Kaukasischer Aussitzer

Erneut versucht die georgische Opposition mit Großdemonstrationen Präsident Michail Saakaschwili aus dem Sattel zu werfen. Die Polizei reagierte mit Tränengas, Gummigeschossen und Festnahmen

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"Misha must leave", "This is not my president". Medienwirksam, mit Plakaten in englischer und georgischer Sprache demonstrierten am Wochenende 6.000 Menschen in der georgischen Hauptstadt Tiflis gegen den Präsidenten Michail Saakaschwili.

Bei einer Kundgebung vor dem Fernsehzentrum von Tiflis kam es am Sonntag dann zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten. In der Hafenstadt Batumi war am Sonnabend bereits eine Demonstration gegen Saakaschwili von der Polizei aufgelöst worden. In der Nacht auf Sonntag stürmte die Polizei das Büro der oppositionellen "Volksversammlung" in der Hafenstadt und verhaftete elf Personen.

Proteststimmung hat viele Gründe

Die Proteste der buntscheckigen Opposition gegen Saakaschwili dauern bereits seit 2007 an und flammen immer neu auf. Die Gründe sind vielfältig. Die Grundnahrungsmittel in Georgien sind um 30 Prozent teurer geworden. Die große Masse der Georgier muss sich mit Durchschnittseinkommen von umgerechnet 100 Euro über den Monat kommen. Für Protest sorgt aber auch der autoritäre Regierungsstil von Saakaschwili, der 2003 mit der "Rosenrevolution" an die Macht gekommen war und versprochen hatte, Georgien zu einem wirklich demokratischen Land zu machen. Auch eine Mitgliedschaft in der EU und der Nato sollte schnell verwirklicht werden.

Ein weiterer Grund für die neu aufgeflammten Proteste ist der Verlust der abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien, die sich nach dem Georgien-Krieg im August 2008 für unabhängig erklärten. Mit dem dilettantischen Versuch, Südossetien in einem militärischen Handstreich zurückzuerobern, habe der Präsident "georgische Erde" verspielt, so die Meinung vieler Bürger.

"Ich beiße mir in die Finger, wenn …."

Mit den Aktionen vom Wochenende nimmt die Opposition jetzt erneut Anlauf, Saakaschwili aus dem Sattel zu werfen. Doch die Bewegung braucht wohl einen langen Atem, denn sie hat schon einmal mehr Demonstranten auf die Straße bekommen. Trotzdem erklärte die ehemalige Parlamentssprecherin Nino Burdschanadse am Sonnabend vor den Demonstranten auf dem Freiheitsplatz in Tiflis, in Georgien habe eine "von der Macht provozierte Revolution begonnen". Sie werde sich "in die Finger beißen, wenn diese Proteste nicht zum Rücktritt von Michail Saakaschwili führen", erklärte die 46jährige Oppositionsführerin selbstbewusst.

Innenminister Vano Merabishvili versuchte die Proteste herunterzuspielen. "Diese Leute, die solche Äußerungen abgeben, sind sehr isoliert von der Gesellschaft", erklärte Merabishvili. Auch der Präsident selbst ignoriert die Proteste demonstrativ. Am Sonntag verließ Saakaschwili Tiflis zu einem zweitätigen Staatsbesuch in Ungarn.

Schlägerei vor dem Fernsehzentrum

Am Sonntag spitzte sich die Situation in Tiflis zu, als es vor dem Fernsehzentrum, wo sich etwa 3.000 Demonstranten versammelt hatten zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei kam. Demonstranten zertrümmerten die Fensterscheiben eines Autos. In dem Wagen saßen angeblich drei Polizisten in Zivil. Der Fahrer des Autos konnte den Wagen gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Wie die Polizei später mitteilte, saßen in dem Auto tatsächlich Polizisten.

Nach dem Vorfall setzten die Polizei Tränengas und Gummigeschosse gegen die Kundgebungsteilnehmer ein. Es kam zu Festnahmen. Mehrere Personen wurden verletzt. Eine ältere Frau musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Die Insassen des Autos hätten versucht, einen Oppositionsführer zu kidnappen, erklärte Oppositionsführerin Nino Burdschanadse später.

Michail Saakaschwili hat sich gegen die Opposition in den vergangenen Jahren auf unterschiedliche Weise gewehrt. Im November 2007 verhängte er den Ausnahmezustand, weil angeblich ein von Russland gesteuerte Umsturzversuch drohe. Später saß er die Großdemonstrationen der Opposition einfach aus. Das fiel dem autoritären Herrscher leicht, denn die Opposition war zerstritten und konnte sich auf keine Führungsfigur einigen.

Dies könnte nun ein Ende haben, denn am Sonntag besiegelten die charismatische Nino Burdschanadse und Lewan Gatschetschiladse von der "Georgischen Partei" die Zusammenarbeit. Vor den Kundgebungsteilnehmern am Fernsehzentrum umarmten sie sich und tauschten freundschaftliche Küsse aus.

Die Kundgebung vor dem Fernsehzentrum, an der sich am gestern am Sonntagnachmittag immer noch 2.000 Menschen beteiligten, soll bis Mittwoch andauern. Für den 25. Mai hat die Opposition zur nächsten großen Protestaktion, dem "Tag des Zorns", aufgerufen. Der im französischen Exil lebende ehemalige georgische Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili, der bei Saakaschwili 2006 in Ungnade gefallen war, hat für diesen Tag seine Rückkehr nach Tiflis angekündigt. Gleichzeitig erklärte der Ex-Minister großspurig, "der 25. Mai wird der letzte Tag der herrschenden Macht sein". In einem Interview mit dem georgischen Fernsehkanal Maestro TV rief Okruaschwili Offiziere und Soldaten der georgischen Armee auf, sich "auf die Seite des Volkes" zu stellen. Das georgische Innenministerium kündigte an, man werde den ehemaligen Verteidigungsminister verhaften, sobald er die Grenze zu Georgien überschreite.