Gebirgslandschaft. Eine junge Frau und ihr Liebhaber rasen auf einem Motorrad eine kurvenreiche Serpentinenstraße entlang, und natürlich ohne Helm, um das Leben in vollen Zügen zu genießen. Das könnte ein Werbefilm der italienischen Tourismusindustrie sein, wenn am Straßenrand nicht diese alten Ölfässer liegen würden, die ein Umweltsünder da abgeladen hat. Auch die Spannungsmusik von Bruno Nicolai vermittelt einem das ungute Gefühl, dass es hier nicht um la dolce vita geht. Zwischen den Bildern von der Motorradfahrt sehen wir, in kurzen Zwischenschnitten, Hände, die einen - diesmal neuen und gut gefüllten - Ölbehälter öffnen sowie ein großes Reklameschild, erst als Detail und dann im Ganzen.

Il tuo vizio è una stanza chiusa e solo io ne ho la chiave

Das Plakat ist eines von der Art, wie sie in den 1970ern für viel Empörung sorgten: bei Feministinnen, die sich über den Sexismus in die Frau zum Sexualobjekt machenden Werbebildern erregten; bei der katholischen Kirche, die den Untergang des christlichen Abendlandes befürchtete; und bei den Experten für Verkehrssicherheit, die vor einer erhöhten Unfallgefahr warnten. Mit dem Plakat wird für einen Büstenhalter geworben. Zu sehen ist eine junge Frau in Unterwäsche, die eine eindeutig-zweideutige Haltung einnimmt. Und weil es sich um einen BH des Herzens handelt ("il reggiseno del cuore"), hat die junge Frau ein solches in der Hand als wäre es ein Eis am Stiel. Der Photograph hat sie in einem Moment festgehalten, in dem sie gerade dabei ist, an diesem Herzen zu lecken. Man braucht nur wenig Phantasie, um sich vorzustellen, was damit gemeint ist.

Il tuo vizio è una stanza chiusa e solo io ne ho la chiave

Zum "regisseno del cuore" gesellt sich das Wort "Lovable", und das so groß, als solle das Italienische durch das Englische erdrückt werden. Der Schriftzug am unteren Bildrand verweist auf ein grundlegendes Thema des Giallo, der ein Produkt des wirtschaftlichen Aufschwungs in Italien und des damit verbundenen Wandels der Gesellschaft war und dessen Geschichten im Spannungsfeld zwischen einem Festhalten an überkommenen Traditionen und einer Öffnung gegenüber der Moderne angesiedelt sind. Mitte der 1950er begann ein starker Industrialisierungsschub, Italien wurde urbaner, zog vermehrt Touristen an, mit Rom als einem Treffpunkt des Jet Set, war durch wirtschaftliche Verflechtungen und das Fallen von Handelsschranken internationalen Einflüssen ausgesetzt wie selten zuvor.

Zum Sinnbild der Internationalisierung und der damit verbundenen neuen Freizügigkeit in einem zutiefst katholischen Land wurde Anita Ekberg, die in Fellinis La dolce vita, als Angehörige einer internationalen Glamourwelt, ein nächtliches Bad in der Fontana di Trevi nahm und so zum Sexsymbol aufstieg. Schon bei Fellini ist das süße Leben in der zunehmend enthemmten Konsumgesellschaft nicht ohne dunkle Seiten, und im Giallo werden die Schatten deutlich länger. In La ragazza che sapeva troppo (Das Mädchen, das zuviel wusste, 1962), mit dem Mario Bava das Genre begründete, fliegt eine amerikanische Touristin nach Rom (Szenen an Flughäfen oder Bahnhöfen sind fester Bestandteil dieser Filme), bald danach geschieht bei einer der Hauptattraktionen der Stadt, auf der Spanischen Treppe, ein erster Mord, und im Verlauf der Handlung stellt sich das ungute Gefühl ein, dass einige von den Figuren noch leben könnten, wenn die amerikanische Touristin nie in die Ewige Stadt gekommen wäre.

