Mobilität, Evolution und Wachstumskritik

Leitfossilien der Automobiläre und des langen Übergangs vom Öl- zum Elektroauto. Doch optimierte Fahrzeugtechnik wird nicht reichen, die Probleme des Klimawandels, Ressourcenverbrauchs und massenhaften Verkehrs zu lösen. Das Ur-Automobil: der Benz-Motorwagen von 1885, das Auto- und mit ihm das Erdölzeitalter beginnen schwachbrüstig mit 0,9 PS/0,67 kW. Der T-Ford "Tin Lizzy" läutet ab 1908 das Zeitalter der Fließbandproduktion und der Massenmotorisierung ein, mehr als 15 Mio. Stück werden verkauft. Vom "Käfer" werden gar 21,5 Mio. Stück auf die Straßen geschickt. Und als früher Versuch der Peugeot 106 electric, der erste Elektro Kleinwagen der auf den Massenmarkt abzielte ihn aber verfehlte. Bild: Matthias Brake

Die Energie- und Klimawochenschau: Das Fahrrad wird zum Kernelement lokal vernetzter Verkehrssysteme. Die Entwickler optimieren mit Elektro- und Hybrid-Antrieben den motorisierten Verkehr

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Es tut sich zur Zeit einiges im Bereich Mobilität. Letzte Woche erst stellte die Politik mit der Nationalen Plattform Elektromobilität ihre zaghaften Pläne vor. Unter der Prämisse, systemkompatible und dabei doch zukunftsfähige Industriepolitik zu betreiben, sehen sie eine Mischung aus Förderung (Batterie, Antriebstechnik) und Bevorzugung (freie Fahrt in Umweltzonen, Steuervorteile) vor.

Am letzten Wochenende zeigten nun die Fahrzeugbauer, dass vom Fahrrad bis zum LKW, von der Elektrifizierung bis zu unterschiedlich angepassten Hybridansätzen viele technische Ansätze über das Stadium der Erprobung hinaus und bereits zu kaufen sind.

In einer Art evolutionärer Weiterentwicklung wird das "Auto" gegen Ende des Erdölzeitalters technisch so immer mehr verfeinert, so dass die Frage nicht ausbleibt: Wozu? Was nützen energetisch immer effizientere Antriebe, wenn das dahinterliegende Mobilitäts- und Gesellschaftsmodell dieses immer Mehr an Verkehr doch erst erzwingt. Ist eine Zukunft ohne irrationale Wachstumsgedanken möglich? Attac lud dazu zum Kongress und lotete Ansätze für eine Postwachstumsökonomie aus.

Fahrradverleihsysteme als Entwicklungshelfer

Entwicklungsimpulse zu einem anderen Fortbewegungsverhalten setzen zur Zeit sehr erfolgreich Fahrradverleih-Systeme, die nach und nach in immer mehr Städten eingeführt und immer mehr verbessert und vernetzt werden. Von einigen bei uns belächelt, die sagen, es könne sich doch jeder ganz einfach ein Rad kaufen und losfahren, wird übersehen, dass in manchen Ländern ganz einfach keine Fahrradfahrtradition (mehr) existiert und dass durch jahrzehntelange Schwerpunktsetzung auf das Auto vielerorts Fahrradfahren nur unter erschwerten Bedingungen möglich, gefährlich oder auf bestimmten Wegen gar verboten ist.

Die Einführung von Radverleihsystemen hilft hier ein Umdenken in den Köpfen in Gang zu setzen und bricht alte Vorurteile auf, das Rad sei ein Verkehrsmittel der "Fortschrittsverlierer". Verleihsysteme zeigen demgegenüber die Anerkennung auch von politischer Seite und erleichtern das Ausprobieren eines neuen, bisher fremden, Verkehrsmittels: Radfahren wird sexy.

Ein gutes Beispiel ist Irland, ein Land das keine Fahrradfahrtradition hat. Auch heute noch sieht man vielerorts, wie Menschen, die kein Auto zur Verfügung haben, selbst kilometerweite Strecken zwischen Ortschaften zu Fuß zurücklegen. Auch in großen Städten wie Dublin war als Komplementär zu Auto und Bus bis vor kurzem nur das Zufußgehen denkbar. In den letzten Jahren wurde hier viel in die Verkehrssysteme investiert. Es gibt jetzt erstmals eine S-Bahn und eine Tram, beide sehr erfolgreich, insbesondere bei den Berufspendlern. Doch verbunden wird das ganze durch ein niedrigschwelliges Fahrradverleihsystem, das DublinBikes heißt.

Der gesamte Innenstadtbereich wurde mit einem Raster von Verleihstationen ausgestattet, an denen man sich ein Rad ausleiht und dann an einer beliebigen anderen Stadion wieder abgeben kann. Wer sein Rad weniger als eine halbe Stunde braucht, für den ist die Nutzung kostenlos. Ansonsten kostet es 50 ct pro Stunde und maximal 3,50 Euro pro Tag. Wie beliebt das System mittlerweile ist, zeigt sich daran, dass zur "Radrushhour" die Leihstationen mit ihren 500 Rädern teilweise leer sind, weil alle Räder benutzt werden. In einem landesweitem Förderprogramm wird für diejenigen, die dann Gefallen an der neuen Flexibilität per Rad gefunden haben, der Kaufpreis eines neuen Rades mit 50% gefördert, als Steuergutschrift, mal was anderes als die deutsche Abwrackprämie.