Die neuen Entwicklungen, die Internationalisierung und der gesellschaftliche Wandel, weckten Ängste, denen sich der Giallo oft schneller und direkter stellte als der besser beleumundete Teil der italienischen Filmproduktion (ob auf reaktionäre Weise oder nicht, ist von Fall zu Fall verschieden). Nicht immer muss das so spektakulär sein wie in Bavas La ragazza. Eine halbe Filmstunde, bevor das Paar auf dem Motorrad auf die halbnackte Frau in der BH-Reklame zufährt (auch das ein Sinnbild der neuen Zeit), sitzt der Inspektor mit einem Verdächtigen vor einem Café. Die Vereinigung Europas, meint der Polizist, sei doch eine angenehme Sache. Ihr habe man es zu verdanken, dass man hier auf einer norditalienischen Piazza sitzen und dabei Bier aus Deutschland und schottischen Whiskey trinken könne. Ganz egal, woher das (ausländische) Zeug komme, erwidert sein mürrischer Gesprächspartner, es sei alles dasselbe Gift. Nicht jeder im Giallo ist ein Freund der EU und ihrer Einflüsse auf das Leben in Italien, und manch einer greift zu drastischen Gegenmaßnahmen.

Il tuo vizio è una stanza chiusa e solo io ne ho la chiave

Das Reklameschild mit der halbnackten Frau steht genau da, wo es nicht sein sollte: in einer Kurve, in der sich der Fahrer des Motorrads, das diese Stelle nun bald erreichen wird, ganz auf den Straßenverlauf konzentrieren sollte. Kurz vor der BH-Werbung schüttet der Mann mit dem Kanister Öl auf die Straße, das Rinnsale bildet und sich verästelt wie die Adern in den Körpern der beiden, die auf ihrem Motorrad angefahren kommen. Das entspricht der klassischen Suspense-Situation, wie Alfred Hitchcock sie definiert hat: Ein Mann sitzt an einem Tisch, unter dem eine Bombe tickt, aber das weiß nur das Publikum, das dem Mann zurufen möchte, er solle aus dem Zimmer rennen.

Il tuo vizio è una stanza chiusa e solo io ne ho la chiave

Als Meister der Filmkunst wird gefeiert, wer die Spannungssituation positiv auflöst und den Mann mit heiler Haut entkommen lässt. Tut man es nicht, wird man gnadenlos verrissen. Hitchcock musste das erfahren, als er in Sabotage einen Omnibus in die Luft sprengte, in dem ein Junge und sein Hund saßen (den überlieferten Reaktionen nach sorgte der fiktionale Tod des Hundes in einem Spielzeugbus für die größte Empörung). Der Giallo tut genau das: Die Charaktere werden in eine solche Suspense-Situation verwickelt, und in der Regel werden sie am Ende umgebracht. Die Frage ist nicht, ob und wie die Figuren der Gefahr entrinnen, sondern wie sie sterben werden. Viele Freunde bei Jugendschützern, Zensoren und der etablierten Filmkritik macht man sich mit so etwas nicht.

Il tuo vizio è una stanza chiusa e solo io ne ho la chiave

Der Film mit der BH-Reklame, der in Deutschland unter dem dämlichen (und ganz falschen) Titel Die nymphomane Killerin verliehen wurde, nimmt Details sehr wichtig. Darum lohnt es sich, auf sie zu achten. An den Büstenhalter des Herzens (Schriftzug) ist ein solches angehängt, zusätzlich zu dem Größeren zum Lecken. Als das Paar auf dem Motorrad nah genug herangekommen ist, um auch das kleinere der beiden Herzen zu erkennen, gerät es auf die Ölspur, rutscht aus und stürzt. Gegen das Herz auf dem Plakat klatscht etwas Blut, das über die Reklamefläche nach unten läuft. Es stammt von der Frau auf dem Sozius des Motorrads, die jetzt tot auf der Straße liegt. Aus ihrem Mundwinkel rinnt Blut, das über die Haut der Leiche läuft wie über das Herz auf dem Plakat. Der Mord als eine schöne Kunst und als ästhetisches Erlebnis. In einem filmwissenschaftlichen Seminar könnte man über diese Szene problemlos zwei Stunden diskutieren, und hinterher wäre man klüger als zuvor. So einem Giallo, der angeblich nur die niederen Instinkte eines verrohten Publikums anspricht, hätte man das gar nicht zugetraut.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.