Neben dem niedrigschwelligen Radleihsystem versucht Dublin auch die Stadt fahrradfreundlicher zu machen. Straßen wurden erstmals mit Radstreifen ausgestattet, die eindeutig markieren, dass es ein neues Verkehrsmittel gibt. Dass die Umstellung des Fahrverhaltens aber auch eine Art Zivilisierungsprozess ist, kann man an Kreuzungen insbesondere noch in den Außenbezirken sehen. Dort passieren 90% der Unfälle mit Radfahrern beim Linksabbiegen (Linksverkehr in Irland), weil viele Autofahrer noch nicht gelernt haben, dass Fahrradfahrer hier geradeaus fahren wollen, Vorfahrt haben und bitte am Leben bleiben möchten - Notbremsungen und abenteuerliche Stunts sind an der Tagesordnung. Auch die rot markierten Radwege haben anscheinend noch nicht ausgereicht, eingefahrenen Autofahrern die Anwesenheit eines neuen Verkehrsmittels selbstverständlich zu machen.

Aus diesem Grund greift Montreal (Kanada) bei seinem Fahrradverleihsystem Bixi und dem damit einhergehenden Ausbau des Radewegenetzes zu durchgreifenden Mittel. Hier sehen die Verkehrsplaner die in der Stadt neuen Fahrradfahrer anscheinend noch als so gefährdet an, dass zwischen den neuen Radwegen und der Straße Betonbarrieren gesetzt werden, um die Autos auch garantiert fernzuhalten und umgekehrt die Fahrräder von den Straßen – eine Art Artenschutzgehege für die Neo-Spezies "Radfahrer". Solche manifesten Maßnahmen sind hierzulande, etwa in Berlin, nicht mehr nötig. Die Stadt entwickelt sich immer mehr zu einer Radfahrerstadt und der chronisch defizitäre Stadtstaat hat aus der Not der klammen Kassen eine Tugend gemacht.

Beispiel Dublinbikes. Es ist ein niedrigschwelliges Fahrradverleihsystem. Die Räder werden an Verleihstationen im Stadtgebiet geholt und abgestellt, die Kurzzeitnutzung ist kostenfrei. Das System ist mittlerweile so beliebt, dass zur Fahrradrushour morgens Leihstationen in den Randbezirken von den Pendlern geleert werden. Damit Autofahrer vertrauter werden mit dem bisher fremden Verkehrsmittel in der Stadt, startet regelmäßig eine "Critical Mass"-Fahrraddemo vom zentralen Stadtpark Steven's Green aus durch die Innenstadt. Bild: Matthias Brake

Multimodaler Verkehr und Veränderungen der Prioritäten im Straßenverkehr

Radwege werden hier nicht mehr teuer und dysfunktional als separate Fahrbahnen (in der Vergangenheit gerne auch als gepflasterter Slalomweg um Straßenbäume und Parkbuchten führend) gebaut, sondern kostensparend als breite Radspuren direkt auf die bestehenden Magistralen gemalt. Seit neuestem gibt an Ampeln nun auch Bereiche, die linksabbiegende Fahrradräder vor den wartenden Autos einordnen und diese sichtbar als erste fahren lassen. Dies ist eine Umkehrung der lange geltenden Prioritäten im Stadtverkehr. Sicher, das Auto darf weiter einfahren, aber es ist mittlerweile nicht nur zunehmend unpraktisch, sondern muss nun auch in der zweiten Reihe warten. Ein schönes Symbol für den Wandel der gerade in den Köpfen auch der Stadtplaner stattfindet.

Der bekannteste Fahrradverleiher hierzulande ist die Deutsche Bahn und auch sie verbessert und vereinfacht ab 1. Juni ihr Fahrradverleihsystem. War es bisher oft zufällig ob man eines der Räder irgendwo abgestellt in der Stadt findet und nutzen kann, so wird das System nun so umgebaut, dass die Räder (wie in Dublin, Montreal, Amsterdam, ...) von festen Stationen geholt und abgestellt werden und so besser verfügbar sind. Für diejenigen, die nur das Rad nutzen möchten, ist die jeweils erste halbe Stunde, wie in Dublin, kostenfrei.

Aber der Umbau geht weiter und das System wird mit dem Nahverkehrssystem und in Berlin auch schon mit einem Elektroauto-Carsharing-Programm verschmolzen. Als Abrechnungssystem erprobt die Bahn dabei eine Monatskarte, "Mobilitätskarte" genannt. Für 78,- €/mtl - zum Vergleich kostet die BVG Monatskarte (S- U-Bahn, Bus, Tram, Schiff) alleine schon ab 74,- €) - kann man so erstens die 50 Leihstationen mit ihren 1.000 Fahrrädern nutzen, zweitens die öffentlichen Verkehrsmittel und als Schmankerl die Elektroautos ausprobieren.

Das Leihsystem ist somit ein Beispiel für den seit langem geforderten multimodalen Verkehr und den Abschied vom der rein autogerechtem Stadt. Einem Leitbild, dass die letzten 80 Jahre seit dem städtebaulichen Manifest des CIAM Kongresses 1933 in Athen dominierte und mehreren Generationen von Stadtplanern die Begründung dafür lieferte, die Stadt vorrangig als Verkehrsraum, anstatt als Lebensraum für Menschen zu gestalten.